Rolle der USA im Ukrainekonflikt: Die Kriegsmaschinerie läuft
In den USA ist der Hass auf Putin groß. Dabei wird vergessen, welche teils unrühmlichen Rollen die US-Regierungen in der Welt gespielt haben.
E s ist eine Woche her, dass US-Präsident Joe Biden sich Ärger einhandelte, weil er aussprach, was wohl viele US-Amerikaner:innen über Wladimir Putin denken: „Um Gottes willen, dieser Mann darf nicht an der Macht bleiben.“ Bidens Worte beruhten mehr auf moralischer Empörung, und er hat sie seitdem erläutert. Aber viele meiner Mitbürger:innen wären weniger diplomatisch. Sie fragen ganz offen, warum nicht jemand losgeschickt wird, um Wladimir kaltzumachen.
ist freie Journalistin aus Washington, D. C. Sie hat mehr als 25 Jahre für das gemeinnützige National Public Radio (NPR) gearbeitet. Ihre Themenschwerpunkte waren das Weiße Haus und Sozial- und Gesundheitspolitik.
Es gibt keinerlei Sympathien für die Ansicht, dass es Putin wohl missfällt, wenn die Ukraine zu nahe an die Nato oder die USA rückt, oder dass die Amerikaner:innen es auch nicht gern sähen, wenn Putin und seine Raketen ihrem Land zu nahe kämen. Nach Meinung der meisten US-Amerikaner:innen hat die Ukraine doch jedes Recht, über ihre Regierung selbst zu entscheiden. Es sei doch lächerlich, dass Russland die Ukraine als Bedrohung empfinde. Amerikaner:innen sind sich sicher, dass die USA schuldlos an allem sind, was Selenski oder die Ukrainer:innen tun. Ich habe da meine Zweifel.
Man wird wenig Verständnis für eine Debatte finden, ob die USA womöglich noch andere Motive als die Verteidigung der ukrainischen Souveränität haben – dass sie vielleicht ja mit der Nato eine vereinte Front gegen Russland und ein Bollwerk gegen China aufbauen wollen. Alle scheinen vergessen zu haben, wie unsäglich etliche US-Regierungen mit dem Zerfall der Sowjetunion umgegangen sind. Russland war als Verbündeter des Westens gegen die sogenannte Gelbe Gefahr – das kommunistische China – willkommen, falls es bereit sei, die zweite Geige zu spielen.
Zweifel werden als Propaganda abgetan
Viele in den USA halten unsere Version der Demokratie autoritären Regierungsformen für überlegen. Vielleicht ist sie es auch, aber es ist unklar, in wessen Interesse sie besteht. Ihre Industriemagnaten suchen auf der ganzen Welt stets nach neuen Märkten, ihr Lebensstil erstickt am Materialismus und einer gigantischen Ungleichheit.
Solche Zweifel werden abgetan als Propaganda, vergleichbar mit der Putins oder der schlimmsten unserer Neokonservativen, und auch nicht zu weit entfernt vom Denken der heutigen äußersten Linken, die die USA vor allem als Treiber des Militarismus sehen. In den hiesigen Medien sind solche Ansichten kaum vertreten. Derlei Darlegungen sind zu lang und rätselhaft, und ihre Anhängerschaft ist auf verdächtige Weise feindselig gegenüber der Nato, den USA und weißen Menschen im Allgemeinen.
Es gebe keinen Ort auf der Welt, an dem die USA interveniert haben, so die Kritik an unserer Regierungsform, der danach nicht tiefer im Schlamassel steckte. Aber wir sind längst über den Punkt hinaus, an dem man noch sagen kann, der Ukraine ginge es besser, wenn wir uns nur herausgehalten hätten. Ich frage mich nur, ob wir sie in einen Krieg getrieben haben, in dem wir ihnen nun nicht beistehen wollen. Anstatt nach Antworten zu suchen, werden uns täglich zerstörte russische Panzer und getötete Kinder aufgezählt, während TV-Moderatoren angesichts der Zerstörung von Mariupol in Tränen ausbrechen.
Es ist die bekannte Kriegsmaschinerie, die mich als Reporterin an die endlosen Tage und Nächte des Irakkriegs von 2003 erinnert. Gott ist angeblich auf unserer Seite bzw. derer, die von uns unterstützt werden – nicht mit Leib und Leben, aber mit Panzern, Raketen, Geheiminformationen und Geheimagenten. Begreifen können wir all die Berichte über das Leid fliehender oder in U-Bahnhöfen kauernder Familien und dem Erdboden gleichgemachte Städte nicht. Ein verzweifelter Mann sagt, dass man nicht anders handeln könne. Mein Herz zerbricht ebenso sehr oder vielleicht noch mehr für die, die leiden, weil sie wie wir sind.
Übersetzung: Stefan Schaaf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe