Rückblick auf die zweite Kriegswoche: Fragen ohne Antworten
Wer überfallen wird, muss sich wehren können. Aber lieber als die Twitter-Generalität sind mir Politiker, die sich eine Nacht zum Nachdenken gönnen.
D er 24. Februar hat die ganze Existenz verdüstert. Gut, mögen Sie jetzt einwenden, die war auch vorher nicht besonders sonnig, an den Peripherien unserer vielgepriesenen „Friedensordnung“ waren Gewalt, Krieg, Elend und Instabilität längst Alltag. Alles wahr, ändert aber nichts daran, dass wir anderntags in einer neuen Welt und einer neuen Existenz aufgewacht sind. Mit Meinungen und Emotionen, die sich dauernd widersprechen und sich wechselseitig ins Wort fallen.
Ein paar Dinge sind klar: Ein sadistischer Tyrann und seine Kamarilla haben ein unabhängiges, demokratisches Land überfallen. Die eine Seite hat von Grozny bis Aleppo schon bewiesen, was sie bereit ist, anzurichten, ist überdies eine waffenstrotzende Atommacht, die andere Seite wird bombardiert, während die Bürger*innen in den Kellern zittern. Putin senkt über die Bevölkerung Russlands selbst eine Despotie hinab, die die letzten Halme von Freiheit zertritt. „Both Sides“ können sich die Schlaumeier da sonstwohin stecken.
Zufällig konnte ich diese Woche Konstantin Wecker zu einem TV-Talk in Bruno Kreiskys Wohnzimmer empfangen, den Poeten, Liedermacher und Friedensbewegungsveteranen. Die einen singen seine Lieder mit feuchten Augen mit, kennen jede Zeile, andere halten ihn für eine naive Kitschschleuder, tut hier aber gerade nichts zur Sache. Kürzlich hat er eine neue Platte rausgebracht, „Utopia“ heißt sie, der Name ist natürlich schon Programm, und der Titelsong beginnt mit diesen Zeilen: „Stellt Euch einmal unsere Welt vor / Ohne Krieg ohne Gewalt.“
Das ist der pazifistische Traum, aber natürlich sind die meisten Linken da eh nie konsequent gewesen. Man konnte an einem Tag „Die Waffen nieder!“ skandieren, und am nächsten linken Guerilleros die Daumen drücken, die gegen Diktatoren kämpften und „No Pasarán!“ brüllen.
Wer überfallen wird, muss und soll sich wehren können. Wahnsinnige oder auch zynisch-rationale Aggressoren und Diktatoren kriegt man nicht durch gutes Zureden zur Vernunft, aber zugleich gerät man dann leicht in ein Fahrwasser, in dem nur mehr die militärische Lösung zählt, die Logik der Militarisierung. Die große Idee einer „gewaltfreien Welt“ wird dann lächerlich gemacht, und ich habe den Verdacht, das wird die Welt nicht besser machen. Schon die normale Diplomatie (die ja nicht von Peaceniks erfunden wurde), wird heute als moralisch fragwürdiges Appeasement verunglimpft. Aber natürlich soll man noch mit dem Teufel reden, wenn damit Krieg beendet werden kann.
Ja, ich finde unmissverständliche Antworten auf Kriegstreiber notwendig, aber zugleich nerven mich Kraftmeier in Pantoffeln, die im Internet härteste Reaktionen fordern und schon Verrat schreien, wenn Regierungen zwei Tage über weitreichende Sanktionen nachdenken und erst dann Swift-Boykott und anderes verhängen. Ich fühle mich bei Politikern, die sich eine Nacht zum Nachdenken gönnen, besser aufgehoben als bei der Twitter-Generalität.
Es wäre nötig gewesen, früher zu erkennen, dass sich bei Putin und den Leuten um ihn ein faschistischer Revanchismus durchsetzt, dem man entgegentreten muss, denke ich. Und denke im nächsten Augenblick, dass es nervt, die Geschichte von ihrem Ende her zu erzählen. War es wirklich so falsch, Fäden der Kooperation zu pflegen, darauf zu setzen, die wirtschaftlichen Verbindungen so eng zu knüpfen, dass Krieg „unführbar“ wird?
Wir haben in Europa – auch mit Putins Russland – die Wirtschaft so verschränkt, dass Krieg eigentlich „unführbar“ ist. Dennoch hat das diesen Krieg nicht verhindert. Den Preis an Verelendung, den die Welt wird zahlen müssen, können wir noch nicht mal abschätzen. Andererseits: Gerade wegen dieser Verflechtung droht Russland jetzt der ökonomische Zusammenbruch, was vielleicht am Ende doch heißt, dass Krieg unführbar ist.
Wir haben Fragen, aber noch keine klaren Antworten, wir haben einen Beginn von etwas, von dem wir das Ende noch nicht kennen. Klar ist nur: Es wird kein schönes sein.
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