Roman „Die Kandidatin“: Weltanschauliche Anliegen
Constantin Schreiber beschreibt in „Die Kandidatin“ eine feindliche Übernahme Deutschlands durch Muslime. Der Roman strotzt vor Ressentiments.
Die Schultzes werden auf Seite 107 ins Spiel gebracht. Sie ist Frisörin, er Fernkraftfahrer. Das Paar hat zwei Kinder. Obwohl beide berufstätig sind, können sich die Schultzes keine Wohnung leisten. Sie leben im Container, in Bochum.
Es wäre unnötig, mehr über sie zu erfahren. Die Schultzes sind in diesem Spiel die weißen Bauern, die geopfert werden. Das versteht man sofort. Bevor sie auf Seite 109 schon wieder verschwinden, haben sie Besuch bekommen von der Hauptfigur Sabah Hussein.
Sie ist die aus dem Libanon stammende muslimische Kanzlerkandidatin der „Ökologischen Partei“. In diesem Spiel kommt ihr die Rolle der schwarzen Dame zu, deren politischer Siegeszug sich kaum aufhalten lässt.
Den Schultzes hat sie beim Besuch im engen Familiencontainer – es war ein Wahlkampftermin – geraten, den Job des „Migrationshelfers“ anzunehmen. Also zum Beispiel Behördengänge für Eingewanderte zu erledigen und deren Kinder zu betreuen. Dann locke „ein solides Gehalt vom Staat“ und solche Migrationshelfer würden auch in Bochum dringend gebraucht.
Islamisierung Deutschlands
Das Spiel, das in „Die Kandidatin“ läuft, ist die schleichende Islamisierung Deutschlands. Ihr lässt der Autor des Buchs, Constantin Schreiber, im Hauptberuf Sprecher der ARD-„Tagesschau“, die feindliche Übernahme und schließlich den Untergang folgen. Die Muslimin Sabah Hussein hat beste Chancen, Bundeskanzlerin zu werden.
Antirassismus und konsequente Förderung von Benachteiligten haben Deutschland zu einem Paradies für Muslime, Menschen „nichtweißer Hautpigmentierung“ (sic) und überhaupt für Gruppen mit „Diversitätsmerkmalen“ gemacht. Mindestens ein Viertel der Mitarbeiter in Behörden und Betrieben müssen praktizierende Muslime sein. Ist die Quote nicht erfüllt, können überzählige weiße Mitarbeiter entlassen werden.
Constantin Schreiber: „Die Kandidatin“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, 208 Seiten, 22 Euro
Das ehemalige Flüchtlingsmädchen Sabah Hussein konnte in dieser Gesellschaft bis ganz nach oben aufsteigen. Sie hat den Trumpf ihres „Vielfaltsmerkmals“ in kühler Berechnung ausgespielt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern fliegt Deutschland monatlich Tausende neue Einwanderer aus dem Nahen Osten ein, und damit neue Wähler der muslimischen Kanzlerkandidatin.
Vision von Deutschlands Zukunft
Glaubt man dem Buchdeckel, hat Schreiber einen „Roman“ verfasst. Eine Vision vom Deutschland der Zukunft will er darin entfaltet haben. Und in der Tat lobt das migrantenfeindliche Portal PI News, das vom Verfassungsschutz als „erwiesen extremistisch“ eingestuft wird, das Buch als Roman, „der sich gewaschen hat“. Aber für besonders fiktiv soll sein Publikum die darin ausgebreitete gesellschaftliche Vision nicht halten. Eine Interpretationshilfe gab Schreiber in einem Interview: „Messerscharf“ habe er sich in seinem Buch an der Wirklichkeit orientiert.
Ein Autor kann das Objekt seiner Abneigung in die Zukunft oder auch, wie die Literaturgeschichte zeigt, in die Vergangenheit legen: Gemeint ist überwiegend die Gegenwart. Als extrem einsichtige Leserin erweist sich die Junge Freiheit, das Blatt für gebildete Rechtsnationale, das dem Autor, neben Mut, einen realistischen Blick attestiert.
Der „Tagesschau“-Sprecher beschreibe „Entartungen […], deren giftige Keime bereits jetzt gelegt sind“. Treffend analysiert der Rezensent vom rechten Rand, dass bei Schreiber „die Romanform wie eine Trägerrakete funktioniert, mit der der Autor sein weltanschauliches Anliegen in den öffentlichen Orbit schießt“.
Psychologisch glaubhafte Figuren und eine nachvollziehbare Handlung wären da, wie die Junge Freiheit gut erkennt, literarischer Ballast. Der Autor schiebt sein Personal wie leblose Schachfiguren herum. Die schwarze Dame Sabah Hussein rückt dann regelmäßig in die Nähe ihres Königs, eines Imams in Berlin-Neukölln, von dem sie sich heimlich beraten lässt.
„Weißensteuer“
Und Schreibers „weltanschauliches Anliegen“? Auch die weiße Oberschicht hat kein ungestörtes Leben mehr. Sabah Hussein möchte Einwanderer in den vornehmen Villenvierteln ansiedeln und dies mit einer „Weißensteuer“ finanzieren. Als Vorgeschmack plündern schwarze Läufer schon mal Anwesen in Berlin-Grunewald und Hamburg-Blankenese. Weiße Familien ergreifen die Flucht.
„Die Kandidatin“ ist ein politisches Hasspamphlet, das Angst vor Migranten schürt. Das hier Geschilderte ist möglich, es steht quasi vor der Tür, lautet die humorfreie Botschaft. Und wie das Echo des Geschilderten hallt ein freudloser Appell durch die 208 Seiten: Deutsche, wehrt euch!
Wie das geht, macht eine blonde ostdeutsche Polizistin vor. Sie hat „das Spiel der Politik“ durchschaut, greift zum Gewehr und schießt auf die muslimische Kanzlerkandidatin. Vor Gericht zeigt sich die weiße Dame dann als aufrechte Überzeugungstäterin. Warum sie auf Sabah Hussein geschossen habe, möchte die Staatsanwältin wissen.
„Muslime, Übernahme, Untergang“
„Weil ich verhindern wollte, dass Deutschland von einer Islamistin regiert wird“, rechtfertigt die Polizistin ihren Anschlag. In ihrem Verteidigungspamphlet dürfen die Wörter, „noch mehr Muslime“, „Übernahme unseres Landes“ und „Untergang“ natürlich nicht fehlen.
Eine patriotische Polizistin, die auf eine muslimische Politikerin schießt, als Retterin der Nation? In Wortmeldungen, die seine Buchveröffentlichung begleiten, betreibt Schreiber Selbstverharmlosung und rudert zurück. Er wolle mit seinem Werk vor „Polarisierung“ und auch vor der Gefahr des Rechtsextremismus warnen. Außerdem gebe es „satirische Ansätze“ in seinem Buch.
Man irrte, ginge man davon aus, dass nur rechtslastige Medien Schreibers Buch begrüßen. Positiv wurde „Die Kandidatin“ auch vom Tagesspiegel, der Welt, der Zeit und vom Hamburger Abendblatt („Der Roman der Stunde“) aufgenommen. Vor allem kann sich „Tagesschau“-Sprecher Schreiber freuen, dass sein Sender die Werbetrommel für sein Buch gerührt hat. In Talkshows durfte er es präsentieren und das Boulevard-Magazin „Brisant“ sendete einen Beitrag.
Hetzschrift
Darf ein prominentes Fernsehgesicht im eigenen Sender für sein Buch werben? Wie ist eine notdürftig als Roman verkleidete Hetzschrift mit den Neutralitätsansprüchen an einen Nachrichtensprecher in Einklang zu bringen? Auf Anfrage teilt der NDR mit, in Talkrunden, in denen ein Gast auf sein Buch hinweist, werde streng darauf geachtet, dass das Gespräch „keinen werblichen Charakter“ hat. Seine schriftstellerische Tätigkeit sei „getrennt von seiner Tätigkeit im NDR zu betrachten und fällt unter die Kunstfreiheit“.
Wird diese Trennungslinie zu halten sein? Welche Agenda Schreiber antreibt, hätte die ARD wissen können. Sie hätte bloß auf den Verfassungsschutz hören müssen. 2017 veröffentlichte Schreiber das Werk „Inside Islam“, das sich zum Sachbuch ungefähr so verhält wie „Die Kandidatin“ zum Roman. Ein Fachmann des Hamburger Verfassungsschutzes zerlegte es öffentlich.
Das Buch über Predigten in 13 deutschen Moscheen strotze vor Fehlern und Verzerrungen und habe den offensichtlichen Zweck, die „Gefahr“, die von Moscheen ausgehe, zu übertreiben, konnte man in dem detaillierten Verriss nachlesen. Ähnlich haben fachkundige Kritiker auf das 2019 erschienene Schreiber-Werk „Kinder des Koran“ reagiert.
Aber was ist solche Kritik im Vergleich zu den lautstarken Angriffen der AfD und der Springer-Blätter auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Für ihren schriftstellernden Nachrichtensprecher darf die ARD von dieser Seite mehr Lob als Tadel erwarten. Wenn Constantin Schreiber nun die „Tagesschau“ liest, schwingt immer die Botschaft mit: Ein bisschen Ressentiment muss sein.
Der Rezensent Stefan Buchen arbeitet als Journalist für das ARD-Magazin „Panorama“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin