Ruanda und die DR Kongo: Verfeindete Nachbarn
Der Krieg im Osten Kongos ist eng mit Ruanda verknüpft – vor allem wegen des Völkermordes an den Tutsi. Nirgends zeigt sich das klarer als in Goma.
Dass das kleine Ruanda ein unmittelbares Interesse daran hat, was jenseits der Grenze passiert, liegt vor Ort auf der Hand. Die Regierungen in Kigali und Kinshasa mögen sich offiziell spinnefeind sein, aber am Brennpunkt ihres Konfliktes sind sie quasi vereint. Der Feldweg hinter dem Friedhof Gisenyi liegt schon auf kongolesischem Gebiet, die UN-Wachposten hinter dem Flughafen von Goma können ruandischen Beerdigungen zugucken. Einst bauten Kongolesen in Goma Häuser, aus deren Hintertür man Ruanda betrat. Auf beiden Seiten der Grenze wird ruandisch gesprochen, es gibt regen Waren- und Personenverkehr.
Es war die koloniale Grenzziehung von Belgien und Deutschland, die die von ethnischen Ruandern bewohnten Gebiete nördlich des Kivu-Sees zwischen Kongo und Ruanda teilte. Später, als das vom Adelsstand der Tutsi geführte Königreich Ruanda von Hutu-Revolutionären gestürzt wurde, flohen viele Tutsi aus der neuen Republik Ruanda nach Kongo. In Munigi am Nordrand von Goma residierte ein Tutsi-König, weiter nördlich in Rutshuru ein Hutu-König.
Der Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 veränderte alles und wirkt bis heute nach. Damals schritt das Hutu-Regime in Ruanda zur organisierten Auslöschung der Tutsi, damit die Tutsi-Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) nicht die Macht ergreife. Eine Million Menschen starben, bis die RPF Ruanda eroberte und die Hutu-Täter sich nach Kongo retteten. Rund um Goma und Bukavu errichteten sie gigantische Flüchtlingslager und reorganisierten sich, um Ruanda mit der Waffe zurückzuerobern. Die meisten kongolesischen Tutsi wurden verjagt.
Ruanda, nunmehr vom Tutsi-Rebellenführer Paul Kagame regiert, kam dem zuvor. Ruandas Armee, gestärkt durch kongolesische Tutsi, marschierte 1996 in Kongo ein und zerschlug die Hutu-Flüchtlingslager um Goma. Der harte militärische Kern mitsamt allen leitenden Tätern des Völkermordes floh quer durch Kongos riesige Regenwälder. Ruanda marschierte hinterher und installierte 1997 Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila als Kongos Präsident in der Hauptstadt Kinshasa.
Kabila warf seinerseits Ruanda 1998 aus dem Land, woraufhin Ruanda den Osten Kongos besetzt hielt. Kabila suchte Hilfe bei der versprengten ruandischen Hutu-Völkermordarmee aus Ruanda, die sich als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) neu gründete. Als 2003 der Kongokrieg nach fünf Jahren endete und Ruanda sich zurückzog, ließ sich die FDLR im Ostkongo nieder. Zeitweise kontrollierte sie 60 Prozent der Kivu-Provinzen, in unmittelbarer Nähe Ruandas.
Kabila hatte zuvor den Hutu-Generälen zugesagt, ihnen im Gegenzug für seine Hilfe seinerseits bei der Rückeroberung Ruandas zu helfen. Auf diesen „Blutsbund“ berufen sich die Beteiligten bis heute. In Kongos Armee ist immer wieder zu hören, man müsse den Krieg nach Kigali tragen.
Daraus zieht Ruanda die Überzeugung, dass nach wie vor eine Entschlossenheit auf kongolesischer Seite besteht, den Völkermord an Ruandas Tutsi zu vollenden. Und, dass Ruanda deswegen ein Recht hat, selbst für Sicherheit in Ostkongo zu sorgen, auch mit dem eigenen Militär.
Zumal die einst vertriebenen kongolesischen Tutsi bis heute nicht friedlich heimkehren konnten. Sie ziehen stattdessen immer wieder in neuen Rebellenarmeen in den Krieg gegen Kongos Armee, zuletzt unter der Bezeichnung M23 (Bewegung des 23. März), die jetzt mit tatkräftiger Hilfe aus Ruanda spektakuläre Erfolge feiert.
Die Tutsi-Rebellen sagen, sie kehren mit der Waffe in der Hand in ihre Heimat zurück und setzen dem Chaos ein Ende, wenn man sie lässt. Sie wollen die Sicherheitskontrolle über Ostkongo, von „Föderalismus“ ist die Rede. Die nichtruandischen Volksgruppen sehen in ihnen hingegen Besatzer, die den bevölkerungsreichen, fruchtbaren und mineralienreichen Ostkongo Ruanda übergeben wollen. Ein Hassdiskurs gegen Tutsi und Ruander allgemein, aus Ruandas einstiger Völkermordideologie weiterentwickelt, gehört heute zum kongolesischen Mainstream.
Aus Sicht Kinshasas sind die Rebellen von Kigali gesteuert. Kongos Regierung erkennt als Gesprächspartner nur die Regierung Ruandas an – wenn überhaupt. Die M23 fühlt sich aber nicht an Vereinbarungen zwischen den Regierungen Kongos und Ruandas gebunden. Ruanda sagt, Kongo müsse direkt mit der M23 sprechen. Es ist ein Teufelskreis, und alle beteuern, es gehe um Leben und Tod. Alle sind davon überzeugt, dass sie selbst vernichtet werden, wenn sie nicht selbst siegen. Alle haben noch Rechnungen aus düsteren Zeiten offen.
Dieses Misstrauen lässt sich nicht auf Regierungsebene lösen. Zur kongolesischen Realität gehört, dass im Ostkongo längst jede Volksgruppe ihre eigene Miliz zum Selbstschutz unterhält. Zwischen Kongos Hauptstadt Kinshasa und Goma liegen nicht nur 1.600 Kilometer, sondern auch der undurchdringliche Kongo-Regenwald, es gibt keine Straßen quer durch das Land, es herrschen unterschiedliche Zeitzonen, es werden unterschiedliche Sprachen gesprochen. Ruandas Hauptstadt Kigali kann man hingegen aus Ostkongo in wenigen Stunden mit dem Auto erreichen – und umgekehrt.
Am Wochenende entspannten sich Urlauber am Badestrand von Gisenyi, während im Hintergrund der Artilleriedonner von Goma zu hören war. In Goma gibt es keinen öffentlichen Badestrand – die idyllische Seenküste ist fast vollständig in privater Hand, mit Villen zugebaut, die Pfründen kongolesischer Generäle und Geschäftemacher. Goma ist im Krieg groß und reich geworden. Auch das gehört zu den Widersprüchen dieser Region.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
+++ CDU bildet Mehrheit mit AfD ++
Die Brandmauer ist down
Merz´ Tabubruch
Die Abrissbirne der Demokratie
Absurde Wahlplakate
Ist das noch Wahlkampf oder schon Stalking?
Antrag auf ein Parteiverbot
Merz ist kein Opfer der AfD
Gotteshäuser kritisieren Asyldebatte
Kirchen kanzeln die Union ab
Streit zwischen USA und Dänemark
Auf Augenhöhe mit Grönland