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Relegationsspiel Fußball-BundesligaTumor, Eigentor, Gelbsperre

Nach einer Dopingprobe wurde bei Marco Russ von Eintracht Frankfurt ein Tumor festgestellt. Das könnte ein Nachspiel haben. Fußball wurde auch noch gespielt.

Im ersten Relegationsspiel drehte sich alles um Marco Russ Foto: rtr

Frankfurt/Main dpa | Eintracht Frankfurt hat sich eine Chance auf den Verbleib in der Fußball-Bundesliga erhalten. Beim 1:1 (0:1) gegen den Zweitligadritten 1. FC Nürnberg im ersten Relegationsspiel steckten die Hessen am Donnerstagabend auch den sportlichen Rückschlag eines Eigentores durch ihren Kapitän Marco Russ weg (43. Minute). Mijat Gacinovic gelang in der 65. Minute vor 51.500 Zuschauern der Ausgleich für das Team von Trainer Niko Kovac. Das Rückspiel findet am Montag in Nürnberg statt.

Dabei schlug der Schock über die Tumorerkrankung von Marco Russ bei Eintracht Frankfurt schon vor der Bundesliga-Relegation gegen den 1. FC Nürnberg in eine Jetzt-Erst-Recht-Stimmung um. Trotz seiner schweren Erkrankung lief der Verteidiger am Donnerstag im Hinspiel auf und wurde für seine Courage von den Fans schon vor dem Anpfiff gefeiert.

Angetrieben von Russ starteten die Frankfurter druckvoll. Schon in den ersten zehn Minuten erspielten sich die Gastgeber drei Eckbälle, die Gäste wurden weit in die eigene Hälfte gedrängt. Bereits in der siebten Minute hatte die Eintracht die erste gute Chance. Stefan Aigner scheiterte aber am Nürnberger Torwart-Routinier Raphael Schäfer.

Nach gut einer Viertelstunde ebbte der Anfangsschwung der Hessen aber ab. Der Zweitligist konnte sich nun befreien und die Partie offen gestalten. Wie schon in der gesamten Saison wurde bei der Eintracht deutlich, dass die Offensive keinen Erstliga-Ansprüchen genügt. So plätscherte die Partie die meiste Zeit dahin, ehe die Nürnberger zwei Minuten vor der Pause völlig überraschend in Führung gingen. Nach einem Freistoß des wiedergenesenen Sebastian Kerk behinderten sich Russ und Makoto Hasebe völlig unbedrängt, ehe Russ den Ball zum Entsetzen aller Frankfurter ins eigene Tor lenkte.

Die Eintracht musste sich von diesem Rückschlag erst einmal erholen. Auch nach der Pause dauerte es eine Viertelstunde, ehe die Hausherren wieder etwas Schwung aufnahmen. Dennoch fiel der Ausgleich durch Gacinovic überraschend. Der Serbe traf auf Zuspiel von Timothy Chandler. Doch mehr war für den Erstliga-16. nicht mehr drin. Im entscheidenden Spiel am Montag müssen die Frankfurter auf ihren Vorkämpfer Russ verzichten. Der Abwehrspieler sah die zehnte Gelbe Karte der Saison und ist gesperrt.

Eintracht legt sich mit Staatsanwaltschaft an

Nach dem Abpfiff beklatschten ihn die Stadionbesucher erneut, als Russ zusammen mit seinen beiden Töchtern auf das Spielfeld zurückkehrte. Der Tumor war nur deshalb erkannt worden, weil eine Dopingprobe bei dem 30 Jahre alten Ersatzkapitän einen auffällig hohen Wert des Wachstumshormons HCG in seinem Körper ergeben hatte. Russ wird bereits am kommenden Dienstag operiert.

„Die Ärzte sind sich sicher, dass er kurzfristig operiert werden muss, aber eine körperliche Belastung sich nicht negativ auf seinen Zustand auswirkt“, erklärte Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen kurz vor dem Anpfiff der Partie. „Sonst hätten wir das nicht gemacht.“ Er habe „in 30 Jahren Bundesliga viel erlebt, aber solch ein schlimmes Ereignis vor einem solch wichtigen Spiel noch nie“, sagte der scheidende Eintracht-Boss. Gemessen an der schrecklichen Diagnose und all ihren Folgen habe der Spieler aber „sehr gefasst“ reagiert.

Russ war nach Auskunft von Bruchhagen in den vergangenen Wochen dreimal kontrolliert worden. Der HCG-Wert sei dabei kontinuierlich gestiegen. Deshalb hatte der Verein am Mittwoch sofort reagiert, als er von der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA darüber informiert wurde.

„Wir müssen der NADA dankbar sein, dass sie diese Ergebnisse ermittelt und uns den Hinweis gegeben hat, dass diese dringend eine Untersuchung erforderlich machen“, sagte Bruchhagen. Russ wurde deshalb noch am Mittwoch zu einem Internisten und in ein biochemisches Institut geschickt. Blutwerte, Urinwerte und ein Ultraschallbild bestätigten dann die „schwere Tumorerkrankung“.

Abseits des Dramas um Russ legen sich die Hessen mittlerweile mit der Staatsanwaltschaft an. Die ermittelte gegen Russ zunächst wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz und ließ dabei auch seine Privatwohnung, seinen Spind auf dem Trainingsgelände und sein Zimmer in jenem Hotel durchsuchen, in dem sich die Eintracht auf das Nürnberg-Spiel vorbereitete.

Dass der Fußball-Profi erkrankt und nicht gedopt ist, erfuhren die Ermittler angeblich erst aus den Medien. Zum Zeitpunkt der Durchsuchungen hätten sie von der Erkrankung des Spielers noch nichts gewusst, erklärte eine Sprecherin.

„Mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären“

Dem widersprach Bruchhagen energisch. „Wenn die Staatsanwaltschaft sagt, sie habe keine Kenntnis gehabt, ist das schlichtweg falsch. Das werden wir gegebenenfalls noch dokumentieren. Aber ich will diese Baustelle nicht kurz vor dem Spiel aufmachen“, sagte Bruchhagen. Aufgrund des Vorgehens der Staatsanwaltschaft behält sich der Verein sogar rechtliche Schritte gegen die Behörde vor.

Präsident Peter Fischer sprach von einem „Skandal. Das ist vollkommen respektlos“, schimpfte er im Hessischen Rundfunk. „Was gestern Abend passiert ist, wird der Verein aufarbeiten müssen. Die Frage, in welchen Verhältnismäßigkeiten dort Hausdurchsuchungen und Hoteldurchsuchungen gestanden haben. Auf welchem Rechtsgrund die basierten. Ich werde den Vorstand dazu aufrufen, das nach allen Seiten juristisch zu prüfen.“

Die NADA hatte in ihrer Nachricht sofort darauf hingewiesen, dass der erhöhte Wert auch ein Hinweis auf eine Erkrankung sein könne. Nach Auffassung des Vereins hätte die Staatsanwaltschaft zwar kein ärztliches Attest, wohl aber den Hinweis der NADA auf eine mögliche Erkrankung vorliegen gehabt. „Warum man da noch weiter ermittelt, ist mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären“, meinte Bruchhagen.

Mit großer Anteilnahme reagierten viele Spieler und Vereine auf Russ' Erkrankung. Den ganzen Tag über wurden Genesungswünsche versendet. „Wir wünschen Marco Russ alles Gute“, twitterte auch der große Frankfurter Rivale Kickers Offenbach. Am Montag wird Russ beim Rückspiel in Nürnberg gelbgesperrt fehlen.

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