Religion in der Waldorfschule: Nein danke, ich will ihn lieber nicht suchen
Religion ist in der Waldorfschule allgegenwärtig. Wie unterdrückend das sein kann, zeigt auch die Keramik, die eine Künstlerin zu dem Thema fertigte – und einen Preis gewann.
D ie ehemalige Waldorfschülerin Asta Volkensfeld hat mit einer Keramik den „DA! Art-Award“ 2024 gewonnen. Um ihre rauchgebrannte Schale reihen sich schemenhafte Kindergestalten. Hinter ihnen steht in endloser Wiederholung: „ICH WILL IHN SUCHEN“. Der Satz ist tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
Im Kindergottesdienst der Christengemeinschaft, genannt „Sonntagshandlung“, ging der Pfarrer durch die Reihen stehender Kinder. Er gab jedem die Hand, schaute ihm in die Augen und sagte: „Der Gottesgeist wird sein mit dir, wenn du ihn suchest.“ Das Kind antwortete: „Ich will ihn suchen.“ Immer dieselbe Formel.
Kind um Kind kommt er näher. Dann bin ich dran: „Ich will ihn suchen.“ Erst dann lässt er meine Hand wieder los und geht einen Schritt weiter zum nächsten Kind. Es ist schummerig. Auf dem Altar brennen die Kerzen. Alle sind still, aber meine Gedanken fliegen: Was würde passieren, wenn ein Kind etwas anderes sagt oder sich verweigert?
„Ich wollte unbedingt ein gutes Kind sein“
Es war unvorstellbar und doch war ich immer erleichtert, wenn der Pfarrer endlich zurück zum Altar schritt. Dann kam die Sorge, etwas versprochen zu haben, was ich vielleicht nicht halten würde. Der Ritus endet mit den Worten: „Liebe Kinder! Ich entlasse euch nun. Aber behaltet in guten Gedanken, was ihr hier gehört, empfunden, gedacht habt.“
Ich hab nie über meine Sorgen geredet. Meine Empfindungen waren ja nicht gut und ich wollte unbedingt ein gutes Kind sein. In den Kinderschemen auf Volkensfelds Keramik sehe ich die Unentrinnbarkeit, die emotionale Disziplin, die Abwesenheit von Individualität und auch die Sprachlosigkeit, die ich damals empfand.
Die Waldorfpädagogik geht davon aus, dass Kinder aus sich heraus religiös seien. Jeder Schultag beginnt mit einem Gebet von Rudolf Steiner, das Schuljahr ist von religiösen Festen geprägt und Kinder sollen nicht nur am Religionsunterricht, sondern auch regelmäßig an einer Kultushandlung teilnehmen.
Für Kinder konfessionsloser Eltern entwickelte Steiner daher einen Gottesdienst, der in der Schule stattfindet. Er gleicht dem der Christengemeinschaft, nur dass eine Lehrkraft zeitweise Priester*in und die Schule der sakrale Raum wird.
Atheismus als Krankheit
Und wie ist das heute? Auf drei Viertel der 253 von mir durchsuchten Waldorfschulwebseiten konnte ich keine Informationen zum Thema Religion finden und das obwohl die Waldorfschule Berlin-Mitte sagt: „Religionsunterricht kann als ein Kernfach der Waldorfpädagogik gesehen werden.“
Nur bei 16 Schulen habe ich Hinweise auf eine „Handlung“ gefunden. Dabei sind „die Handlungen“ an der Freien Hochschule Stuttgart einer der fünf Themenbereiche im Studium „Lehrer*in für Freie Religion“. Und es gibt viele Stellenanzeigen für „Freie Religion“. Es lässt mich ratlos zurück.
Rudolf Steiner bestand darauf, dass Waldorfschulen keine Weltanschauungsschulen seien, entwickelte aber gleichzeitig einen anthroposophischen Kindergottesdienst und betrachtete Atheismus als Krankheit.
Die Waldorfschule Augsburg erklärt auf ihrer Seite, dass „jeder gute Unterricht eine religiöse Dimension haben sollte. […] So ist das religiöse Element an der Waldorfschule eine pädagogische und keine weltanschauliche Grundlage.“ Für mich bleibt es widersprüchlich. Immerhin kann ich heute sagen: „Danke. Nein. Ich will ihn lieber nicht suchen. Ich bin auch so okay.“
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