Roman von Kaberettistin Lisa Eckhart: Voll auf Provo
Über die Kabarettistin Lisa Eckhart wird gerade heftig gestritten. Nun erscheint ihr Debütroman. „Omama“ wirkt wie in einer Dorfkneipe erzählt.
Am Ende ist „Omama“ auch bloß ein weiterer Roman über das Leben einer sympathisch-schrulligen Großmutter, die von der Enkelin für ihr Selbstbewusstsein, ihre Rezepte, ihre bedingungslose Loyalität bewundert und geliebt wird.
Doch bevor das Debüt der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart an diesen Punkt kommt, kommt die Leserin Oma Helga aus dem Dorf Freienstein so nah, dass sie schon ihren Mundgeruch zu erkennen meint und am liebsten vor ihr weglaufen würde. Diese Großmutter ist die prototypische Vertreterin des vulgärsoziologisch Durchschnitt genannten Gesellschaftsmilieus, von dem alle immer so gern reden, in das aber kaum einer richtig reinguckt.
Allerdings ist diese Nähe zur Hauptfigur schon erstaunlich. Denn der Roman hat einen bis zur letzten Seite konsequent durchgehaltenen ironischen Erzählton, also einen Stil, der die Distanz zum Gesagten ständig mit sich trägt.
Formulierungen wie „Großmutters Geschichtsrevisionismus, den sie liebevoll Gedächtnis nennt“, sind es, warum die Leserin dann doch nicht wegrennt. Man wird blendend unterhalten und kann die ganze Zeit über Helga lachen, was auch daran liegt, dass die Enkelin alias die Erzählerin das Talent besitzt, sowohl aus der ödesten als auch aus der brutalsten Begebenheit eine gute Geschichte zu machen
Überraschend gute Wortspiele
Darüber hinaus macht Eckhart das meist in Form überraschend guter Wortspiele, in die sie nicht nur die Romangeschichte, sondern auch die ständig aufblitzenden Gedanken zu diesem und jenem verpackt: zu Sprachpolitik („Der Manfred redet nicht schlecht über Frauen. Umso schlechter denkt er über sie“), Zeitgeist („Ebenso wie das Internet ist das Selbst eine Erfindung, die Großmutter nicht mehr mitmachen möchte“), Literatur („die Geheimnistuerei ist manchem das einzig verfügbare Stilmittel, um das Gegenüber bei Laune zu halten“), Geschichte („der Russe bildete übergangsweise die strafende Instanz zwischen Gott und Über-Ich“), die Frage, woher der Deutschenhass kommt („Antwort: Ungarn“) oder ob der Begriff Unruhestifter Sinn ergibt („eher nicht“).
Lisa Eckhart: „Omama“. Zsolnay Verlag, Wien 2020. 384 S., 24 Euro
Als intelligentere, aber hässlichere von zwei Schwestern, die am Ende des Zweiten Weltkriegs junge Teenager sind, kämpft Helga vergeblich um die Aufmerksamkeit des männlichen Geschlechts, selbst die russischen Soldaten interessieren sich nicht für sie. Während die hübsche Inge sich einen Professor in Wien angelt, wird Helga schließlich von den Eltern an den Dorfwirt in einem Nachbarkaff verschachert, damit sie mit den Einnahmen die Schulden des Vaters abbezahlen kann.
Der Stil der Autorin ist dem Erzählstil in Dorfkneipen nicht unähnlich. Er setzt auf schenkelklopfende Pointen und rauschhafte Übertreibung, kümmert sich nicht um die Wahrheit, sondern um den Effekt. Auch deswegen gelingt Eckhart ein ziemlich gutes Porträt der dörflichen Gemeinschaft mit seiner „vierfachen Einfaltigkeit“ („Schönling, Matratze, Depp und Trinker“), seinem testosterongeschwängerten Mief aus Alkohol, Gewalt, Stumpfheit, Geilheit und Enttäuschung.
Wilde Schlägereien und Slapstick
Immer wieder gerät ein ganz normaler Kneipenabend oder eine Butterfahrt aus dem Ruder und mündet in eine wilde Schlägerei samt Slapstick, die an die jugoslawische surrealistische Filmschule und an Quentin Tarantinos Westernhybride erinnern. Das gefühlt am häufigsten benutzte Wort in „Omama“ lautet „Popscherl“, Österreichisch für Hintern. Ständig greift irgendein Kerl einem „Weib“ an ebenjenen. Es geht aber auch andersrum.
Man muss den Roman nur ein paar Seiten lesen, um zu merken, dass die Autorin mehr im Schilde führt als einfach nur einen Roman, der die wahre Identität von Großmüttern des 20. Jahrhunderts in derbem Tonfall erzählt. In den letzten Wochen und Monaten wurde um die Figur Lisa Eckhart ausgehend vom Twittermoloch bis ins politische Feuilleton heftig gestritten.
Sind ihre Witze und die ganze Figur der 27-jährigen Künstlerin Satire und Provo oder ist alles zusammen antisemitisch, rassistisch, misogyn, gewaltverniedlichend oder einfach nur nicht gut? Seinen vorläufigen Höhepunkt fand die Debatte vergangene Woche, als das Harbour Front Literaturfestival, wo Lisa Eckhart ihr Debüt vorstellen sollte, die Kabarettistin auslud.
Begründet mit Sicherheitsbedenken, weil es Drohungen gegen die Veranstaltung gegeben habe, was sich im Nachhinein aber als falsch erwies, die Veranstalter die Kabarettistin wieder einluden, was nun diese wiederum jedoch ausschlug.
Applaus von rechts und links
Dass Lisa Eckhart provozieren will, und zwar jene, die sich leicht provozieren lassen, daraus macht sie keinen Hehl. Ob die sprachlichen Mittel, die sie dazu einsetzt, ihr am Ende mehr Applaus von rechts als von links einbringt, bleibt offen.
Genau diese Offenheit, dieses Rätselhafte an ihren Aussagen und Auftritten ist die programmatische Absicht der Künstlerin. So finden sich in „Omama“ Sätze, die sich jede Feministin in die Twitter-Bio schreiben kann („Jede Mutter ist alleinerziehend. Insbesondere die mit Mann“). Und dann wieder solche, die ebenjene provozieren soll („Hinter jedem erfolgreichen Mann steht bekanntlich eine Frau. Hinter den Erfolglosen aber erst recht“).
Die Frauen in „Omama“ sind keineswegs nur Opfer der Männer, sondern auch willige Vollstrecker von deren Ansprüchen. Es gibt unter den Russen, Wirten, Professoren und Dörflern Männer, die Frauen als kostenlose Matratze sehen („Die konnte man vor Ort probieren, aber nicht mit nach Hause nehmen“), und es gibt unter ihnen Männer, von denen die Frauen befürchten, dass sie sie missbrauchen, die daran aber nicht mal denken.
Das alles ist eigentlich kein Grund zur Aufregung. Doch die irre Geschwindigkeit, in der die Autorin den Lesern die Wortspiele um die Ohren ballert, der immer wieder krachend mittendrein fallende Kabaretthumor („Das Kind bleibt ein Leben lang eine Franchise-Filiale der Mutter“, „cogito interruptus“, „Ein Schnitzel wie ein Jungfernhäutchen“), das alles geht in „Omama“ lange gut. Aber irgendwann ist man dieser Erzählform überdrüssig.
Provokation nimmt Fahrt auf
Interessanterweise nimmt, wo man beginnt, sich ob des Stils zu langweilen, die Provokation erst richtig Fahrt auf. Kindergärtnerinnen werden mit „wenn die Menopause zum Beruf wird“ charakterisiert, die Oma und andere sagen jetzt immer öfter Sätze, in denen „Jude“ und „Neger“ vorkommen, was damit verteidigt wird, dass ein Rassist nicht deswegen aufhört, ein Rassist zu sein, nur weil er jetzt „Schwarzer“ sagt.
Selbst wenn man der Meinung ist, dass das stimmt, beginnt man ungefähr hier der Erzählung zu misstrauen. Ist diese Oma nicht unglaubwürdig inkonsistent und einfach nur ein Ersatz für ein politisches Pamphlet? Ist die behauptete schonungslose Beschreibung des normalen Durchschnitts nur Mittel zum Zweck, um die nächste Empörungswelle anzufachen, weil hier Wörter – obwohl fein säuberlich kritisch kontextualisiert – stehen, die aus anderen Büchern gestrichen wurden?
Im Interview mit dem Standard hat Lisa Eckhart gesagt, ihr Roman sei ein „semantischer Terrorangriff“, in dem „der Leser sich um den Verstand interpretieren“ soll. Das zumindest ist ihr gelungen. Sie hätte den Terror nur einige Seiten vorher beenden müssen. Zwar ist nicht jeder Witz, in dem Juden vorkommen, antisemitisch. Aber jeder Witz ist irgendwann mal überstrapaziert.
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