Russische Angriffe in der Südukraine: Brennende Äcker
Die südukrainische Stadt Mykolajiw wird stark beschossen. Die russische Armee zielt dabei vor allem Getreidespeicher und Lager für Sonnenblumenöl.
In der vergangenen Woche wurde die Region Mykolajiw täglich angegriffen, und die Stadtverwaltung verkündet ständig neue Opferzahlen und Zerstörungen. An nur einem Tag, dem 21. Juni, wurden 18 Menschen verwundet. Derzeit werden die Schusswunden von 274 Menschen in den Krankenhäusern von Mykolajiw behandelt. Bewohner berichten, dass die Intensität und Häufigkeit der Luftangriffe in der Region in den letzten Tagen deutlich zugenommen haben. Durch diese Angriffe werden nicht nur Wohnhäuser und Infrastruktur zerstört, sondern es brennen auch Ackerflächen, auf denen die Ernte schon begonnen hat. Dadurch werden täglich Dutzende Hektar Weizen vernichtet.
Den Raketenbeschuss am 22. Juni, als in Mykolajiw sieben Marschflugkörper gleichzeitig einschlugen, nannte die lokale Militärverwaltung den bislang stärksten seit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine. Infolge dieses Angriffs gab es mehrere heftige Detonationen, und über der Stadt war eine schwarze Rauchwolke zu sehen. Durch die Druckwellen wurden Fenster und Türen zerstört und Dächer von fünf nahe gelegenen Wohnhäusern sowie Schulen beschädigt.
Später wurde bekannt, dass es sich um einen gezielten Raketenangriff auf Lagertanks für Sonnenblumenöl handelte. Die Löscharbeiten der betroffenen Fläche von 300 Quadratmetern dauerten neun Stunden. Die Anwohner reagierten in den sozialen Netzwerken mit Ironie: „Die Okkupanten haben Sonnenblumenöl ‚entmilitarisiert‘.“
Nahrungsmittelkrise wird verschärft
Es ist nicht der erste russische Angriff auf strategische Reserven in der Region Mykolajiw. Im Juni hatten die Russen den zweitgrößten Getreidespeicher der Ukraine im Hafen von Mykolajiw zerstört, ein Feuer brach aus, und ein Lager mit Getreideschrot brannte nieder.Experten betonen, dass Russland solche Einrichtungen in der Ukraine absichtlich zerstört, um die Nahrungsmittelkrise vor dem Hintergrund der blockierten Seehäfen zu verschärfen.
Doch die Menschen in Mykolajiw lassen sich nicht unterkriegen. Einer der Gründe dafür ist die erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Armee in der Region Cherson. Die ukrainischen Soldaten haben in den letzten anderthalb Monaten aktiv Dörfer in Richtung Cherson befreit. Für die Mykolajiwer bedeutet dies außer einem Rückgewinn von Land unter ukrainischer Kontrolle auch eine Verschiebung der Frontlinie von ihrer Stadt weg. Einigen Berichten zufolge ist die ukrainische Armee zehn Kilometer von Cherson entfernt, was auf mögliche Kämpfe um die Stadt in naher Zukunft hinweisen könnte.
Von entscheidender strategischer Bedeutung ist in diesem Teil des Schwarzen Meers auch die kleine Schlangeninsel, die derzeit unter russischer Kontrolle ist. Die ukrainische Seite hat in den letzten Tagen erfolgreiche Angriffe auf russische Infrastruktureinrichtungen auf der Insel gemeldet. Unter den zerstörten russischen Kriegsgeräten sind nach Angaben der ukrainischen Seite zwei Kurzstrecken-Flugabwehrraketen-Systeme und eine Radarstation.
Zuvor hatte der Chef des ukrainischen Geheimdienstes, Kyrylo Budanow, erklärt, dass die Ukraine so lange um die Schlangeninsel kämpfen werde, wie es nötig sei. Denn die Kontrolle über diese Insel würde den ukrainischen Schiffsverkehr freigeben und es unmöglich machen, Truppen in der Nähe von Odessa anzulanden und militärische Einheiten in der selbst ernannten Region Transnistrien zu unterstützen.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles