Roman „Frau Fünf“ von Juliane Baldy: Ausgeträumte Zweisamkeit
Juliane Baldy erzählt in ihrem Roman „Frau Fünf“ die Geschichte einer verlassenen Frau, die versucht klarzukommen – und scheitert.
Männer sind das Wichtigste in Mirjams Leben. Genaugenommen ein Mann: Martin Mustermann. Was gäbe es Schöneres, als auch Mustermann mit Nachnamen zu heißen? Das war zumindest immer Mirjams Traum. Für immer und ewig mit diesem unterdurchschnittlichen Mann zusammen zu sein, und dazu das ganze Programm: Kinder, schönes Zuhause, stetige subtile Abwertung.
Aber Martin hat sie gerade nach jahrelanger Beziehung ohne Vorwarnung oder Erklärung verlassen. Mirjam bleibt in der ausgeräumten Wohnung zurück – arbeitet zwar für ein Möbelunternehmen, aber die Wohnung hat Martin eingerichtet – und dreht frei.
Gut, Martin ist eindeutig ein Arschloch, das ist auch Mirjam klar. Trotzdem kreisen ihre Gedanken krampfhaft um mögliche Strategien, wie sie ihn zurückgewinnen könnte, wie sie ihn überzeugen kann, dass „der Martin und die Miri“ einfach zusammengehören. Schon allein wegen der zwei Ms. Auf jeden Fall nicht er und diese mysteriöse neue Frau. Mirjam ist zu allem bereit und greift zu drastischen Mitteln.
Seit ihr Leben aus den Fugen geraten ist, verbringt sie die Nächte im Vollrausch und die Tage zwischen Kotzen und Martin Nachschnüffeln. Jahrelang hat sie sich an Martin angepasst, nur damit er sie durch eine neue Frau ersetzt, die sich nicht für seine Regeln interessiert. Wie konnte das passierten? Ist sie zu langweilig geworden? Sollte sie sexyer werden? Sollte sie sich anderen Männern hingeben? Schließlich muss sie mit Martin gleichauf bleiben, damit sie sich später, in der gemeinsamen Zukunft, auf Augenhöhe begegnen können.
Juliane Baldy: „Frau Fünf“. Verbrecher Verlag, Berlin 2025. 208 Seiten, 22 Euro
Mirjam erstellt ohne Pause To-do-Listen und Schlachtpläne für Miri + Martin 2.0. Sie verliert sich in dem krampfhaften Versuch, die Kontrolle zu behalten und ihrem an Martin verschwendeten Leben einen Sinn zu geben. Mit ihrem Alter Ego Frau Fünf – sie war Martins fünfte – geht Mirjam über ihre eigenen Grenzen. Und die ihrer Mitmenschen.
Im Strudel von Heuchelei und Hass
Juliane Baldys zweiter Roman – ihr Debüt, der Jugendroman Paul erschien 2020 – spielt mit überzogenen Genderrollen, die bei genauerer Betrachtung aber gar nicht sonderlich übertrieben sind. In einem Strudel von Heuchelei und Hass zeichnet sie eine Protagonistin, die – zumindest äußerlich – das Leben einer modernen, erfolgreichen Frau lebt. Die gesellschaftlichen Ansprüche, die damit einhergehen, sind aber nicht so leicht zu jonglieren.
Denn eine selbstbewusste Frau soll alles im Griff haben, Perfektion ausstrahlen, gleichzeitig aber lässig sein, zugänglich und unkompliziert. Mirjam gelingt das nicht. Sie krampft und klammert ohne Ende und lässt sich dann trotzdem völlig gehen.
Sprachlich mal abgehackt und mal ausführlich beschreibend – und immer wieder mit Fußnoten gespickt –, zieht der Roman einen hinein in den Gedankenstrom seiner gestressten Protagonistin. In Großbuchstaben hervorgehobene Stellen schreien einen geradezu an. Die eingeschobenen Ermahnungen, ruhig ein- und auszuatmen (!!!), helfen auch nicht gegen die sich beständig aufbauende Anspannung. Ganz im Gegenteil. Baldy gelingt es, dass das Unbehagen, das einen beim Lesen ergreift, an keiner Stelle abflaut. Ein feel good read ist das wirklich nicht.
Männer als bloße Randfiguren
Baldy lässt Mirjams Spagat zwischen der Bereitschaft, anderen entgegenzukommen, und dem Versuch, für sich selbst einzustehen, misslingen. Am Ende steht Selbstaufgabe neben aggressivem Egoismus. Ihre Protagonistin kann andere Menschen nicht leiden, am wenigsten die, die ihr nahestehen, eigentlich nicht mal Martin. Allerdings kann sie auch sich selbst nicht ertragen und sucht händeringend nach Anerkennung und einer Rolle, die sie vor sich selbst und anderen annehmen kann. Es ist, als beobachte man sie dabei, wie sie auf eine Wand zurast.
Obwohl Mirjams Gedanken von Martin und anderen Männern besessen sind, kommen männliche Charaktere – anders als in vielen anderen Romanen über heterosexuelle Beziehungen – nur als blasse Randfiguren vor. „Frau Fünf“ läuft auf eine einfache Frage hinaus, die allerdings nur unter größter Anstrengung zu beantworten ist: Was ist eine Frau, deren Leben um ihren Mann kreist, ohne ihn? Bleibt da überhaupt etwas übrig?
Juliane Baldys ungewöhnlicher Roman zeichnet das fesselnde Bild einer verlassenen Frau, die stets versucht hat, es allen recht zu machen, die unbedingt gemocht werden will und dabei unausstehlich geworden ist. Ist das nicht irgendwie relatable? Anstrengend zu lesen ist der Roman aber trotzdem.
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