Repression gegen lokale Eliten in Russland: Putin lässt die Gouverneure zittern
Seit 2015 nimmt in Russland die Zahl der Strafverfahren gegen regionale Politiker zu. Oft ist es jedoch willkürlich, wer unter Anklage gestellt wird.
Primurow war einer von drei Fällen, die in den vergangenen Wochen aufhorchen ließen. Den Anfang machte die Verhaftung des früheren Ministers Michail Abysow, der bis 2018 im Kabinett des Premiers Dmitrij Medwedjew für die Digitalisierung der Verwaltung zuständig war. Auch er soll durch überzogene Forderungen Milliarden Rubel herausgeschlagen und sie auf Offshore-Konten untergebracht haben. Antikorruptionsblogger Alexej Nawalny präsentierte auf YouTube mit einer Drohne aufgenommene Luftbilder der italienischen Latifundien des Ex-Ministers.
Kaum ein Tag verstrich nach Primurows Festnahme, bis Viktor Ischajew, der frühere Gouverneur von Chabarowsk, festgesetzt wurde. Er war auch Putins Sonderbevollmächtigter für Russlands fernen Osten gewesen, danach Vizechef des größten russischen Ölkonzerns Rosneft. Er galt als einer der verdientesten Vertreter des postsowjetischen Systems.
Auch Ischajew wurde wegen einer finanziellen Unsauberkeit aus dem Verkehr gezogen. 70.000 Euro soll er sich bei der Abrechnung der Miete für ein Rosneft-Büro in die Tasche gesteckt haben. Wohlgemerkt 70.000 Euro in mehr als fünf Jahren. Peanuts für russische Verhältnisse.
Sein Verbrechen: Er war nicht mehr loyal
Der 70-Jährige schien irritiert, als er im üblichen Gitterkäfig vor Gericht platziert wurde. „Fünf Millionen Rubel?“, murmelte der Inhaftierte ungläubig. Gemunkelt wird indes, Ischajew könnte noch an illegalem Holzhandel mit China beteiligt sein.
In Wirklichkeit hatte sich der Topbürokrat Schlimmeres erlaubt: Er war nicht mehr loyal. Bei den Regionalwahlen im Herbst versagte er im fernen Osten dem Kreml-Kandidaten die Unterstützung. Putins Partei Vereinigtes Russland steckte eine krachende Niederlage ein.
Auf den ersten Blick sind alle Fälle durch Korruption verbunden. Dieser Eindruck wird nach außen auch bewusst geschürt. In Russland gilt aber grundsätzlich: In Führungsetagen gelangt nur, wer bereits durch korruptes Verhalten die Unschuld verloren hat, sprich erpressbar ist. Auch bei früheren Vorfällen wurden Gouverneure verhaftet, die sich nicht mehr zuschulden hatten kommen lassen als Kollegen, die unbehelligt blieben.
„Ihr könnt jederzeit verhaftet werden, ohne dass ihr euch Außergewöhnliches herausnehmt“, nennt Politikwissenschaftler Nikolai Petrow von der Hochschule für Ökonomie das Signal, das sich an alle Gouverneure richtet. Es soll sie loyaler und ergebener machen.
Geheimdienst FSB wirft sein Netz aus
Repressionen gegen regionale Eliten nehmen seit 2015 zu. Zuvor richteten sich die meisten Verfahren gegen Bürgermeister. Inzwischen sind auch Gouverneure nicht mehr sicher. Mindestens 20 werden jährlich ausgewechselt. Allein 2018 wurden 35 Strafverfahren gegen Führungskräfte in der Provinz eingeleitet. 25 endeten mit Freiheitsentzug, 18 erhielten mehr als fünfjährige Haftstrafen. Meistens steht der Geheimdienst FSB dahinter. „In den Kreislauf werden neue Gruppen hineingezogen, die früher noch als unantastbar galten“, meint Petrow. Noch 2015 wurden Details bei Hausdurchsuchungen nicht öffentlich gezeigt. Jetzt folge das Vorgehen dem Muster der politischen Repression.
Die eigentliche Adressaten der Strafmaßnahmen sind die Gruppen und gesellschaftlichen Schichten, denen die Beschuldigten angehören. Man nennt das „repressiven Populismus“: Bei unzufriedenen Bürgern käme „Durchgreifen“ gut an. Meldungen darüber verbreiten sich über das Fernsehen und soziale Medien. Ex-Energieminister Wladimir Milow sagt, die Lage im Land verschlechtere sich, und der Kreml fürchte um die Loyalität der Elite. „Schafft mehr ins Gefängnis, macht Druck und locht sie nacheinander ein“, seien Signale an den Geheimdienst, meint Milow.
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