Friedensnobelpreis für drei Akteure: Zu wenig, angesichts der Verheerung

In der Ukraine hat der Preis schrille Töne ausgelöst. Das zeigt, ­wie grenzenlos der Hass sein muss, den Putins Krieg sät.

Berit Reiss-Andersen steht hinter einem Pult und spricht in ein Mikrofon

Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobel-Komitees verliest die Namen der Gewinner des Friedensnobelpreises Foto: NTB/reuters

Dass das Osloer Komittee bei der Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises nicht am Ukrainekrieg vorbeikommen würde, war absehbar. Deswegen ist die Auswahl der drei Geehrten aus Belarus, Russland und der Ukraine (folge)richtig.

Doch fast noch wichtiger und bemerkenswerter sind die schrillen Töne, die dieses Ereignis in der Ukraine begleiteten. In den sozialen Medien brach am Freitag ein Sturm der Entrüstung aus. Mit den beiden Nachbarländern Belarus und Russland wolle man nicht in einem Atemzug genannt werden – vor allem dann nicht, wenn in diesem Zusammenhang, wie in der offiziellen Begründung geschehen, Alfred Nobels Vision von Frieden und Brüderlichkeit bemüht wird.

Mag diese Reaktion auch die Meinung einer Minderheit und damit der üblichen Verdächtigen sein, so zeigt sie doch eins nur allzu deutlich: Die Verheerungen, die Russlands grausamer Angriffskrieg gegen die Ukraine im Verbund mit Belarus schon jetzt angerichtet hat, gehen tief. Wie ­grenzenlos muss der Hass sein, wenn er mit Ales ­Bjaljazki und Memorial auch diejenigen trifft, die bereits seit Jahrzehnten Diktatur und Unterdrückung mutig die Stirn bieten.

Das lässt für die Zukunft nichts Gutes hoffen und sollte auch von denjenigen zur Kenntnis genommen werden, die einer zügigen Aufnahme von Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau das Wort reden. Und das mit dem Ziel, den Krieg möglichst schnell ad acta zu legen und wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

Apropos Ales Bjaljazki: Wer redet heute, über zwei Jahre nach den wochenlangen Massenprotesten gegen die gefälschte Präsidentenwahl, noch von Belarus? Eben. Dabei geht der Terror von Alexander Lukaschenko gegen die Be­la­rus­s*in­nen ungebremst weiter. Vor allem Bjaljazki und seiner Gruppe Vjasna ist es zu verdanken, dass die zahlreichen politischen Gefangenen überhaupt ein Gesicht und, wenn auch nur noch begrenzt, Aufmerksamkeit bekommen.

Das Gleiche gilt für Memorial. Wer interessiert sich wirklich für diese Men­schen­recht­sver­tei­di­ge­r*in­nen der ersten Stunde, die bei ihrem Bemühen, die Verbrechen der Stalinzeit aufzuarbeiten, Pionierarbeit geleistet haben? Und die jetzt, wie so viele andere Menschenrechtsorganisationen in Russland auch, gnadenlos kalt gestellt worden sind.

Immerhin: Mit seiner Entscheidung hat Oslo den Preisträgern, die pars pro toto für viele Gleichgesinnte stehen, Aufmerksamkeit verschafft. Doch sich jetzt zurückzu­lehnen im Glauben, moralisch Gutes getan und den Ausgezeichneten Respekt gezollt zu haben, dazu gibt es wahrlich keinen Anlass. Denn das reicht nicht. Der Krieg in der ­Ukraine ist leider nur der beste Beweis dafür.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.