Rollifahrer_innen gegen Teilhabegesetz: Demo-Übernachtung vor Bundestag
Viele behinderte Menschen halten das Bundesteilhabegesetz für ungerecht. Seit Mittwochabend kampieren Aktivist_innen vor dem Bundestag.
„Wir fordern, dass auch private Anbieter zur Barrierefreiheit verpflichtet werden“, sagte die Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland und Mitinitiatorin der Aktion, Sigrid Arnade, Donnerstagnacht am Reichstagsufer. Unter anderem Gaststätten, Restaurants oder Kinos müssten auch nach Verabschiedung des Gesetzes keinen Zugang für Menschen im Rollstuhl ermöglichen, so Arnade. Das Bundesteilhabegesetz sieht diesen verpflichtend nur für Ämter und Bundesbehörden vor.
Der Sozialverband VdK Deutschland kritisiert die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes, die am Donnerstag im Bundestag beraten wird, als völlig unzureichend. „Die Bundesregierung macht nur halbe Sachen – zulasten von Menschen mit Behinderungen, die in Deutschland auch künftig auf zahllose Barrieren stoßen werden“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Die neuen Regeln für Barrierefreiheit erstrecken sich laut Mascher nur auf öffentliche Gebäude und Ämter. „Sie gelten aber nicht für den kompletten privaten Bereich, also etwa für Gaststätten, Hotels, Supermärkte oder Arztpraxen.“ Hier setze die Bundesregierung nur auf freiwillige Vereinbarungen. Es gebe offensichtlich eine mächtige Lobby, „die stärker ist als die Sozialverbände“.
Barrierefreiheit fehlt oft noch
Die VdK-Präsidentin befürchtet, dass weiterhin viele behinderte Menschen wichtige Dienste und Angebote nicht nutzen können. „Es gibt einen Klassiker – unten ist die Apotheke, im ersten Stock ist der Arzt, und es ist kein Lift da. Von der vielbeschworenen freien Arztwahl kann da ja wohl keine Rede sein.“ Sogar die Altenheime seien nicht alle barrierefrei.
Das Bundesteilhabegesetz soll Hilfen für Menschen mit Behinderung neu gliedern. Die Leistungen für Betroffene sollen verbessert, die Bereitstellung weniger kompliziert werden. Unter anderem ist geplant, dass Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfe bekommen, deutlich mehr Vermögen als heute behalten dürfen. Heute sind es nur 2.600 Euro.
Behinderte, die in speziellen Werkstätten arbeiten, sollen leichter auf den regulären Arbeitsmarkt kommen. In Deutschland leben mehr als zehn Millionen Menschen mit Behinderung, davon sind 7,5 Millionen Schwerbehinderte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!