Rocko Schamoni in Berlin: Persönliche Evergreens
Unterhaltung statt Diskurspop: Bei seinem Konzert in Berlin wird Rocko Schamoni mit Lieblingssongs und großem Orchester nostalgisch.
Bleiben Sie auf Ihren Plätzen, empfiehlt der Autor Gereon Klug, der die Zuschauer im ausverkauften Deutschen Theater am Samstagabend begrüßt, nennenswerte Pausen werde es keine geben. Das Konzert von Rocko Schamoni mit dem Orchester Mirage wird mit Spannung erwartet. Das Getuschel erstirbt, sobald das Licht gedimmt wird.
Der den Abend einleitende Berliner Musiker Lambert beginnt sehr langsame Akkorde am Piano zu spielen. Er zitiert den Anfang von J. S. Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Dann erklärt er, einmal im Jahr ringe er sich zum Joggen durch, davon handle das nächste Lied. „Run“ ist wieder im Zeitlupentempo. Lambert reckt eine Faust in die Höhe, spielt das Lied zu Ende und verabschiedet sich unter Applaus.
Das Orchester Mirage nimmt die Plätze ein. Rocko Schamoni hat sich in der Wahl seiner 16-köpfigen Begleitung einen Herzenswunsch erfüllt. Mit den Musikern, darunter die Geigerin Ruth May, die Sängerin Rica Blunck und der Arrangeur und Posaunist Sebastian Hoffmann, hat er Coverversionen seiner Lieblingssongs aufgenommen. Weil sich keine Plattenfirma fand, hat Schamoni „Die Vergessenen“ mittels Crowdfunding finanziert, es wird 2015 erscheinen.
Eine Spur Charles Aznavour
Einleitend spielt das Orchester ein Thema aus dem Soundtrack des italienischen Films „La moglie più bella“ („Recht und Leidenschaft“, 1970), komponiert von Ennio Morricone. Das melodramatisch brodelnde Motiv des Originals nimmt das Orchester zurück, tastet sich beim Spielen an den Raumklang und die schwierige Dynamik zwischen akustischen und elektrisch verstärkten Instrumenten vor. Rocko Schamoni und Rica Blunck schleichen auf die Bühne. Schamoni blickt sich suchend um: Wo bin ich? Wer bin ich?
„Michelangelo Antonioni“ vom brasilianischen Sänger Caetano Veloso singt Schamoni auf Deutsch, wirkt aber stimmlich etwas unbeholfen, wenn er ins Portugiesische wechselt. Er grinst ins Publikum, gewinnt im Duett mit Blunck an Sicherheit, macht dann auch großzügige Chansonnier-Gesten mit der ausgestreckten Hand und erinnert in seinem grau-braunen Anzug an Charles Aznavour.
Jeden Anflug professionellen Entertainments zerstört Schamoni fast wollüstig mit seinen Ansagen. „Ihr seid echt strong!“ Bei Manfred Krugs Liebeserklärung an Ostberlin, „Der Tag beginnt“, wird klar, Schamoni ist kein Stimmwunder, er wackelt bedenklich in den Nuancen, verhehlt auch nicht, wie schwer ihm die Anverwandlung dieses Evergreens fällt.
Je näher er den Songs seiner Jugend kommt, etwa „Rom“ von der Hamburger NDW-Band Saal 2 oder „Was kostet die Welt“ von der Münchner Band FSK, desto sicherer wirkt seine Darbietung. Dann schafft er es, die New-Wave-Kühle ohne Reibungsverlust auf die Bühne zu übersetzen. Dieses Spiel zwischen Distanz und Nähe klappt auch bei der Orchesterversion des Lassie-Singers-Songs „Ist das wieder so’ne Phase“, wozu er die Komponistin Christiane Rösinger auf die Bühne bittet und ihr Kreuzberger-Kitchen-Sink-Drama auf ein Seidenlakenarrangement bettet.
Nonchalant schmuggelt er eine Eigenkomposition ins Programm: „Die Raute“ handelt von einer Frau namens Angela. „Was hat die Macht aus dir gemacht?“, fragt Schamoni im funky Groove und dem endlos gehauchten „CDU“.
Zum Tanzen kriegt Schamoni das Publikum dann mit dem anarcho-syndikalistischen Discopunk des Berliner Duos Jeans Team. Sein Refrain „Kein Gott / Kein Staat / Keine Arbeit /Kein Geld / Mein Zuhause ist die Welt“ wird bereitwillig mitgesungen. Der Atheismus von Coverversionen, das zeigt Schamoni an diesem unterhaltsamen Abend, kann ein Ausweg aus dem missionarischen Eifer von Diskurspop sein.
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