Retrospektive von Ai Weiwei: Flucht als Readymade
Zwischen Selbstinszenierung und klarer politischer Verortung: Die große Retrospektive von Ai Weiwei in Düsseldorf ermöglicht Differenzierung.
East Village, 1990er-Boheme: Autor Allen Ginsberg, Demonstranten in der Wall Street, Wahlkämpfer Bill Clinton. Und immer wieder ein chinesischer Kunststudent, pausbäckig, jungenhaft, im Museum, im Park, im Bett. Von 1983 an studierte Ai Weiwei zehn Jahre in New York; während dieser Zeit entstanden unzählige Fotos, die einerseits den Geist der Metropole dokumentierten, andererseits auch Ais schon damals ausgeprägten Sinn für Selbstinszenierungen zeigten.
57 dieser Fotos sind in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW zu sehen, und auf vielen taucht der Künstler selbst auf – frühe Selfies, die einen Widerhall finden in den Handyaufnahmen, mit denen Ai zuletzt die globale Migration dokumentierte und dabei ebenfalls häufig in die Kamera grinste.
Düsseldorf ist spät dran: Galt Ai Weiwei in den Nullerjahren als Prototyp des globalen Politkünstlers, so wird der heute 61-Jährige mal als geschickter Selbstvermarkter geschmäht, der die Kritik am chinesischen Regime zur weltweit verkaufbaren Trademark gemacht hat, mal als Schaumschläger, dessen Rolle gegenüber dem Regime alles andere als eindeutig ist und der zudem in seiner teils industriell organisierten Kunstproduktion ethische Grundsätze vermissen lässt. Natürlich ist es nicht Aufgabe einer Ausstellung, dieses Bild zu korrigieren, bloß: Eine gewisse Begründung, weswegen man den Künstler ausgerechnet jetzt präsentiert, sollte man schon bekommen.
Die Kritik zielt an der Kunst konsequent vorbei
Die Schau macht das an den beiden Ausstellungsorten Ständehaus und Grabbeplatz nicht ungeschickt, indem sie Werke aus allen Arbeitsphasen Ais präsentiert. Mit denen kann man die Kritik ein Stück weit nachvollziehen, erkennt aber gleichzeitig, dass sie an dieser Kunst konsequent vorbei zielt.
Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, bis 1. Oktober 2019.
Gezeigt werden drei Phasen, die sich recht eindeutig mit Lebens- und Arbeitsorten verbinden lassen: Im Ständehaus sieht man (wenige) frühe Arbeiten aus New York, in denen der Künstler mit Gemälden wie „Coke Painting“ (1982–1983) seinen Weg zwischen Fluxus und Pop suchte. Darauf folgen primär in Peking verortete Projekte ab 1993, Projekte, die teils dokumentarischen, teils kunsthandwerklichen Charakter haben und die von Jahr zu Jahr immer klarer politisch lesbar sind. Es geht um staatliche Repression – das Dekor eines kunstfertig gestalteten Porzellantellers, „Brain Infliction on Plate“ (2012), zeigt einen CT-Scan von Ais Schädel nach einer Misshandlung durch Polizisten 2009.
Außerdem geht es um einen Überwachungsstaat, der sich in Videos und Installationen als so lächerlicher wie gefährlicher Tiger erweist: Hilflose Polizisten sind da zu sehen, die vom beobachteten Künstler höhnisch vorgeführt werden, aber auch nachgestellte Folterszenen in den Guckkästen von „S.A.C.R.E.D.“ (2011–2013).
Die letzte Phase bezeichnet den Punkt, an dem die Stimmung gegen Ai kippte: Arbeiten nach dem Umzug nach Berlin 2015, als der Künstler begann, sich mit den weltweiten Migrationsbewegungen zu beschäftigen. Und tatsächlich scheinen diese Projekte eigenartig ungenau: Videos aus den Camps in Idomeni (2016) und Calais (2018) zeigen Bilder ohne echten Erkenntniswert, das riesige Bambus-Schlauchboot „Life Cycle“ (2018) wirkt naiv, und wenn Ai sich in umfangreichen Fotoserien immer wieder neben entkräftete Migranten stellt, kann man das als Selbstinszenierung eines übergroßen Egos kritisieren. Das dem Zynismus von rechts kaum noch etwas entgegenzusetzen weiß.
2064 zurückgelassene Kleidungsstücke
Der Gegenentwurf liegt in der (kunst-)handwerklichen Qualität der Arbeiten: in den blau-weißen Porzellanobjekten (2017), die Bezug auf traditionelle chinesische Keramik nehmen, dabei aber Motive aus dem Komplex Flucht und Vertreibung zitieren. Oder in der Installation „Laundromat“ (2016): 2.064 auf der Flucht zurückgelassene Kleidungsstücke, gesammelt im verlassenen Lager Idomeni. Hier lässt sich ein Künstler nicht ein auf das Gemecker von AfD und Pegida, stattdessen erklärt er die Flucht zum künstlerischen Readymade.
Schon früher ließ Ai sich gut über den Komplex Kunst/Handwerk erschließen. Zwei riesige Installationen am Grabbeplatz zeigen, wie genau er auch schon in China dokumentarisches Material mit industrialisiertem Handwerk ästhetisierte: „Straight“ (2008–2012), 142 Kisten Baustahl aus den Ruinen vom 2008er Erdbeben in Sichuan, flankiert von einer Namensliste der über 5.000 getöteten Schüler sowie einem Video, aus dem sich schließen lässt, dass der verwendete Stahl von minderer Qualität war.
Sowie „Sunflower Seeds“, 60 Millionen handbemalte Sonnenblumenkerne aus Porzellan, die einerseits auf die chinesische Kunsthandwerksindustrie in Jianxi verweisen, andererseits als Kritik am als „Sonne“ verehrten Mao gelesen werden können – zumal die Installation von den institutionskritischen Legoobjekten „Zodiac“ (2018) flankiert wird.
Man muss Ai nicht mögen. Man kann auch diese Ausstellung kritisieren, als auf den Effekt hin konzipiert, als populistisch, als politisch unscharf. Aber: Indem man ihn ausschließlich als Selbstdarsteller schmäht, wird man Ais Kunst nicht gerecht – und für diese Erkenntnis lohnt die Düsseldorfer Schau auf jeden Fall.
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