Reservistenverband der Bundeswehr: Auszeichnung trotz rechter Dateien
Eine Festplatte mit rechtsextremer Musik beschäftigt den Reservistenverband. Der, bei dem sie gefunden wurde, bekommt nun die Ehrennadel.
K. war es, bei dem sich bei einer Kontrolle seiner Dienstfestplatte am 23. Januar 2014 Musikdateien mit ungewöhnlichen Namen fanden: „Rassenhass – Titel 5.mp3“ beispielsweise oder „Arisches Blut – Hitlers 100. Geburtstag.mp3“. Vor einem Jahr, im Januar 2018, hat die taz die Festplattenaffäre publik gemacht. Seit fünf Jahren beschäftigt sie die Reservisten, den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat sie gespalten.
Was, wenn ein Handball-Trainer rechte Parolen von sich gibt? Was, wenn der Justizbeamte bei Pegida mitläuft? Der Fall in Mecklenburg-Vorpommern hätte ein Lehrstück dafür sein können, wie mit rechtsextremen Verdachtsfällen in den eigenen Reihen umgegangen werden kann. Erst recht in einem Verband, der schon vor langer Zeit entschieden hat, keine NPD-Mitglieder aufzunehmen. Der sich bewusstgemacht hat, dass die militärische Ausbildung immer wieder auch Neonazis anzieht.
Doch diejenigen im Verband, die versucht hatten aufzuklären, sind inzwischen weg. Thomas K. trägt die höchste Auszeichnung der Reservisten. Wieso?
Thomas K. und die verschwundene Festplatte
Der Reservistenverband der Bundeswehr organisiert Wehrübungen und Veranstaltungen für rund 115.000 ehemaligen Soldaten in Deutschland. Reservisten sind nur dann der Bundeswehr zugehörig, wenn sie für Übungen oder Einsätze einberufen sind. Die meisten engagieren sich ehrenamtlich, manche sind angestellt, so wie Thomas K. Sie gehen auf Kasernengeländen ein und aus und tragen Uniform.
K. kam 2012 zum Reservistenverband, in eine Kreisgeschäftsstelle, gelegen auf dem Gelände der Tollense-Kaserne in Neubrandenburg. Er hatte eine lange Vorgeschichte. Zeitweise wurde er in der Gewalttäterdatei Sport geführt und hatte ein bundesweites Stadionverbot. Er musste sich fragen lassen, wer diese Leute in seinem Umfeld waren, die mit den Glatzen.
Und die Musikdateien mit den merkwürdigen Namen? Mitglieder des Reservistenverbands versicherten immer wieder, dass sie diese selbst gesehen hätten, auf einer Festplatte, die eigentlich dem Landesverband gehörte. K. hatte darauf auch private Daten gespeichert, Fotos, Filme, Briefe, und diese später gelöscht. Vorgesetzte hatten die Dateien teilweise wieder hergestellt.
Die taz konnte ein Verzeichnis einsehen, in dem sich die Namen rechtsextremer Musiktitel befanden, uns liegen Protokolle des Verbands vor, aus denen die Existenz der Dateinamen hervorgeht. Die Dateien selbst gelten als verschwunden – spätestens seit die Festplatte dem Verfassungsschutz im Frühjahr 2014 zur Prüfung übersandt wurde.
Der Reservistenverband und die erste Kehrtwende
Die Bundesgeschäftsstelle des Reservistenverbands hielt die gegen K. erhobenen Vorwürfe nie für belegbar. Weil die Dateien nicht abspielbar gewesen seien, war aus Sicht des Verbandes nicht geklärt, dass es sich tatsächlich um strafbare Lieder handelte – und dass diese Dateien dann auch noch von K. stammten. Der bestritt die Vorwürfe stets.
Als die taz den Fall publik machte, änderte sich diese Haltung. Nun beschloss das Präsidium, man müsse K. loswerden, auch wenn dies arbeitsrechtlich kompliziert sei. K. wurde seine Versetzung angekündigt.
Nun ließe sich sagen, gut, K. ist ein Einzelfall, ein schwer belegbarer noch dazu. Allerdings ist es nicht der einzige Fall in diesem Landesverband.
Prepper, die Linke umbringen wollen
Im August 2018 lässt der Generalbundesanwalt bei mehreren Männern Wohnungen und Geschäftsräume durchsuchen. Der Verdacht: die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdender Gewalttat. Einem Anwalt und einem LKA-Beamten werfen die Ermittler vor, geplant zu haben, Personen aus dem linken Spektrum festzusetzen und zu töten.
Sie sollen, heißt es, eine Liste mit Zielpersonen angefertigt haben. Auch die Adressen von Flüchtlingsunterkünften sollen darin verzeichnet gewesen sein. Viele, die darauf zu finden sind, leben in Mecklenburg-Vorpommern. Die Landesregierung hält es bis heute nicht für nötig, die Ausgespähten zu informieren. Anders in Bayern: Dort hat sich die Polizei bei mindestens einer gelisteten Person gemeldet.
Recherchen der taz ergaben damals, dass die beiden Beschuldigten und drei Zeugen im Ermittlungsverfahren Mitglieder im Reservistenverband sind. Die Männer hatten sich gegenseitig für den Verband angeworben und versucht, in die Heimatschutzkompanie der Bundeswehr aufgenommen zu werden, sogenannte Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien, kurz RSU.
Diese Reservistenkompanien sollen im Katastrophenfall andere Hilfswerke unterstützen. Dafür trainieren sie regelmäßig in Kasernen, tragen Uniformen – und haben Zugang zu Waffen.
Die beiden Beschuldigten und die Zeugen waren damals alle Mitglied in verschlüsselten Chatgruppen. Eine davon hieß Nordkreuz. Ihr Zweck: Prepper zu vernetzen, Menschen also, die sich auf Katastrophen vorbereiten, Stürme, Stromausfälle, so etwas. Häufig ging es dabei aber auch um politische Fragen: um die Zuwanderung Geflüchteter, insbesondere Muslime. Um die Wut darüber.
Der Gründer dieser Chatgruppen heißt André S., inzwischen auch bekannt als „Hannibal“. Er schickte Text- und Sprachnachrichten in die Chats, warnte vor Gefahren und riet dazu, Vorräte und Fluchtpläne anzulegen. Er leitete diese Gruppen auch im Westen, Osten, Süden Deutschlands, in Österreich und der Schweiz. „Hannibal“ ist Bundeswehrsoldat. Er gilt als Kopf eines weit gespannten Netzwerks, in dem sich Angehörige der Bundeswehr, Polizei und aus Behörden vernetzen – auch, um paramilitärischen Übungen nachzugehen.
Am „Tag X“ politische Gegner internieren
Aus den Ermittlungen geht ein besonderes Detail hervor: An einem Abend Anfang 2017 sollen sich die beiden Beschuldigten und zwei der Zeugen an einer Landstraße nahe Schwerin getroffen haben. Sie sollen über Lagerhallen beraten haben, in denen sie am „Tag X“ ihre politischen Gegner internieren wollten. Könnte der Kompaniechef der Reservisten, einer von ihnen, im Ernstfall dafür nicht Bundeswehr-Lastwagen organisieren? Ließen sich so auch mögliche Straßenkontrollen überwinden? Sie redeten über Erschießungen. Es soll auch das Wort „Endlösung“ gefallen sein.
Der Vorsitzende des Landesverbands der Reservisten, Helge Stahn, reagierte im Herbst 2017 schnell auf die Vorwürfe. Er bat die zuständigen Behörden darum, den Männern die Erlaubnis zu entziehen, Waffen zu tragen. Er setzte die Schießtrainings aus und forderte die Bundesgeschäftsstelle auf, die Männer aus dem Verband auszuschließen. Stahn war es auch, der den Vorfall mit der Festplatte von Thomas K. gemeldet hatte.
Im Sommer 2018 wählten ihn die Landes-Delegierten als Vorsitzenden ab. Als die taz damals Delegierte nach ihrer Entscheidung fragte, waren viele Gründe zu hören: Intransparenz, persönliche Verwerfungen, es ging um Schulden, Flügelkämpfe, Vereinsmeierei. Stattdessen stellen nun die Sympathisanten von Thomas K. den Vorsitz.
Monate später herrscht immer noch Aufruhr im Verband. Der neue Vorsitzende, Roland Heckt, heißt es jetzt, hätte gar nicht zum Chef werden dürfen, weil er eigentlich nicht einmal Reservist sei. Kritiker versuchen den Landeschef zu stürzen. Aus ihrer Sicht führe Heckt den Verband endgültig nach rechts. Die Bundesgeschäftsstelle bestätigt, dass derzeit ein Schiedsgericht den Wahlvorgang prüft. Heckt genieße aber das Vertrauen des Präsidiums, um den zerstrittenen Landesverband wieder zu einen.
Und was ist aus den Preppern mit den Terrorplänen geworden?
Prüfungen gegen Reservisten dauern an
Die Bundesanwaltschaft ermittelt bis heute gegen die beiden Beschuldigten. Sechs weitere Verfahren hat sie an regionale Staatsanwaltschaften abgegeben – Zufallsfunde aus den Durchsuchungen bei Zeugen, darunter auch einige der Reservisten. Es geht um die unsachgemäße Lagerung von Waffen, um Munitionsbesitz, um Kinderpornografie. Es lässt sich nicht eindeutig klären, welche Ermittlungen die Reservisten betreffen, mindestens sind es aber zwei: Eine Person hat gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verstoßen, das Verfahren ist abgeschlossen, sie musste ihre Waffen abgegeben. In einem anderen Fall wird noch gegen einen SEK-Polizisten wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffengesetz ermittelt. Der Beschuldigte ist seit den Durchsuchungen suspendiert. Mindestens einer der Nordkreuz-Männer ist bis heute in einem Schützenverein aktiv – als Schießsportleiter.
Das Bundesinnenministerium antwortet kürzlich auf eine schriftliche Frage der Grünen im Bundestag: Die Bundesregierung bewerte die Einstellungen von vier dieser Personen als „gefestigt rechtsextremistisch“.
Der Reservistenverband hatte sich entschlossen, die Männer aus dem Verband auszuschließen. Zwei zogen dagegen vor Gericht und bekamen recht – sogar der Rechtsanwalt, der Listen mit politischen Gegnern angelegt und von deren Tötung gesprochen haben soll, ist deshalb im Verband.
Und Thomas K.? Der darf weiter arbeiten
Neujahrsempfang, Neubrandenburg, uniformierte Männer stehen mit Fackeln vor der Tollense-Kaserne in Neubrandenburg, das ist später auf Facebook zu sehen. Darauf auch zu sehen: Thomas K. Er wurde doch nicht versetzt.
Aus der Bundesgeschäftsstelle des Reservistenverbands heißt es: K. habe eine Sicherheitsüberprüfung der Bundeswehr bestanden und werde wieder regelmäßig eingesetzt. „Er macht eine ordentliche Arbeit für unseren Verband“, sagt der Bundesgeschäftsführer Max vom Hagen. „Der Verband schaut mit sehr großer Sensibilität auf die Entwicklungen.“
Max vom Hagen, Reservistenverband
Einen geladenen Gast zeigt der Verband nicht auf Facebook: Enrico Komning, AfD-Abgeordneter des Bundestags. Komning ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Rugia in Greifswald, zu denen auch der verurteilte Holocaustleugner Rigolf Henning zählt. Die Burschenschaft verfügt über zahlreiche rechtsextreme Mitglieder. Der Verfassungsschutz führt Komning deshalb als eines von drei AfD-Mitgliedern aus Mecklenburg-Vorpommern namentlich in dem Gutachten auf, in dem Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei gesammelt werden.
Beim Reservistenverband heißt es, Komning sei nun mal gewählter Abgeordneter aus dem Wahlkreis, da müsse man ihn auch einladen. Komning selbst schreibt auf Facebook über den Empfang: „Vielen Dank für die Einladung. Ich komme gerne wieder.“
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