piwik no script img

Ringen um die WehrpflichtWadephul zieht Vorbehalt zurück und vermeidet Eklat

Am Mittwoch dürfte das neue Wehrdienstgesetz jetzt doch noch problemlos das Bundeskabinett passieren. Aber die Diskussion geht weiter.

Auch das Protestcamp des Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen“ beteiligt sich mit einem eigenen Beitrag an der Diskussion Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Berlin dpa/afp/taz | Die SPD wehrt sich gegen Bestrebungen der Union, das geplante Wehrdienstgesetz in den Parlamentsberatungen „nachzuschärfen“. Dabei geht es der Union um verbindliche jährliche Zielvorgaben für die Aufstockung der Bundeswehr mit Freiwilligen, deren Unterschreiten Schritte zu einer Wehrpflicht auslösen soll.

„Man sollte vielleicht erstmal abwarten, wie ein Gesetz wirkt, bevor man schon vorweg die Verschärfung fordert“, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Christoph Schmid der Augsburger Allgemeinen. Die fachlich zuständige Vize-Fraktionsvorsitzende Siemtje Möller sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wir haben uns im Koalitionsvertrag eindeutig verständigt: Der neue Wehrdienst startet freiwillig – und das gilt.“

Der Entwurf des Wehrdienstgesetzes von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden. Kernpunkt ist der Ausbau der Bundeswehr bis zum Ende des Jahrzehnts von derzeit rund 182.500 auf 260.000 aktive Sol­da­t:in­nen sowie von etwa 60.000 auf 200.000 Reservist:innen. Erreicht werden soll dies über eine Anlehnung an das „Schwedische Modell“. So setzt der Entwurf zunächst vorwiegend auf Freiwilligkeit und einen finanziell attraktiveren Dienst, um mehr junge Leute für die Bundeswehr zu gewinnen.

In der Union gibt es allerdings massive Zweifel, ob das Freiwilligenmodell ausreicht. Deshalb wird aus ihren Reihen ein Automatismus verlangt, um zur derzeit noch ausgesetzten Wehrpflicht zu zurückzukehren. Daher hatte der christdemokratische Außenminister Johann Wadephul (CDU) mit einem sogenannten Ministervorbehalt zwischenzeitlich Einspruch gegen den Gesetzentwurf eingelegt, um Bedenken der Union geltend zu machen.

Ministervorbehalt zurückgezogen

Damit hätte er die Verabschiedung zunächst gestoppt. Doch nach Gesprächen zwischen den Ministerien zog Wadephul seinen Vorbehalt am Montagnachmittag wieder zurück. „Der Vorbehalt des Auswärtigen Amtes ist zurückgenommen, der Gesetzentwurf ist am Mittwoch im Bundeskabinett“, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius der Nachrichtenagentur Reuters.

„Die Punkte, die für die ursprüngliche Einlegung maßgeblich waren, konnten in heutigen Gesprächen geklärt werden“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. „Im anschließenden parlamentarischen Verfahren wird es weitere Beratungen geben. Ziel ist und bleibt, die Fähigkeitsziele der Nato zu erfüllen und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken.“

Der Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU) setzt ebenfalls weiter auf Nachschärfungen in den Beratungen des Bundestags. „Wir müssen jetzt konkrete Meilensteine vereinbaren, die einen Spurwechsel von der Freiwilligkeit zur Pflicht vorsehen, wenn diese nicht ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online. „Das Prinzip Hoffnung kann in einem so wichtigen Bereich nicht handlungsleitend sein, und jedes Abwarten auf eine weitere Zuspitzung der sicherheitspolitischen Lage wäre unverantwortlich.“

Jusos geht Gesetzentwurf zu weit

Kritik an dem Gesetzentwurf aus einer anderen Richtung kommt von den Jusos. „Die Pläne der Bundesregierung für einen neuen Wehrdienst gehen viel zu weit“, sagt der Chef der SPD-Nachwuchsorganisation, Philipp Türmer, der Rheinischen Post. „Sie beinhalten eine Hintertür, um junge Männer einzuberufen, wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist“.

Das gehe „zu weit in Richtung Wehrpflicht und widerspricht dem Kompromiss, den wir mit Boris Pistorius gefunden hatten“, kritisierte Türmer. „Er hat beim SPD-Parteitag eindeutig zugestimmt, keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur zwangsweisen Heranziehung junger Männer zu schaffen“, betonte der Juso-Chef. „Wir Jusos lehnen diese Möglichkeit im Entwurf daher klar ab und setzen auf Änderungen hin zu klarer Freiwilligkeit.“

Auf Antrag der Jusos hatte der SPD-Bundesparteitag im Juni beschlossen, die SPD sei gegen eine „aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind“. Gleichzeitig heißt es in dem Beschluss allerdings auch: „Wir müssen reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr dies erfordern.“ Das entspricht jedoch genau dem Gesetzentwurf von ­Pistorius.

Nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium werden im laufenden Jahr 15.000 Sol­da­t:in­nen den bisherigen freiwilligen Wehrdienst leisten. Mit der Einführung des neuen Wehrdienstes ab 2026 solle ihre Zahl „im Schnitt um 3.000 bis 5.000“ erhöht werden, um dann ab 2031 bis zu 40.000 pro Jahr zu erreichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare