Repressionen in Belarus: Die Verhaftungen gehen weiter
Auch zwei Jahre nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen werden in Belarus Menschen verurteilt. Von Swetlana Tichanowskaja sind die Menschen enttäuscht.
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J eden Tag lese ich von neuen Verhaftungen ganzer Familien, die Kinder kommen dann ins Heim, über Hausdurchsuchungen und Strafverfahren gegen unschuldige Menschen. Die Spirale dreht sich ins Absurde. Die Menschenrechtlerin Marfa Rabkowa wurde am 6. September zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Sie ist 27 Jahre alt, man nimmt ihr ihre Jugend und ihre Gesundheit.
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Ich kenne einen Insider, der in der belarussischen Zentralbank arbeitet, die vom Staat kontrolliert wird. Er ist schockiert: „Es kam ein Befehl ‚von oben‘, fast 300 Leute zu entlassen. Weißt du, warum? Sie haben nicht an den Protesten im Jahr 2020 teilgenommen. Sondern waren einfach in den sozialen Medien mit den Bankmitarbeitern befreundet, die damals in Minsk auf die Straße gegangen waren.
Diese Leute hatte man in der ersten Welle der Säuberungen entlassen. Dieser Befehl jetzt ist schon der dritte. Ich weiß nicht, wer hier noch arbeiten soll. Die ganzen Finanzspezialisten sind schon weg. Vermutlich schicken sie jetzt neue, die vorher vom KGB überprüft worden sind, aber von Finanzen keine Ahnung haben.“
„Säuberungen“ in allen Bereichen
45, lebt und arbeitet in Minsk. Ihre Beiträge erscheinen unter Pseudonym.
In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Im Frühling waren 35 Traumatologen festgenommen worden, die man beschuldigte, Bestechungsgelder von ausländischen Firmen für den Einsatz von importierten Prothesen angenommen zu haben. Was ist das, wenn nicht der Versuch der Staatsmacht, den Prothesenmarkt zu monopolisieren und die Menschen im Land von den eigentlichen medizinischen Problemen abzulenken?
Denn die Wartezeit für den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks aus einheimischer Produktion beträgt fünf Jahre. Ein Anbieter von Endoprothesen, der deutsche Unternehmen Waldemar Link, stellte kürzlich klar, dass das Unternehmen seine Geschäfte mit Russland und Belarus aufgrund des Krieges in der Ukraine vollständig eingestellt habe.
Die Ideologie ist auch in den Schulen angekommen. Am 1. September, zum Beginn des neuen Schuljahres, mussten die Kinder die Nationalhymne singen und die Staatsflagge hissen, die erste Unterrichtsstunde war der „nationalen Einheit“ (mit Russland) gewidmet.
Enttäuscht von Swetlana Tichanowskaja
Vor dem Hintergrund dieses Terrors verliert die rechtmäßig gewählte Präsidentin Swetlana Tichanowskja natürlich langsam das Vertrauen der Belarussen. Die Abgehobenheit ihres Büros, das sich im litauischen Vilnius befindet, zeigt sich an dem letzten Kongress, in dem die westlich orientierten „Demokraten“ damit beschäftigt waren, die Ressorts einer nicht existierenden Regierung aufzuteilen.
Heute kann man alle Staatsbesuche Tichanowskajas als „politisches Tinder“ bezeichnen. Seit zwei Jahren trifft sie Staatsmänner und -frauen – praktisch ohne jedes politische Ergebnis. Nicht eins der von ihr angestrebten Ziele (Freiheit aller politischer Gefangener, Ende der Repressionen, Neuwahlen) wurde erreicht. Neue Ziele hat ihr Büro bisher nicht formuliert. Für den einfachen Belarussen ist das alles ohne Nutzen.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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