Rezeptfreie Pille danach: Erst reden, dann schlucken
Der Expertenausschuss für Verschreibungspflicht fordert die rezeptfreie Abgabe der Pille danach. Die Politik will den Vorstoß verhindern. Das ist bedauerlich.
Deutschland ist eines der drei verbliebenen EU-Länder, neben Italien und Polen, das die Pille danach bis heute nicht rezeptfrei gemacht hat. Nun hat sich der Expertenausschuss für Verschreibungspflicht, ein 22-köpfiges Gremium aus Ärzten, Apothekern und Wissenschaftlern, für eine rezeptfreie Abgabe ausgesprochen. Die Begründung: Es gebe keine medizinischen Argumente, die dagegen sprächen. Nun muss das CDU-geführte Bundesgesundheitsministerium entscheiden, ob es der Empfehlung der Sachverständigen folgen will.
Das ist unwahrscheinlich. Und das ist wiederum bedauerlich. Denn Frauen den Zugang zur Pille danach zu erleichtern, muss nicht gleich heißen, jegliche Kontrollmöglichkeiten aus der Hand zu geben.
Zwar fiele bei einer rezeptfreien Abgabe das beratende Arztgespräch weg – es würde jedoch durch ein Apothekergespräch ersetzt werden. Dieser aufklärende Dialog über die Nebenwirkungen des Medikaments vor der Ladentheke wäre zwar nicht gerade intim, und ob er wirklich stattfindet, auch nicht kontrollierbar. Das ist die Qualität des derzeit vorgeschriebenen ärztlichen Beratungsgesprächs allerdings genauso wenig. Doch vor allem: Das beratende Gespräch vor dem Apothekertresen wäre immer noch besser als eine Abtreibung, die nötig wird, weil es die ungewollt Schwangere nicht rechtzeitig zum Arzt geschafft hat.
Denn dass der Gesetzgeber das ärztliche Beratungsgespräch vor die Pille danach gesetzt hat, was an Wochenenden eine zusätzliche Hürde für die Frauen bedeutet, sei ein häufiger Grund für Abtreibungen, erklärt die Geschäftsführerin der Beratungsstelle Pro Familia in Mainz.
Keine Abtreibungspille
Im Jahr 2012 gab es laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit 106.815 Abtreibungen. Im selben Jahr wurden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 396.000 Rezepte für die Pille danach verschrieben. Die meisten Abtreibungen ließen Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren vornehmen.
Die Pille danach wirkt durch das Hormon Levonorgestrel, ein Gestagen, das den Eisprung verzögert oder verhindert. Wenn eine befruchtete Eizelle allerdings bereits begonnen hat sich einzunisten, verliert die Pille ihre Wirkung. Sie ist daher keine Abtreibungspille, wie manchmal fälschlicherweise behauptet wird. Sie wirkt im Wesentlichen wie die Antibabypille, lediglich die Wirkstoffkonzentrationen sind höher.
In Frankreich ist die Pille danach mit dem Wirkstoff Levonorgestrel seit 1999 rezeptfrei erhältlich. In Deutschland jedoch befürchten vor allem die konservativen Stimmen durch eine Freigabe dieser Pille ein ausschweifendes Sexualleben der Jugendlichen, die sich dann in Massen die Pille danach holen. Das ist Unsinn. Die allerwenigsten Frauen gehen mit einer möglichen Schwangerschaft sorglos um. Außerdem würde dieses Argument voraussetzen, dass man von einer unaufgeklärten Gesellschaft ausgeht.
Gespräch innerhalb der ersten 72 Stunden
Es ist wahr, dass nicht jedes Mädchen, das die Pille danach will, sie auch tatsächlich braucht. Es kann deshalb auch nicht um die Abschaffung einer Beratungspflicht, ob nun durch einen Arzt oder einen Apotheker, gehen. Es geht aber darum, dass dieses Gespräch innerhalb der ersten 72 Stunden nach dem ungeschützten Sex – denn nach dieser Zeitspanne wirkt Levonorgestrel nicht mehr – möglichst barrierefrei stattfinden kann.
Eine Rezeptfreiheit würde Frauen einiges an Zeit und Aufwand ersparen – und vielleicht am Ende, mangels rechtzeitigem Gang zum Arzt, auch eine Abtreibung, die sie eigentlich gar nicht wollten.
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