Rhetorik des Olaf Scholz: Was Fakt ist, bestimme ich
Olaf Scholz benutzt in seinen Reden immer wieder die Formulierung „Klar ist“. Dabei steht seine Regierung eher fürs Rumeiern, statt fürs Klartext reden.
K ennen Sie den Moment, wenn man beim Plaudern mit Bekannten merkt, dass man gerade ein Wort oder eine Formulierung ausgesprochen hat, die man sich von ihnen abgehört hat? Mega unangenehm. Vor allem dann, wenn die Übernahme unabsichtlich passierte. Mimikry nennt man in der Psychologie das Phänomen des unbewussten Nachahmens.
Im politischen Betrieb samt angeschlossenen Medien-, Werbe-, Lobbybubbles ist dieses Phänomen gut zu studieren. Da geht es natürlich nicht um Wörter wie „krass“, „cringe“, „obergeil“, „saugut“ oder „absurd“. Was ich meine, betrifft auch nicht Dinge wie das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz, für die es nun mal kein anderes Wort gibt. Ich meine unauffälligere Dinge.
Im Jahr 2011 beispielsweise wurde „alternativlos“ zum Unwort des Jahres erklärt, weil es für die Diskussionsunwilligkeit der Regierung Merkel stand. Die Ära Scholz ist bisher klar von einer Formulierung geprägt: „Klar ist:“. Der verkürzte Deklarativsatz, bei dem der Doppelpunkt mitgesprochen wird – wirklich, hören Sie mal genau hin!
Klar ist: Schon in der Regierungserklärung von Olaf Scholz zur Zeitenwende am 27. Februar stand diese Formulierung an zentraler Stelle: „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.“
Was Scholz daran so richtig gut gefällt, bleibt freilich unklar
Klar ist: „Klar ist:“ benutzt er in so gut wie allen Presseerklärungen, Reden, Mitteilungen und Interviews. Klar ist: Der Scholzomat hat inzwischen alle anderen Politisierenden und Politikkommentierenden mit seinem deklarativen Doppelpunkt infiltriert. In einer Zeit, in der große Geschäfte und einflussreiche Politik mit gezielten Fake News gemacht wird, ist verständlich, dass Politik und Medien Ding klarstellen wollen. Dabei ausgerechnet das Adjektiv „klar“ eine Karriere machen zu lassen, halte ich für falsch.
Wird doch in allzu vielen Fällen aus der vermeintlichen Klarheit ein ziemlicher vernebelter Sachverhalt. Zumal in vielen „Klar ist:“-Sätzen des Kanzlers der Nebel schon hinterm Doppelpunkt beginnt: „Klar ist: Kurz nach meiner Wahl zum Bundeskanzler habe ich die zuständigen Abteilungen im Kanzleramt gefragt, was wir eigentlich machen, wenn kein Gas aus Russland mehr kommen sollte … Klar ist aber auch, dass wir gemeinsam auf die aktuellen Herausforderungen reagieren müssen …“.
Die Aussage „Klar ist: Der Olaf war der Erste, der Klar ist: mit Doppelpunkt gesprochen hat“ wird sich kaum erhärten lassen. Sprache geht ja verschlungene Wege und Olaf Scholz wird selbstverständlich bestreiten, sich diesbezüglich an irgendwas erinnern zu können. Klar ist aber auch: Seinen Redenschreiber:innen hat er gesagt „Klar ist: gefällt mir“.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Was Scholz daran so richtig gut gefällt, bleibt freilich unklar. Klar ist: Er will sich klar von der Ära Merkel abgrenzen. Denn Merkels legendäres Schweigen ließ immerhin Raum für Interpretation. Raum für Interpretation will Scholz aber komplett ausschließen. Wer „Klar ist:“ sagt, will mitteilen: Was Fakt ist, bestimme ich.
Es wäre schön, hätte der Kanzler alles so klar, wie er behauptet. Klar ist aber auch: Ob Waffen für die Ukraine, das Austrocknen der Mullah-Milliarden oder die Frage sozialer Verteilung der Krisenkosten – Scholz’ Regierung wird jede Woche aufs Neue dafür angegriffen, weder klare Worte noch Taten zu finden. Sicher auch manchmal zu Unrecht. Mehr Mühe beim Finden rhetorischer Mittel könnte sich die Regierung aber schon machen. Schließlich scheint auch sie die deutsche Tradition beizubehalten, in Kriegen und Krisen lieber rumzueiern, statt Klartext zu reden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe