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Russischer Angriffskrieg auf die UkraineWenig Soldaten, wenig Munition

Die Ukraine steht militärisch unter Druck. Russland setzt seine Angriffe auf zivile Einrichtungen fort – und will auch nicht vor Kliniken Halt machen.

Nach Drohvideo am Freitag: Eine Kinderklinik nahe Kyjiw wird evakuiert Foto: Francisco Seco/ap

Kyjiw taz | Die Aussicht auf mehr Waffenlieferungen vor allem aus den USA hebt in der von Russland angegriffenen Ukraine zwar die Stimmung – hat aber bisher noch keine praktischen Folgen. Russische Luftangriffe fügen dem Land weiterhin schweren Schaden zu und die Lage an der Front ist kritisch. Es fehle an allem, sagt Veteran Igor, der in Kontakt zu seiner früheren Einheit steht. „Sie sind in der Unterzahl, haben viel zu wenig Munition. Und keine Möglichkeit die russischen Flugzeuge abzuschießen, die die Stellungen bombardieren.“

Die Situation an der Front sei sehr komplex, eine Eskalation möglich, sagte auch der ukrainische Generalstabschef Olexander Syrskyj am Samstag. Seine Sorgen dürften sich vor allen auf die Frontabschnitte bei Tschassiv Yar und Awdijiwka im Donbas beziehen. Erstere ist eine Kleinstadt auf einer Hügelkette westlich des im vergangenen Jahr von russischen Truppen eroberten Bachmut. Ein Verlust könnte einen russischen Vormarsch auf größere Städte wie Konstantiniwka oder Kramatorsk ermöglichen. Seit Wochen sind die Vororte umkämpft. Es gibt wenig Bewegung.

Weiter südlich ist den russischen Truppen hingegen vor etwa einer Woche ein Einbruch in die Front westlich von Awdijiwka beim Dorf Ocheretyne gelungen. Seither versuchen sie laut Einschätzungen von Beobachtern diesen Einbruch auszuweiten. Allerdings ist es ihnen bisher nicht gelungen, weiter in die Tiefe auf den wichtigen Knotenpunkt Pokrowsk vorzurücken.

Demo für Demobilisierung von Soldaten

In Kyjiw demonstrierten am Samstag rund 150 TeilnehmerInnen, vor allem Frauen, für die Demobilisierung von Soldaten, die seit Beginn der Invasion kämpfen. Ihre Männer und Söhne seien kein Eigentum des Staates. Die Last des Kampfes müsse fair verteilt werden. Das Parlament hatte jüngst ein neues Mobilisierungsgesetz verabschiedet, um den Truppenbedarf der Armee zu decken. Außerdem wurde das Mindestalter von 27 auf 25 Jahre gesenkt.

In der Nacht zu Sonntag waren die Regionen Mykolajiw und Cherson Ziele russischer Drohnenangriffe. Dabei wurden in der südukrainischen Stadt Mykolajiw nach Angaben von Gouverneur Vitali Kim ein Hotel und ein Objekt der Energieversorgung getroffen. Personenschäden habe es nicht gegeben. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, in der Nacht auf Sonntag seien über den grenznahen Gebieten 17 ukrainische Drohnen abgeschossen worden.

Auch diese Zahl war nicht unabhängig überprüfbar. Der Gouverneur des Gebietes Kaluga, Wladislaw Schapscha, teilte mit, drei ukrainische Drohnen seien in der Nähe eines Treibstofflagers abgefangen worden.

In der Nacht zuvor hatte es in der Ukraine zwei Mal landesweiten Luftalarm gegeben. Ziel war erneut vor allem die Energieinfrastruktur. Die Angriffe fielen zwar kleiner aus als zu Beginn des Monats. Schäden gab es vor allem in den westlichen Gebieten Lwiw und Iwano-Frankiwsk sowie in den Großstädten Dnipro und Charkiw. Eingesetzt wurden nach ukrainischen Angaben Dutzende Shahed-Drohnen, ballistische Raketen sowie mehrere der sogenannten Hyperschallraketen vom Typ Kinschal.

Ukraine fordert mehr Flugabwehr

Die letzteren beiden Typen können nur mit Flugabwehrsystemen wie Patriot oder SAMP/T abgefangen werden, von denen die Ukraine allerdings nur wenige besitzt. Präsident Wolodymyr Selenskyj wies per Videoansprache erneut darauf hin, dass die Ukraine mindestens sieben weitere Abwehrsysteme vom Typ Patriot benötige. Bisher hat nur Deutschland die Lieferung eines weiteren Systems zugesagt.

In Kyjiw hatte am Freitagnachmittag die Evakuierung zweier Kliniken, darunter ein Kinderkrankenhaus, für Aufsehen gesorgt. Bürgermeister Vitaly Klitschko hatte diese angeordnet. Zuvor war ein Video aus Belarus aufgetaucht, in dem behauptet wurde, dass in den Kliniken Soldaten untergebracht seien und sie deshalb angegriffen würden. Die PatientInnen seien in andere Krankenhäuser verlegt worden, teilte Klitschko auf dem Telegramkanal der Stadtverwaltung mit. Laut Geheimdienst SBU ist die Drohung Teil der psychologischen Kriegsführung. Die Evakuierung sei eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Nicht ohne Grund: Angriffe auf Krankenhäuser gehören zur russischen Kriegsführung.

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17 Kommentare

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  • Angriffe auf ziviler Infrastruktur, u.a. Kliniken.



    Nur gut, dass sich Bundesolaf gerade wieder selbst abgeschreckt hat, sonst könnte sich die Ukraine effizienter wehren und z.B. die Krim isolieren.

  • Ein Iron Dome kostet um 40.000 Euro. - Wenn jeder Nato Staat, 20 Abwehrsysteme zu Abwehr liefert, wäre doch schon manches Menschenleben gerettet...



    Man versteht es echt nicht !

    • @Alex_der_Wunderer:

      Der Wind dreht sich dauernd, der Entschluss, in welche Richtung man sein Mäntelchen hängt, ist nicht so einfach.

      Anscheinend gibt es zu viele Unbelehrbare, die glauben, das Putin Ruhe gibt, wenn er dieses Mal seinen Willen bekommen wird. Aber ganz sicher sind sie sich auch nicht - daher: Abwarten, so tun als ob, keine klare Meinung zeigen.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Das sind die Kosten einer Rakete. Ein Abschusssystem kostet 50 Mio. Und dann muss es erstmal gebaut werden. Kaum ein Staat hat davon mehr als er glaubt zu "brauchen".

      • @Herr Lich:

        👍

    • @Alex_der_Wunderer:

      Darf ich Deine Wissenslücken schliessen und Deine falschen annahmen richtig stellen? Ein Iron Dome System kostet keine 40'000 Euro, sondern 50-100 Mio! Ein komplettes System (auch Batterie genannt) besteht aus einer Radareinheit (Detektion), einem Kontrollzentrum (Flugbahnberechnung) und 4 Abschusseinheiten (Raketenträger) mit je 20 Abwehrraketen. Je nach Ausführung kostet jede EINZELNE dieser Raketen zwischen 50'000-95'000 Euro. Eine Batterie schützt EFFEKTIV nur ca. 150 Km2, das sind gerade mal ca. 7 Km im Radius. Wenn Du eine Stunde joggen gehst, bist Du bereits ausserhalb des Schutzradius. Zudem ist das Iron Dome System eine reine israelische Entwicklung von 2 israelischen Unternehmen und das wichtigste und sicherste Mittel für den Eigenschutz. Unter keinen Umständen wird man dieses System jemals ins Ausland verkaufen und damit riskieren, dass die Technik möglicherweise in falsche Hände gerät.

      • @Dave Hawtin:

        Danke auch für das schließen meiner Wissenslücke - stimmt - wir sprechen auch immer von " Batterien ".

    • @Alex_der_Wunderer:

      Die UA will keinen "Iron Dome" sondern Patriots, und da kostet eine Einheit einschliesslich Raketen etwa 1 Mrd. Eine Rakete kostet 4 Mio., pro Ziel werden 2 verschossen. Das ist also alles nicht ganz billig.



      Beim "Iron Dome" kostet eine Rakete 40000 Euro, da ist aber weder Radar noch Feuerleitsystem, Abschussrampen oder Personal mitgezählt. Auch da summieren sich die Kosten. Hinzu kommt dass wenn Patriot-Systeme gegen Gleitbombenträger eingesetzt werden sollen (dafür sind die Iron Dome Raketen nicht geeignet), die Radar- und Feuerleitsysteme nur etwa 40-50 km von der HKL entfernt sein können, und also in Reichweite der russischen Drohnen sind, Diese Systeme kosten 400 Mio das Stück und die Russen haben letzthin mehrere (auch Iris-T) zerstören können. Schliesslich kann man sowas nicht von der Stange kaufen, die Dinger werden auf Bestellung gebaut und haben Vorlaufzeiten. Ergo, das ist alles etwas schwieriger und viel teurer als Sie das anzunehmen scheinen.

      • @Gerald Müller:

        Danke für diese sehr präzisen Angaben,



        die sich erholsam vom allgemeinen "gefährlichen Halbwissen" deutlich unterscheiden!

      • @Gerald Müller:

        Und deshalb darf Putin am Ende gewinnen? Weil es zu teuer ist?

  • Ehrlicherweise könnte der Westen der Ukraine und Russland ganz offen sagen, dass eine wirklich hilfreiche Unterstützung der Ukraine nicht erfolgen wird.

    Dann kann Putin in Ruhe weiter morden und die UkrainerInnen können flüchten und die Ukraine räumen.

    Das scheint aktuell das Interesse des Westens zu sein. Ansonsten hätte die Ukraine zumindest ausreichend Luftabwehr und könnte Russland damit erstmal stoppen.

    Aber die Interessen scheinen hier anderweitig zu liegen. Und Putin lernt, dass er mit Gewalt alles erreichen kann. Das wird noch richtig schrecklich für Europa.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @Gnutellabrot Merz:

      Schrecklich für Europa ist der anzusehende Ausgang der nächsten Wahl: 20% Afd_Wähler aus Deutschland, KZs an den Außengrenzen, die deutsche Unterstützung Israels beim in Schutt-und-Asche legen von Gaza. Gazas. Mit der Lieferung von Angriffswaffen an die Ukraine wird alles wieder gut, oder wie?

      • @2422 (Profil gelöscht):

        Der Schrecken den Russland verbreitet grenzen Sie aus?

      • @2422 (Profil gelöscht):

        "Schrecklich für Europa ist (...) Mit der Lieferung von Angriffswaffen an die Ukraine wird alles wieder gut, oder wie?"



        Ihrer Logik folgend, würde alles gut, wenn man eine solche Lieferung unterlassen würde. Das müssten Sie allerdings erklären.



        Ich bezweifle das. Sehr.

      • @2422 (Profil gelöscht):

        Mit Putin und dem Iran wird es bestimmt besser. Meine Nerven.

      • @2422 (Profil gelöscht):

        Was für ein wirrer Spin.

  • "Russland setzt seine Angriffe auf zivile Einrichtungen fort – und will auch nicht vor Kliniken Halt machen."



    Was heißt denn hier WILL??? 🤨



    Als ob Russland davor schon jemals zurückgeschreckt hätte... ☠️



    www.tagesschau.de/...eg-flucht-107.html



    und



    www.google.com/amp...brechen/a-61379405



    und



    de.m.wikipedia.org...klinik_in_Mariupol



    Die Liste ließe sich endlos fortführen...



    Ja, Krieg ist immer grausam und einen 'sauberen Krieg' gibt es nur in der Theorie, Russland aber legt es regelrecht auf zivile Opfer an - tagtäglich!