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Rot-rot-grüne VerkehrspolitikEin meilenweiter Weg

Die Umplanung der Karl-Marx-Allee durch Senatorin Günther polarisiert. Die Bilanz der R2G-Verkehrspolitik durch AktivistInnen hellt das ein wenig auf.

Noch wartet man am Strausberger Platz auf die neuen Radverkehrsanlagen Foto: imago images / Dirk Sattler

Die Karl-Marx-Allee in Mitte ist gerade Schauplatz eines verkehrs- und umweltpolitischen Scharmützels, das viel über den Stand der Debatte aussagt. Wie am Donnerstag bekannt wurde, beschloss Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) im Rahmen des laufenden Umbaus der Magistrale kurzerhand, Mobilitätsgesetz und Klimaschutz höher zu halten als das Interesse der AnwohnerInnen an Auto-Stauraum: 170 Parkplätze, die ursprünglich auf dem extrabreiten Mittelstreifen erhalten bleiben sollten, fallen jetzt doch zugunsten einer Grünanlage weg. SPD-Baustadtrat Ephraim Gothe schäumt und beklagt die Missachtung der erfolgten Bürgerbeteiligung.

Gibt halt seit Mitte 2018 eine neue Rechtslage, sagt die Senatorin: das Mobilitätsgesetz. Das richte Verkehrsplanung auf eine nachhaltige, sichere und umweltfreundliche Mobilität aus. „Dies bedeutet insbesondere“, teilte Günthers Haus am Freitag den „Lieben Anwohnerinnen und Anwohner“ mit, „die Bedingungen für den ÖPNV, für Fußgängerinnen und Fußgänger und für den Radverkehr deutlich zu verbessern. Durch eine Neuaufteilung vorhandener Flächen soll aber auch insgesamt eine höhere Aufenthaltsqualität geschaffen werden – und eine menschenfreundlichere Stadtraumgestaltung.“

In Schutz genommen wird sie dafür unter anderem von BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser: „Wer mehr Grün für mehr Lebensqualität, ein besseres Stadtklima und die Sicherung der Artenvielfalt fordert, muss dafür bereit sein, Parkplätze zu opfern.“ Und Bürgerbeteiligung bedeute, dass alle „ihre Perspektiven und Argumente einbringen“ könnten. „Das entbindet die politischen Verantwortlichen nicht davon, bei widerstreitenden Interessen nach Abwägung aller Argumente eine Entscheidung zu treffen“, so Heuser.

Günther hart gefeiert

Frank Masurat vom Vorstand des ADFC-Landesverbands twitterte, Günthers Entscheidung „Wir alle wollen lieber Grünflächen als Parkplätze.“ Und Günthers Parteifreundin, die Abgeordnete Canan Bayram, feierte die Senatorin für deren Entscheidung im selben Medium „hart“.

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Lob für den Günther-Move kommt aber auch von den Fahrrad-AktivistInnen des Vereins Changing Cities: Bei ihrer Dreijahres-Bilanz von Rot-Rot-Grün sagten Vorstand Denis Petri und Inge Lechner vom Netzwerk Fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg am Freitag, die Entscheidung zugunsten breiter und geschützter Radstreifen und gegen die zentrale Pkw-Abstellfläche zeige, dass die grüne Spitzenpolitikerin durchaus erkennen könne, worum es bei Verkehrswende und Klimaschutz geht.

Sonst gingen die beiden aber hart ins Gericht mit R2G: Bis zum Jahr 2030 schreibe das Mobilitätsgesetz den radgerechten Ausbau von 3.100 Kilometern Haupt- und Nebenstraßen vor – mache rechnerisch 700 Meter pro Tag. Davon sei Berlin „wortwörtlich meilenweit entfernt“. Petri erinnerte an weitere zeitliche Vorgaben aus dem Gesetz, die der Senat verfehlt hat oder zu verfehlen droht: Die Ausarbeitung des Radnetz-Plans hätte schon diesen Juli vorliegen müssen, das platzte wohl wegen interner Probleme des beauftragten Planungsbüros. Und zur Fertigstellung des Radverkehrsplans – zentrales Regelwerk für Quantität und Qualität der Radinfrastruktur – bleibt nur noch ein halbes Jahr. Nach Einschätzung von Changing Cities ist das eigentlich nicht zu schaffen.

Petri kritisierte die oft wenig vorausschauende Planung, die dann nachträglich aufwendig verarztet werden müsse – siehe Oberbaumbrücke –, sowie Maßnahmen, die dem Gesetz zuwiderliefen, wie den Bau gefährlicher Fahrradweichen. Aus Lechners Sicht wiederum hintertreiben manche Bezirksämter die Verkehrswende. „Das sind zum Teil regelrechte Sabotageakte.“ Als Beispiel nannte sie den Fall des radgerechten Ausbaus der Lichtenberger Siegfriedstraße. Die Planung sei schon lange fertig, die Umsetzung aber werde vom zuständigen CDU-Bezirksstadrat blockiert.

Deshalb ist die Karl-Marx-Allee so breit: Leistungsschau der Nationalen Volksarmee der DDR Foto: imago images / Ulli Winkler

Denis Petri wies noch einmal auf den Sieben-Punkte-Plan für eine menschengerechte Innenstadt hin, den Changing Cities zusammen mit etlichen anderen Organisationen kürzlich vorgestellt hatte. Darin werden unter anderem Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, radikal verkehrsberuhigte Kieze und ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 gefordert. Das ist freilich alles noch Zukunfstmusik, denn schon bei der Umsetzung der aktuellen Rechtslage durch Senat und Bezirke hapert es ja ganz offenkundig: „Wir vermissen das Gesamtcommitment“, so Petri.

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3 Kommentare

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  • Diese Stadt ist ein Irrenhaus. Parkplatzrückbau - mit diesem Mist fingen sie schon vor 20 Jahren an in Berlin. Es ist schlimm, und es wird schlimmer.

    • @Der Erwin:

      Für mich ist das Auto tatsächlich mit Abstand Störfaktor Nummer 1 in der Stadt.

      Ich empfehle Ihnen Moskau. Da sind Männer noch echte Männer und Sie können ohne Scham Ihren dicksten SUV ausfahren.

      Ach, wissen Sie was? Geh'n Sie doch nach drüben.

      (Ich hätte ja nie gedacht, dass ich, eher Ziel dieser Äusserung, diese auch mal selber würde verwenden können -- die Welt ist schon irre).

      • @tomás zerolo:

        Wenn für Sie das Auto Störfaktor Nummer 1 ist, dann beneide ich Sie. Ich habe hier in Berlin ganz andere Störfaktoren, als PKW. Hundekacke, rücksichtslose Radfahrer, Dealer, Miethaie, Graffity-Schmierer... Die Liste lässt sich durchaus fortführen.