Repression gegen die linke Szene: Angst als politisches Kalkül
Hausdurchsuchungen und Überwachungsmaßnahmen: Der Staat geht zunehmend härter gegen die linke Szene vor. Was macht das mit den betroffenen Menschen und Strukturen?
D ie Nacht auf den 15. März 2023 endet für Ronja und Piet M. abrupt. „Aufmachen, Polizei!“, hören sie von draußen. Eine Einheit des Thüringer SEK steht auf der Terrasse des Hauses der beiden Eltern, die aus Angst vor Nazis ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Kaum hat Piet M. die Terrassentür geöffnet, so erzählt er es der taz, ziehen die Polizist:innen den völlig nackten Mann in die Nacht und werfen ihn auf den kalten Steinboden. Beamte fesseln seine Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern, knien auf seinem Oberkörper. M. muss später vom Notarzt behandelt werden.
Im ersten Stock rennt seine Tochter ans Fenster. „Ihr bringt meinen Papa um! Lasst meinen Papa in Ruhe!“, schreit sie. Die Beamt:innen stürmen ins Schlafzimmer, erzählen die M.s weiter, wo nicht nur die beiden Eltern, sondern auch ihr damals 8-jähriger Sohn geschlafen habe. Gleichzeitig schlagen Polizist:innen in der Küche eine Glastür mit einer Ramme ein. Ronja M. hört das Rumpeln der Treppe, als die Beamt:innen in den ersten Stock vorrücken – wo sich die Zimmer der beiden anderen Kinder, damals 13 und 16 Jahre, befinden. Auch diese Räume werden von bewaffneten und vermummten SEK-Kräften gestürmt. „Auf den Boden, ich will deine Hände sehen!“, habe ein Beamter die 16-jährige Tochter der M.s angebellt.
Auf taz-Nachfrage zu den Ereignissen während der Durchsuchung haben sich das LKA Thüringen, die Staatsanwaltschaft Dresden und die Generalbundesanwaltschaft nicht geäußert. Man äußere sich nicht zu laufenden Verfahren, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.
Keiner der an diesem Morgen im Haus anwesenden Menschen hat etwas verbrochen. Die Polizei ist auf der Suche nach der ältesten Tochter der M.s, die sich damals seit einem Monat ihrer Verhaftung entzieht. Die Beamt:innen verdächtigen sie, sich im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Neonazis beteiligt zu haben, die sich dort für einen SS-Gedenkmarsch zum „Tag der Ehre“ trafen. Zuletzt waren im sogenannten Budapest-Komplex die Antifas „Gino“ in Paris und Thomas J. (Szenename „Nanuk“), in Berlin festgenommen worden.
Die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn Ende Juni wurde vielfach als unrechtsstaatlich kritisiert. Dort sitzt sie seither in Isolationshaft. Auch dass kürzlich die in Nürnberg in U-Haft sitzende Hanna S. wegen „versuchten Mordes“ angeklagt wurde, werten Unterstützer:innen als Versuch, mit überdrehten Anklagepunkten Druck auf die Untergetauchten auszuüben. Die hatten in der Vergangenheit erklärt, sich stellen zu wollen, wenn ihnen Verfahren in Deutschland zugesichert werden – worauf die Behörden bisher aber nicht eingegangen sind.Doch in Städten wie Leipzig und Jena, wo viele der Untergetauchten herkommen, sind längst nicht nur die Untergetauchten von dem Ermittlungsdruck betroffen.
In Verfahren wie dem Budapest-Komplex ermittelt die Polizei nach Paragraf 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dieser Vorwurf, für die Polizei leicht zu erheben, eröffnet Ermittler:innen quasi das gesamte Repertoire an Überwachungsmaßnahmen: Hausdurchsuchungen, Observationen, das Abhören von Telefonen, der Einsatz von Kameras, Peilsendern und verdeckten Ermittler:innen. In Strukturermittlungsverfahren werden soziale Netzwerke der radikalen Linken durchleuchtet, wobei sich die Polizei erst mal für jede:n interessiert, die:der mit Verdächtigten in Verbindung stehen.
Die Wahrscheinlichkeit etwa, als unbeteiligte Person Betroffene:r einer Hausdurchsuchung zu werden, steigt in Städten wie Leipzig inzwischen offenbar schon durch das Wohnen in einem linksradikalen Milieu an. Zwar wird nicht offiziell erfasst, wie oft die Polizei Hausdurchsuchungen durchführt, schreibt das LKA Sachsen auf taz-Nachfrage. Eine der taz vorliegende Antifa-Recherche, die auf öffentlichen Quellen basiert, kommt jedoch alleine in Leipzig seit 2020 auf 82 Hausdurchsuchungen, die Antifakontexten zugerechnet werden können.
