Rente aufstocken: Wenn Arbeit nie endet
Die einen sind gesund und jobben aus Spaß. Anderen müssen trotz schlechter Gesundheit arbeiten, weil die Rente nicht reicht. Ein unfaires System.
Es ist nicht mehr so wie früher, als man abgemeiert war mit kurz vor 70. Neuerdings werden wir Alten wiederentdeckt, angebettelt, angefleht. Gabriele zum Beispiel, 68, Ex-Lehrerin an einer Sekundarschule, hat den Bittbrief neulich im Briefkasten gefunden. Die Behörde fragte an: Ob sie nicht, bitte, bitte, wenigstens ein paar Stunden wieder zurückkommen wolle in den Unterricht? Freie Wahl der Schule! Es herrsche akuter Lehrkräftemangel.
„Bloß nicht“, sagt Gabriele, „nichts Pädagogisches mehr! Da grille ich lieber Sandwiches.“ Im Bistro einer Bekannten hilft Gabriele in der Woche ein paar Stunden aus, kennt sich jetzt aus mit laktosefreien Milchsorten und neuerdings auch ein bisschen mit Kneipenbuchhaltung.
Stefan, pensionierter Englischlehrer, 70, gibt wieder Unterricht. An einem Gymnasium, sechs Schulstunden in der Woche. Das ist ein Tausender im Monat obendrauf auf seine Beamtenpension. „Super“, schwärmt Stefan, „seitdem ich arbeite, habe ich das Gefühl, mein Kurzzeitgedächtnis hat sich wieder verbessert“.
Arbeiten wollen, können oder müssen
So gut läuft es nicht für jeden. Das Leben ist nicht fair und im Alter wird es noch ein bisschen unfairer. Abgesehen von den Faktoren Erbschaft, Vermögen und Co hängt das finanzielle Glück oder Unglück an den Komponenten Rente, Nebenjob und Gesundheit. Arbeiten wollen, können oder müssen? Das ist die Frage.
Super ist die Kombi aus guter Rente oder Pension plus freiwilligem anregendem Zusatzjob plus stabiler Gesundheit: Hauptgewinn. Wer dann Mitte oder Ende 70 mit dem Arbeiten ganz aufhört, steht immer noch finanziell gut da, weil die Altersversorgung ausreicht. Weniger toll ist das „Modell Zeitbombe“: Kleine Rente plus nicht mehr freiwilliger Teilzeitjob plus angeknackste Gesundheit. Was passiert, wenn es nicht mehr geht mit dem Jobben jenseits der 75?
Werner zum Beispiel, 69, Diabetes, kaputte Bandscheiben, studiert, früher mal Semiprofimusiker und gescheiterter Kneipier, hat nur 200 Euro an gesetzlicher Rente und seine kleine Mietwohnung in Berlin-Moabit. Er arbeitet über eine Zeitarbeitsfirma im Wachdienst in Kultureinrichtungen, Teilzeit. Wir sprachen darüber, ob man besser auf Sohlen aus „Memory Foam“ oder „Masai-Barfuß-Technologie“ vier Stunden lang auf Steinböden durchhalten kann.
„Ich komm über meine Runden, buchstäblich“, sagt Werner und grinst dabei sogar ein bisschen, seinen Humor hat er nie verloren, „aber dass ich in dem Job noch zehn Jahre durchhalte, glaub ich nicht.“ Die Zeitbombe zündet dann, wenn Körper und Nerven streiken und am Ende eben doch nur eine kleine Rente übrig bleibt als Einkommen. Mit aufstockender Grundsicherung vom Staat. Mit 75 auf Hartz IV. Nicht so schön.
Gabrieles Beamtenpension würde ausreichen, auch ohne ihren Job im Café. „Ich könnte jederzeit gehen“, sagt sie träumerisch. Aber das will sie ihrer Bekannten nicht antun. Wegen des Personalmangels.
Leser*innenkommentare
Bolzkopf
Jetzt hören sie doch mal auf mit dieser unterschwelligen Kritik an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung !
Es ist halt nicht genug für alle da !
Oder wollen sie am Ende noch, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich schießt ?
Also wirklich ! Machen sie das mal den Leistungsträgern unserer Gesellschaft klar.
Leistung muss sich schließlich lohnen! Und nur das zählt!
Und wenn die Alten nicht mehr können findet sich sicher noch ein verantwortungsvolles Pöstchen mit leichter Arbeit.
Z.B. Laternenchecker oder Falschparkdetektiv oder Gulliverstopftaufspürer.
Es gibt genug zu tun! Packen wir's an !
André Schlebes
Man könnte es im Fall Werner ja auch anders formulieren: Obwohl er ein Leben lang quasi nix in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt hat, bekommt er nicht nur Grundsicherung plus Wohnung und darf trotzdem viel von seinem hinzuverdienten Geld (und seiner kleinen Rente) behalten.
Bolzkopf
@André Schlebes Sie haben ganz recht!
Diese ganzen Werner, all diese Schmarotzer an unserem Sozialsystem !
Der Mann hat ja wohl alles falsch gemacht !
Hätte er doch besser als Entrepreneur vielen Menschen Lohn und Brot gegeben und seine Kohle auf 'ner Kanalinsel geparkt !
Dann könnte er jetzt auch von den Früchten seiner Arbeit(er) leben und wunderbar auf seiner Yacht über die Meere dieser Welt schippern.