piwik no script img

Grüne übers Bundesteilhabegesetz„Im Rollstuhl auf Hilfe angewiesen“

Menschenrechte und gesellschaftliche Teilhabe dürfen nicht von Kostenerwägungen beschnitten werden, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer.

Immer noch in weiter Ferne: die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Foto: dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Das Bundesarbeitsministerium hat einen Referentenentwurf für ein Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen veröffentlicht. Sozialverbände, Grüne und die Linkspartei protestieren. Wo liegt das Problem?

Corinna Rüffer: Dass die Bundesregierung das Gesetzesvorhaben verfolgt, ist gut und überfällig. Schließlich hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 ratifiziert, die die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft vorsieht. Die Bundesregierung hat aber versprochen, die Eingliederungshilfe für Behinderte aus dem System der Fürsorge herauszulösen. Das ist nicht passiert.

Was bedeutet das konkret?

Eingliederungshilfe beinhaltet Unterstützung, die ein behinderter Mensch braucht, etwa Assistenz bei der Arbeit, in der Freizeit. Diese Unterstützungsleistung soll weiterhin wie Sozialhilfe behandelt werden. Wer dafür Ansprüche geltend machen will, muss sich vor den Ämtern nackig machen, also angeben, welches Einkommen und Vermögen er oder sie hat, und der Lebenspartner. Das allermeiste beim Vermögen wird angerechnet.

Aber es gibt doch mit dem neuen Gesetz höhere Freibeträge für Betroffene.

Nach der neuen Regelung sollen Personen 25.000 Euro ansparen dürfen, ohne dass dies auf die Eingliederungshilfe angerechnet wird. Das betrifft aber nicht die vielen Leute, die zusätzlich zur Eingliederungshilfe noch Hilfe zur Pflege bekommen, also im häuslichen Bereich Unterstützung brauchen. Für die bleibt es bei dem Vermögensfreibetrag von 2.600 Euro; für einen Paarhaushalt sind es nur ein paar Hundert Euro mehr. Leute mit Behinderung ziehen also weiterhin einen Partner mit in die Armut.

Im Interview: Corinna Rüffer

40, ist behindertenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Sie studierte Politikwissenschaften und Öffentliches Recht an der Uni Trier. Bevor sie in den Bundestag wechselte, war sie von 2007 bis 2013 Mitglied des Trierer Stadtrats.

Hartz-IV-Empfänger merken kritisch an, dass bei ihnen auch eigenes Vermögen angerechnet wird.

Diese beiden Bereiche muss man auseinander halten. Ein Mensch mit Behinderung kann nichts daran ändern, dass er Unterstützungsbedarf hat, dass er sich nicht alleine anziehen kann, nicht alleine auf die Toilette kann. Oft betrifft das ja Menschen, die schwerst eingeschränkt sind. Im Bundesteilhabegesetz geht es nur um den Ausgleich dieser behinderungsbedingten Nachteile, also auf keinen Fall darum, behinderte Menschen gegenüber Hartz-IV-Empfängern irgendwie zu bevorteilen.

Behindertenverbände sind besorgt wegen der Kostendebatte. Eine persönliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit mehreren Assistenten im Schichtdienst kann 10.000 Euro im Monat kosten.

Die neuen Regelungen sind geeignet, Menschen mit hohem Assistenzbedarf im Zweifelsfall dazu zu zwingen, aus der eigenen Wohnung hinaus in ein Heim zu ziehen. Bisher gibt es im Recht einen Vorrang ambulant vor stationär, diese Unterscheidung zwischen ambulant und stationär wird aufgehoben. Das Wunsch- und Wahlrecht, was die Betreuungsform betrifft, wird zwar im Gesetz betont, aber auf „angemessene“ Wünsche der LeistungsbezieherInnen beschränkt.

Was könnte das in der Praxis bedeuten ?

Es gibt bisher schon große regionale Unterschiede in den Kommunen, inwieweit Menschen mit schweren Einschränkungen mithilfe von Assistenten alleine leben oder doch in Einrichtungen wohnen. Die Kommunen wollen Kosten sparen. Und wenn da jetzt ein Rollifahrer kommt und sagt, ich möchte gerne 24-Stunden-Assistenz haben, die leicht in den fünfstelligen Bereich geht, dann überlegen sie möglicherweise schon, ob es nicht günstiger wäre, diese Person in ein Heim zu schicken.

Bisher war es so, dass die Gerichte weitgehend den Betroffenen eine selbstständige Lebensweise mit Hilfe von Assistenten zugestanden haben.

Stimmt. Wenn die Leute die Kraft hatten, den Kampf vor Gericht durchzustehen, ist es meist so ausgegangen, dass sie zu Hause bleiben konnten. Aber mit dem neuen Gesetz verschlechtert sich die Rechtslage.

Die Grünen könnten dem Gesetz im Bundesrat die Zustimmung verweigern. Was sind Ihre Gegenvorschläge?

Wir wollen, dass die Teilhabeleistungen ohne Bedürftigkeitsprüfung gewährt werden. Und dass es ein echtes Wunsch- und Wahlrecht gibt, ohne nachteilige Kostenvergleiche. Die Menschenrechte und gesellschaftliche Teilhabe lassen sich nicht durch Kostenerwägungen beschneiden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Liebe Frau Dribbusch, Ihre Bildauswahl zeigt einfach eine Rollstuhlnutzerin beim Überqueren einer Strasse. Fehlende Teilhabe assoziiere ich mit dem Bild nicht.

  • "Diese Unterstützungsleistung soll weiterhin wie Sozialhilfe behandelt werden."

     

    Es ist ja auch Sozialhilfe. Wie soll man es denn sonst nennen, wenn hilfsbedürftige Menschen Geld vom Staat bekommen?

     

    "Diese beiden Bereiche muss man auseinander halten. Ein Mensch mit Behinderung kann nichts daran ändern, dass er Unterstützungsbedarf hat, dass er sich nicht alleine anziehen kann, nicht alleine auf die Toilette kann. "

     

    Ein Mensch mit geringem IQ, der nur im Niedriglohnsektor arbeiten kann und möglicherweise aufstocken muss, kann auch nichts für seine Situation. Trotzdem hält Rüffer es offenbar für naturgemäß, dass diese Menschen für Kost und Logis arbeiten und kaum sparen können.

     

    Die Frage ist: Warum sollte der Staat den finanziellen Nachteil einer Behinderung vollständig ausgleichen, während der Nachteil einer geringen Begabung so behandelt wird, als wäre er selbstverschuldet?

    • @Thomas Friedrich:

      Das ist jetzt aber wirklich ein saublöder Vergleich, da sollten Sie wirklich noch mal in sich gehen. -

       

      Was Sie vor allem übersehen, ist nämlich auch, dass nicht jeder, der Hartz IV bekommt, nur über einen geringen IQ verfügt. Eigentlich ist Ihr Vergleich so unsäglich, dass sich eine Erwiderung verbieten würde.

      • @LiebeSonneScheine:

        "Was Sie vor allem übersehen, ist nämlich auch, dass nicht jeder, der Hartz IV bekommt, nur über einen geringen IQ verfügt."

         

        Das ist mir klar. Aber viele Menschen haben einen geringen IQ und keine Chance, etwas besseres als einen Job im Niedriglohnsektor zu finden. Warum ist es in Ordnung, wenn diese Menschen aufgrund eines angeborenen Defizits am Existenzminimum leben, während es bei Behinderten nicht in Ordnung ist?

  • Der Artikel 19 der von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten UN-Behindertenrechtskonvention besagt, dass behinderte Menschen selbst wählen können, wie sie leben wollen. Dieser Hinweis fehlt im Artikel völlig.

     

    Hier will man also die rechtsgültige UN-Behindertenrechtskonvention unterwandern und damit die Menschenrechte behinderter Menschen bewusst ignorieren.

    Das nenne ich Rechtsbruch der besoders perfiden Art!