Am 15. März 2023 etwa, als die Polizei bei Familie M. anrückt, werden in Leipzig und Jena 13 Wohnorte durchsucht. Bei Hausdurchsuchungen geht die Polizei unterschiedlich vor: Mal verhalten sich die Beamten höflich – mal fragwürdig. Ein Bewohner einer WG in Leipzig-Connewitz berichtet etwa der taz, das SEK habe seine Wohnungstür aufgeschossen, sein Zimmer gestürmt und ihn 45 Minuten gefesselt – was die Polizei in dieser Länge dementiert. Einem Bericht der linken Rechtsschutzorganisation Rote Hilfe zufolge wirft das SEK in den Flur einer Jenaer Wohnung eine Blendgranate. Nur gefasst wird niemand. Keine:r der Untergetauchten hält sich in den durchsuchten WGs und Elternhäusern auf.
Laut der Rechtsanwältin Waltraut Verleih komme es immer wieder vor, dass Durchsuchungen im Nachgang als rechtswidrig erklärt werden: Etwa, weil Wohnungen gewaltsam geöffnet, Räume Dritter betreten oder zu viele private Dinge fotografiert werden. Betroffene müssten dafür aber auf eigene Kosten einen Anwalt engagieren, das Geld gebe es auch im Erfolgsfall nicht zurück. „Das Gesetz geht davon aus, dass es keine rechtswidrigen Hausdurchsuchungen gibt“, sagt Verleih. Ersetzt würde nur der materielle Schaden. „Dass Sie vielleicht Schlafstörungen haben, von ihren Nachbarn gemieden werden oder ihr Vermieter sie kündigt, hat da keine Relevanz“, so Verleih.
In Leipzig hängt der gestiegene Ermittlungsdruck viel mit der Soko Linx zusammen, einer Sonderkommission für linksextreme Straftaten des LKA Sachsen, ins Leben gerufen im November 2019. Damals hatte sich der Kampf gegen die Gentrifizierung Leipzigs aufgeheizt, einige Baustellenfahrzeuge brannten, die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma wurde zu Hause von Unbekannten attackiert. Wohl auch als Schützenhilfe für den Leipziger Oberbürgermeisterwahlkampf, in dem sich die CDU als Law-and-Order Kraft aufspielte, gründete Roland Wöller (CDU), damals Innenminister Sachsens, öffentlichkeitswirksam die Soko Linx. „Klarer politischer Populismus“, sagt die Linken-Politikerin Juliane Nagel heute dazu.
Seither steht die Einheit unter Rechtfertigungsdruck – und zeigt sich ihrerseits hoch motiviert, Strukturen der organisierten Kriminalität in der linken Szene zu finden. Die Einheit ist in viele Verfahren involviert. Am Bekanntesten ist sie aber für ihre Konstruktion der Gruppe um Lina E., den Budapest-Komplex und für Ermittlungen gegen linke Ultras des Fußballclubs Chemie Leipzig. Immer ranken sich Skandale um die Einheit. So sind etwa Ermittlungsdetails über Beschuldigte beim gesichert rechtsextremen Compact-Magazin aufgetaucht. Der ehemalige Leiter der Soko Linx, Dirk Münster, wurde damals nicht müde, in Interviews eine linke Terrorgefahr zu beschwören. Im Frühling 2023 erklärte Münster etwa, seine Einheit habe noch eine Liste von etwa 150 Linksextremist:innen im Visier.
In einem interkulturellen Zentrum in der Jenaer Altstadt erzählen Ronja und Piet M. weiter davon, wie ihre Hausdurchsuchung abgelaufen ist. Die beiden wirken im Gespräch locker, sie scheinen keinen großen Wert auf Formalitäten zu legen. Doch wenn Ronja M. von der Hausdurchsuchung spricht, spannt sich ihr ganzer Körper an. Noch immer klingt sie fassungslos.
„Die haben mich nicht zu meiner Tochter gelassen“, sagt sie immer wieder. Nachdem die SEK-Beamten das Kinderzimmer stürmten, habe sie nur zu ihrem 13-jährigen Sohn gedurft. Piet M. sei in der Küche festgesetzt worden, von der Familie isoliert. Ihre damals 16-jährige Tochter sei eine Stunde mit einem SEK-Beamten allein gewesen, erzählt Ronja M. Sie habe das Weinen ihrer Tochter im anderen Zimmer gehört. Doch der Einsatzleiter habe nur gehöhnt: „Jetzt kann sie mal zeigen, ob sie groß ist.“
Die M.s erzählen, von Anfang an seien die Beamt:innen menschenverachtend aufgetreten. „Wir brauchen jetzt mal die Pässe von diesem Gedöns“, habe ein Beamter gesagt, „Wir dürfen hier alles“ ein anderer. Als Ronja M. einen Anwalt anruft, habe ihr ein Polizist das Handy abgenommen. Als sie zu ihrer Tochter wollte, habe der Einsatzleiter gesagt: „Wollen Sie das wirklich? Das wir Sie auf den Boden packen und so gewaltsam mit Ihnen sind, während ihre Kinder zuschauen?“. Ronja M. sagt: „Ich bin überzeugt, dass an uns ein Exempel statuiert werden sollte, damit unser Kind sich stellt.“
Betroffene berichten von Panikzuständen
In einer kürzlich veröffentlichten Dokumentation des nichtkommerziellen Medienkollektivs Le-Je, das für diesen Text Teile seiner Recherche mit der taz geteilt hat, berichten zahlreiche Betroffene von Hausdurchsuchungen und daraus resultierenden Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch der taz berichten mehrere Betroffene von Schlafstörungen, Panikzuständen und Flashbacks. So auch Familie M. Insbesondere um ihre Kinder mache sie sich Sorgen, erzählt Ronja M. Ihr jüngster Sohn, damals acht Jahre alt, habe starke Anzeichen von Traumatisierung gezeigt. Er habe oft schlecht geschlafen, angefangen, sich in seinem Zimmer Höhlen zu bauen. Bald nach der Durchsuchung habe er sich plötzlich an nichts mehr erinnern können.
Dafür sei der eigentlich sehr eigenständige Junge seinen Eltern ständig hinterhergelaufen, habe ihre Nähe gesucht. Die Schule habe gemeldet, dass seine Konzentration nachlasse, dass er jedes Mal, wenn er einen neuen Raum betritt, sich mit dem Rücken zur Wand setze. „Es ist besser geworden“, sagt Ronja M. Aber noch vor Kurzem, als sie in der Stadt auf dem Fahrrad an einem Streifenwagen vorbeifahren, habe der inzwischen 9-Jährige anhalten müssen, um Luft zu holen.
Der Soziologe Philipp Knopp von der Bertha-von-Suttner-Universität in St. Pölten sagt, martialisches Auftreten könne Teil der Einsatztaktik der Polizei sein. Eine Wohnung sei für die Polizei ein unbekannter und damit potenziell unsicherer Raum. Gleichzeitig sei ein solches Auftreten auch eine „proaktive Legitimierung“, eine Botschaft: Die Durchsuchten sind so gefährlich, dass ein solches Auftreten nötig ist. „Die Polizei glaubt wirklich, dass es sich bei Antifas um gefährliche Kriminelle handelt, vergleichbar der organisierten Kriminalität – und setzt entsprechende Mittel ein“, sagt Knopp.
„Es gibt Studien über Deutungsmuster in der Polizei, die zeigen, dass Linke oft als Störer und Rebellen gesehen werden“, so der Soziologe. Für Rechte gelte das nicht gleichermaßen. Pegida-Demonstrant:innen hätten in Sachsen beispielsweise lange als „normale Bürger:innen“ gegolten, die „nur ihre Meinung vertreten“. Das sei ein gesamtgesellschaftlich geteiltes Bild. „Rechte gelten oft – trotz allem – zumindest als ordentlich“, sagt Knopp. Diese Sichtweise trage dazu bei, dass linke Gewalt oft als gefährlicher wahrgenommen werde als rechte.
Ein:e Aktivist:in aus diesem vermeintlich gefährlichen Milieu ist Samy A. In einem Café im Leipziger Stadtteil Connewitz erzählt A. von besseren Zeiten. A. ist bei Kappa Leipzig organisiert, einer antiautoritären kommunistischen Gruppe. Weil auch gegen A. Ermittlungsverfahren laufen, möchte A. weder bei echtem Namen genannt werden, noch das eigene Geschlecht in der Zeitung lesen. A. sagt, eine ganze Zeit lang habe in der Leipziger Szene „ein Gefühl der Überlegenheit“ geherrscht. Die Polizei habe nach Aktionen oft im Dunkeln getappt, sei damit gescheitert, linke Strukturen zu zerschlagen. Die Stimmung in Connewitz sei heiter gewesen.
Heute sei das anders. „Die Leichtigkeit ist weg“, sagt A. Die Gründe dafür seien vielfältig: Die Pandemie, Vorfälle von sexueller Gewalt in der Szene. Doch eine wichtige Rolle spielten eben auch die vielen Ermittlungsverfahren. Es gebe ein „diffuses Gefühl der Angst“, alle bekämen mit, was passiert, auch wenn sie nicht direkt betroffen seien. Aktuell sei es in Connewitz zwar wieder ruhiger geworden, erzählt A., weil viele Verfahren in Gerichtsschleifen hängen – doch die Soko Linx habe klar signalisiert, nicht nachzulassen. Auch auf Demos trete die Polizei repressiver auf, lasse weniger durchgehen.
Der größte Druck habe während des Antifa-Ost-Verfahrens um Lina E. bestanden, sagt A. „Da wurden teils Leute gemieden.“ Viele hätten Angst gehabt, plötzlich auf Basis von Kennverhältnissen in Akten und Ermittlungen aufgenommen zu werden. Menschen, die sich vorher grüßten und guten Kontakt hatten, taten plötzlich so, als würden sie sich nicht kennen. „Sich in Strukturermittlungsverfahren nicht zu isolieren, ist für jedes Umfeld eine enorme Belastungsprobe“, sagt A. Die letzten Jahre hätten viele Freundschaften belastet, auch kaputt gemacht.
Samy A., Aktivist:in
Doch die Szene habe keinen produktiven Umgang damit gefunden. Lediglich die üblichen verbalradikalen Reflexe habe es gegeben, eine „Mund abwischen, weitermachen“-Rhetorik. Dem Staat bloß keine Schwäche zeigen, sei die Mentalität gewesen. Im Mai letzten Jahres hat sich Kappa deshalb unter dem Titel „Die Repression wirkt. Reden wir darüber“ an die Szeneöffentlichkeit gewandt. Darin argumentiert die Gruppe, Gefühle der Schwäche zuzulassen. „Obwohl es schwerfällt – wir müssen uns einfach eingestehen, dass die Zermürbungstaktik der Polizei auch erfolgreich ist“, sagt A.
„Die Repression lähmt uns. Leute ziehen sich aus dem Aktivismus zurück oder sind verunsichert. Unglaublich viele Ressourcen müssen für Soliarbeit aufgewendet werden, die dann für andere Kämpfe fehlen“, sagt A. Gibt es keine Strukturen zum Umgang mit den psychischen Folgen der Repression, bleibe die nötige Care-Arbeit zudem oft an Flintas hängen. Auch das könne Freundschaften und Strukturen weiter belasten.
Auch die Linken-Politikerin Juliane Nagel sieht die Angst und Einschüchterung, die die Hausdurchsuchungen in den letzten Jahren ausgelöst haben. „Gleichzeitig gibt es aber auch einen großen Solidarisierungseffekt“, sagt sie. In den letzten Jahren habe sich auch ein bürgerrechtsaffines und erweitertes linksliberales Spektrum zunehmend gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus gestellt. „Am Tag X nach dem Urteil gegen Lina E. sind etwa viele Leute über ihren Schatten gesprungen und haben ein solidarisches Zeichen für Antifaschismus gesetzt – obwohl sie Gewalt doof finden“, sagt Nagel.
Und tatsächlich ist keineswegs ausgemacht, dass die Repression erfolgreich ist. Einerseits koste die öffentliche Stigmatisierung als „kriminell“ einer sozialen Bewegung oft Ressourcen, sagt Soziologe Knopp. Andererseits könne Repression eine Bewegung sogar stärken. „Wenn sich genügend Akteure solidarisch zeigen, zeigt Repression vor allem, wie stark die Unterdrückung, wie groß die Ungerechtigkeit ist“, sagt er. Derzeit trifft die wachsende Repression aber auf eine Schwächephase linker Bewegungen – nicht nur in Sachen Antifaschismus. So werden auch die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation von Politiker:innen in die Nähe des Terrorismus gerückt, in Präventivhaft gesteckt und inzwischen in drei separaten Verfahren als kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 verfolgt.
In einem Café in Berlin-Kreuzberg nippt eine Sprecherin dieser vermeintlich kriminellen Organisation, Carla Hinrichs, an einem frisch gepressten Orangensaft. Auch bei Hinrichs ist die Polizei bereits am frühen Morgen teils vermummt und mit gezogenen Waffen eingebrochen. Das Haus ihrer Eltern wurde ebenfalls bereits durchsucht. Und auch Hinrichs kämpft mit den Folgen, dem Gefühl des Ausgeliefertseins. „Am frühen Morgen muss nur der Hausmeister die Mülltonnen rausbringen – und ich sitze senkrecht im Bett“, sagt sie.
44 Durchsuchungen gegen Letzte Generation
Laut dem RAZ e. V., einer der Letzten Generation nahestehenden Unterstützer:innen-Gruppe, hat es seit Dezember 2022 insgesamt 44 Durchsuchungen im Kontext der Ermittlungen gegen die Letzte Generation gegeben. Demnach wurden Wohnungen auch mal nur wegen Besprayens eines Weihnachtsbaumes am Brandenburger Tor durchsucht. Auch weitere Dritte – ein Kontoverwaltungsservice, ein bei Fridays for Future engagierter Bühnentechniker sowie zwei Werbeagenturen – waren laut der Gruppe von Razzien betroffen.
Die Letzte Generation eckt mit Straßen- und Flughafenblockaden an – bleibt aber immer betont gewaltfrei, die Aktivist:innen stehen mit Klarnamen und Gesicht zu dem, was sie tun. Hinrichs versteht deshalb nicht, warum es bei ihr überhaupt eine Hausdurchsuchung gab. Die Polizei müsse nicht herausfinden, wer die „Hintermänner“ der Letzten Generation sind. Die Organisationsstruktur sei auf der Webseite der Gruppe festgehalten. „Offensichtlich wollten sie Druck aufbauen, sie wollten mich und meine Beziehungen zu den Menschen um mich herum kaputt machen“, sagt die Aktivistin.
Für den in der Klimakrise weitgehend untätig bleibenden Staat sei eine Bewegung des massenhaften zivilen Ungehorsams gefährlich, betont sie, insbesondere, wenn sich Aktivist:innen nicht von Strafen abschrecken ließen. Hinrichs glaubt deshalb, der Staat wolle die Gruppe durch Durchsuchungen „einschüchtern“.
Sowohl Hinrichs als auch A. gehen nicht davon aus, dass die Repression nachlassen wird. A. sagt, die Zeit des vermeintlichen liberalen Umgangs des Staates mit Linken sei eine „Illusion“ gewesen. A. gehe davon aus, dass sich die gesellschaftlichen Krisen – Wirtschaft, Kriege, Klima, Migration – in den kommenden Jahren eher noch zuspitzen. „Der Staat muss in Krisen Handlungsfähigkeit beweisen“, sagt A. Weil aber innerhalb kapitalistischer Verhältnisse die Krisenursachen nicht bewältigt werden könnten, werde der Staat besessen davon, Härte zu zeigen – gegen Bürgergeldempfangende, Migrant:innen, Antifaschist:innen und eben Klimaaktivist:innen.
Neben Öffentlichkeitsarbeit seien vor allem Supportsysteme wichtig, sagt Hinrichs. „Wenn meine Wohnung noch mal durchsucht wird, weiß ich, dass danach zwei meiner besten Freunde auf der Matte stehen werden, mich in den Arm nehmen, einen Sekt öffnen oder mir Wasser in die Badewanne einlassen, was immer ich gerade brauche.“ Solche Absprachen seien neben dem Netz von Anwält:innen und Psycholog:innen, das die Letzte Generation inzwischen aufgebaut habe, enorm wichtig.
„Es braucht wieder ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Linkssein bedeutet, mit Repression konfrontiert zu werden“, sagt A. – und zwar ein Stück weit unabhängig davon, für welche Aktionsformen man sich entscheide. Das sei hart, aber kein Grund, in Panik zu verfallen. „Denn ohne die Dinge zu beschönigen: Es ist möglich, mit Repression leben zu lernen“, sagt A. „Es ist ja genau wie in der Klimakrise“, lacht Hinrichs. Selbst wenn die Menschheit heute aufhöre, CO2 auszustoßen, die Klimakrise sei unvermeidlich. Genauso ließen sich die vielen bereits laufenden Verfahren gegen die Letzte Generation nicht mehr aufhalten. Ein bisschen gebe das einem ja auch Bestätigung. „Ich kämpfe ja gegen die Zerstörung, die vom Staat ausgeht“, sagt Hinrichs. „Wenn der sich wehrt, heißt das, dass ich irgendwas richtig mache.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr