Rekordhoch beim Kirchenasyl: Kirche im Widerstand
Immer neue Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik? Rekordwerte beim Kirchenasyl! Viele Gemeinden finden einen neuen Sinn im zivilen Ungehorsam.
D ie Kommode mit dem Fernseher steht direkt neben dem Bett von Raman Sheko und darauf, in einem durchsichtigen Bilderrahmen, ein Foto. Es zeigt Sheko und seine zwei kleinen Söhne. Sie sind mit ihrer Mutter in Syrien geblieben. Vor zwei Jahre hat Sheko sie das letzte Mal gesehen. Seitdem könne er nur selten mit ihnen telefonieren – wenn die Mutter Lust dazu habe. Sie habe sich scheiden lassen, weil sie in Syrien bleiben wollte, erzählt der 37-Jährige. Dabei sei er für seine Kinder geflohen. Sie sollten in Frieden aufwachsen. Jetzt teilt er sich nicht mit ihnen ein Zimmer, sondern mit einem Onkel und dessen 17-jährigem Sohn. Es dient den Männern als Schlaf-, Wohn- und Esszimmer.
Bis Anfang Januar hatte Raman Sheko nebenan ein Zimmer für sich allein, in der ehemaligen Küsterwohnung im Gemeindehaus am nördlichen Stadtrand Bremerhavens. Aber dann standen zwei weitere Syrer, 32 und 36 Jahre alt, vor Sebastian Ritter, Pastor der Johannesgemeinde in Bremerhaven, und baten um Kirchenasyl. Der fragte die anderen drei, ob sie zusammenrücken würden. „Sie haben sofort Ja gesagt“, erzählt er an einem grauen, kalten Vormittag Ende Januar in einem Gruppenraum im Erdgeschoss des 60er-Jahre-Baus, direkt unter der Wohnung der fünf Syrer.
Pastor Ritter, in Baggyjeans und Turnschuhen, hat die taz eingeladen, sich ein Bild davon zu machen, was Kirchenasyl bedeutet. Das ist ihm in diesen Zeiten ein Anliegen. Denn während die Politik Asylgesetze immer weiter verschärft (siehe Infokasten), suchen zugleich immer mehr Menschen Zuflucht in evangelischen und katholischen Kirchen. Dort sind sie weitestgehend sicher vor staatlicher Verfolgung. Eine rechtliche Grundlage gibt es dafür nicht, der Staat darf in kirchliche Räume eindringen. Es ist aber ein ungeschriebenes und sehr deutsches Gesetz, dass er das nur in Ausnahmefällen tut, aus Respekt gegenüber den beiden großen Kirchen und ihren Vertreter:innen.
Seit 2015 melden die Gemeinden ihre Kirchenasylfälle an das Bundesamt für Migration. Demnach gab es zuletzt eine deutliche Steigerung: Im Jahr 2021 befanden sich 1.231 Personen im Kirchenasyl, 2022 waren es 1.763 und bis Ende Oktober 2023 schon 2.219 Personen. Die meisten kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Kirchenasyl dauert in der Regel nur wenige Wochen oder Monate – dann können die Geflüchteten zumeist einen regulären Asylantrag in Deutschland stellen und sind somit zunächst auch gesetzlich vor Abschiebung geschützt.
Denn die Kirchengemeinde kümmern sich in erster Linie um sogenannte Dublin-Fälle, benannt nach dem 1990 erstmals in Dublin getroffenen Übereinkommen zum europäischen Asylrecht. Es gilt in den EU-Mitgliedsstaaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Nach der derzeit gültigen Dublin-III-Verordnung können die Staaten die Asylsuchenden in das Land „überstellen“, in dem sie nachweislich zuerst angekommen sind. Sobald sich dieses Ersteinreiseland bereit erklärt hat, die Person zurückzunehmen, läuft eine sechsmonatige Frist. Danach dürfen die Menschen in dem Land Asyl beantragen, das sie sich ausgesucht haben – zum Beispiel eben in Deutschland. Im Kirchenasyl können die Menschen diese Wartefrist überbrücken und sind vor einer Abschiebung in das Ersteinreiseland geschützt.
Die Chancen für einen positiven Ausgang stehen für Menschen im Kirchenasyl gut: Nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl endeten 2021 und 2022 jeweils über 96 Prozent der Fälle damit, dass die Geflüchteten in Deutschland bleiben dürfen, zumindest vorerst – also bis die Behörden über ihren Asylantrag entschieden haben.
Anfang 2023 habe es angefangen, dass sich die Anfragen häuften, erzählt Pastor Ritter. Im Sommer habe es einen erneuten sprunghaften Anstieg gegeben. „Bisher habe ich aber für alle etwas gefunden.“ Eine Nachbargemeinde habe eine achtköpfige Familie aus Tschetschenien aufgenommen, eine weitere richte eine Wohnung her. Er ist stolz darauf, dass es in Bremerhaven und Umland jetzt vier Gemeinden gibt, die Kirchenasyl anbieten, unterstützt vom Kirchenkreis, der höheren Leitungsebene.
Im Dezember einigte sich die EU auf ein neues Gemeinsames Asylsystem (GEAS). Es sieht unter anderem eine Verschärfung der Dublin-Regeln vor: Die auch bisher möglichen Überstellungen in das EU-Land der ersten Einreise müssen künftig von diesem nicht vorher akzeptiert, sondern diesem nur angekündigt („notifiziert“) werden. Die Außengrenzen-Staaten bleiben künftig 20 Monate, bisher ein Jahr, für die Ankommenden verantwortlich. Die Rücküberstellungsfrist bleibt bei 6 Monaten, es sei denn, die Person wurde zuvor im Grenzverfahren abgelehnt – dann sind es 15 Monate.
Anfang Februar billigte der Bundesrat das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel. Es ist die fünfte Reform seit 2015. Unter anderem sollen Polizeibeamt*innen Wohnungen und Unterkünfte von Geflüchteten ohne richterliche Genehmigungen betreten dürfen. Abschiebungen sollen den Betroffenen zudem künftig nicht mehr angekündigt werden.
Er habe erstmals in diesem Jahr eine Warteliste eingeführt, sagt Sven Quittkat von der Dachstiftung Diakonie in Hannover. „Bis März 2023 hatte ich eine Anfrage pro Woche, jetzt sind es vier bis fünf“, berichtet er in einem Telefonat. Der Pastor koordiniert das Netzwerk Kirchenasyl in Bremen und Niedersachsen. In den Diakonieräumen kann er neun Personen mit oder ohne Angehörige unterbringen. Dabei solle sich niemand mit Fremden ein Zimmer teilen müssen: „Diese Menschen sind in einer Situation, in der sie Privatsphäre und Ruhe brauchen.“
Staat verliert seinen Respekt vor dem Kirchenasyl
In der Johannesgemeinde in Bremerhaven sitzen die syrischen Männer in Winterjacken neben dem Pastor und einer Übersetzerin am großen Konferenztisch auf Wippstühlen und erzählen von ihrer Flucht nach Deutschland. Alle fünf sind Kurden aus der Region al-Hasaka im Nordosten Syriens. Zwei flohen über Rumänien, drei über Bulgarien im Sommer 2023. Alle wurden in diesen EU-Ländern als Geflüchtete registriert, nachdem Polizisten sie dort zwangen, ihre Fingerabdrücke abzugeben.
So gut wie nie geschieht nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft das, was eine 2015 mit dem Bundesamt für Migration getroffene Vereinbarung vorsieht: dass es vor dem Eintritt ins Kirchenasyl den Fall erneut prüft und von einer Abschiebung absieht. Dafür fertigen die Gemeinden sogenannte Härtefalldossiers an, in denen sie den jeweiligen Einzelfall beschreiben und darlegen, warum sie eine Abschiebung für unzumutbar halten.
Diese Dossiers bedeuten viel Arbeit für die Verfasser:innen. Der Hannoveraner Pastor Sven Quittkat schnaubt, wenn er über deren Behandlung durch das Bundesamt spricht. „Die Ablehnung geht nicht auf den Fall ein und besteht aus ein paar Schnipseln Copy and Paste, die begründen sollen, warum Bulgarien ein ganz tolles Land ist.“ Die ökumenische Arbeitsgemeinschaft hatte schon 2019 kritisiert, „selbst hoch suizidale Menschen, Opfer von Menschenhandel oder demente Senioren mit nahen Angehörigen in Deutschland“ würde das Bundesamt nicht als Härtefälle anerkennen.
Mit der verschärften Abschiebepolitik, auch auf EU-Ebene, verändert sich etwas: Der Staat verliert seinen Respekt vor dem Kirchenasyl. Er habe festgestellt, dass die Behörden mehr Druck ausübten, häufiger nachfragten als früher, sagt der Bremerhavener Pastor Ritter.
Eine Erfahrung, die auch andere Gemeinden machen und an die Bundesarbeitsgemeinschaft weitergegeben haben. Die ist zudem in Sorge, weil es 2023 mehrere Fälle gegeben hat, in denen Menschen aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden sollten, was früher nur alle paar Jahre vorgekommen sei. Vier Tage vor Weihnachten eskalierte ein solcher Versuch in Schwerin, nachdem eine afghanische Frauenrechtlerin mit Suizid drohte, wenn ihre beiden erwachsenen Söhne mitgenommen würden. Am Ende waren 40 Polizist:innen im Einsatz und die Familie, darunter eine 13-Jährige und ein Zehnjähriger, erlitt ein weiteres Trauma.
Zu den fünf Syrern in Bremerhaven hat sich das nicht rumgesprochen. Er fühle sich sicher, sagt Abdulbari Ahmad, der Onkel von Raman Sheko, mit 49 Jahren der Älteste der fünf. Er sei geflohen, nachdem sein Sohn in Syrien aus der Schule von Milizen entführt worden sei. Nach Rumänien will er nicht, weil er wisse, was ihnen dort blüht: keine Hilfe vom Staat, dafür Polizeigewalt. So hätten sie es auf der Flucht erlebt. Sie sind keine Einzelfälle. Viele, die Geflüchteten helfen, kennen diese Geschichten.
In Bulgarien ist es nicht einfacher, erzählt Sheko, der dort sogar Asyl beantragt hatte. Nach einem halben Jahr ohne Hilfestellung vom Staat sei er weiter nach Deutschland gezogen. Dass er bereits einen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat, macht seinen Fall komplizierter als die anderen, die nur warten müssen, bis die Sechsmonatsfrist abläuft. „Alles gut“, sagt er dennoch, und dass er gerne eine Ausbildung zum Bäcker machen würde.
Alle fünf Syrer haben monatelang nach einer Gemeinde gesucht, die ihnen hilft, erzählen sie. Unter den Geflüchteten in den Unterkünften kursieren Telefonnummern, von Hilfsorganisationen, aber auch von Pastoren wie Sebastian Ritter. Ahmad und sein Sohn hatten es zunächst in Bamberg versucht, dem Ort, den Deutschland den beiden als Wohnort zugewiesen hatte. Sie telefonierten, schrieben Mails, klingelten bei Kirchengemeinden – und hörten stets, dass diese entweder niemanden mehr aufnehmen könnten oder grundsätzlich kein Kirchenasyl gewähren.
Tatsächlich ist die Bereitschaft der Kirchen in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Aus Baden-Württemberg sind dem Bundesamt bis Ende Oktober 2023 gerade einmal 14 Kirchenasylfälle gemeldet worden. Ein Fall kann auch mehrere Personen oder Familien umfassen. Im Stadtstaat Bremen waren es im selben Zeitraum 74, bei den Spitzenreitern Hessen 265, in Bayern 286 und in Nordrhein-Westfalen 484 Fälle.
In seinem Bundesland bestehe eine lange Tradition des Kirchenasyls, sagt Benedikt Kern, katholischer Theologe und Koordinator der Kirchenasyle in Nordrhein-Westfalen. In anderen Bundesländern fehle oft eine Unterstützung der Kirchenleitungen oder Strukturen, in denen sich Gemeinden unterstützen. An Geld für Heizkosten oder Lebensmittel scheitert es seiner Meinung nach selten, eher an fehlenden Räumen oder Menschen in der Gemeinde, die Zeit und Energie haben, sich um die Geflüchteten zu kümmern. Die sind schwer belastet, sprechen selten Deutsch oder Englisch. „Man braucht zwei, drei Leute, die dafür brennen“, sagt Kern.
Entscheidungen über Schicksale
Manche Gemeinden, die jetzt erstmals mit dem Thema konfrontiert sind, seien verunsichert, glaubt Benedikt Kern. „Nicht aufgrund realer Probleme, sondern wegen der Diskussion um die Asylrechtsverschärfung.“ Für Kern ist das Kirchenasyl mehr als eine karitative Geste. Er sieht darin ein politisches Statement gegen die restriktive Abschiebepolitik von FDP, SPD und Grünen: „Damit zeigen die Gemeinden, auf welcher Seite sie stehen.“ Kirchenasyl gehe dabei sehr viel weiter, als gegen die AfD zu demonstrieren: „Das bedeutet, jemand aktiv der Abschiebung zu entziehen.“ Angst vor Strafverfolgung bräuchten Gemeindeleitungen dennoch nicht zu haben, Anzeigen seien selten, heißt es auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Kirchenasyl. Ermittlungen würden meistens eingestellt, in Einzelfällen sei ein Bußgeld verhängt worden.
Dass sich sein Kirchenvorstand 2017 entschied, diese Form des zivilen Ungehorsams auszuüben, hatte Pastor Ritter überrascht. Ein Bekannter, der mit Geflüchteten arbeitete, hatte ihm damals die Familie Fandi aus Syrien ans Herz gelegt. Mutter, Vater, sechs Kinder, darunter die heute 21-jährige Lava. Sie macht gerade Abitur und übersetzt bei dem Termin mit der taz.
Mit ihrer Familie hat die Geschichte des Kirchenasyls in der Johannesgemeinde begonnen. Sie waren ursprünglich nach Dänemark zum ältesten Sohn geflohen. Ein Jahr lebten sie dort. In der Schule und im Kindergarten hätten die anderen Kinder kein Wort mit ihnen gesprochen, erzählt Lava Fandi, die den Pastor „Onkel Sebastian“ nennt. Sie sind zu einer Familie zusammengewachsen in der Zeit des Kirchenasyls.
Dass die Familie Hilfe brauchte, war ihm schnell klar. Dänemark schiebt wie Schweden nach Syrien ab und hat seit Jahren eine restriktivere Migrationspolitik als Deutschland. Wer bleiben darf, bekommt so viele Steine in den Weg gelegt, dass Geflüchtete oft freiwillig gehen. Für die Eltern von Lava Fandi war der Moment gekommen, als sie nur noch umgerechnet 70 Euro im Monat für Lebenshaltungskosten bekamen. Das Jugendamt fand, davon könne man keine Familie ernähren, die Kinder müssten ins Heim.
Der Pastor hatte nach Vermittlung aus der Geflüchtetenhilfe die damals 14-jährige Lava und ihren Vater zur Kirchenvorstandssitzung eingeladen. Dieser persönliche Kontakt habe die Entscheidung maßgeblich beeinflusst. „Es hieß dann nicht mehr, nehmen wir sie auf, sondern wie“, erinnert sich der 54-Jährige. „Die können wir nicht wegschicken“, habe ein Vorstandsmitglied gesagt.
Doch wer wird aufgenommen, wer nicht, vor allem wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt? „Es bleibt tragisch, man entscheidet über Schicksale“, sagt der Hannoveraner Pastor Quittkat. Objektive Auswahlkriterien gibt es nicht, die Gemeinden entscheiden selbst. Die Bundesarbeitsgemeinschaft listet auf ihrer Homepage Voraussetzungen auf, an denen sie sich orientieren können. Das sind: die unmittelbar drohende Abschiebung und die damit verbundene Gefährdung von Gesundheit oder Leben, oder andere unzumutbare Härten wie Familientrennungen. Zudem sollten Chancen auf eine Lösung bestehen – wozu nicht nur Bleibemöglichkeiten, sondern auch eine begleitete Rückkehr gezählt wird. Und: Die Gemeinde müsse in der Lage sein, die Menschen zu versorgen und zu begleiten.
Pastor Ritter achtet mittlerweile darauf, dass seine Gäste vor Ort Verwandte oder Freunde haben, die sie unterstützen können. „Alleine schafft man das nicht“, sagt er. Auch die Dachstiftung Diakonie in Hannover macht die Aufnahme davon abhängig. Die Versorgung mit Lebensmitteln müssen hier andere sicherstellen: In der Zeit des Kirchenasyls bekommen die Betroffenen kein Geld vom Staat. Und wie viele andere Gemeinden schauen sie in Hannover, dass die Menschen bereits in der Region leben. Wer einen Heimplatz in Sachsen zugewiesen bekommen hat, hat demnach eher Pech: Hier gab es bis Ende Oktober nur fünf Kirchenasylfälle.
Es gibt eine weitere Voraussetzung für die Aufnahme ins Kirchenasyl, den die Bundesarbeitsgemeinschaft aufzählt: „Die Flüchtlinge sind bereit, die eingeschränkten Lebensbedingungen während des Kirchenasyls auf sich zu nehmen.“ Dabei ist die Unterbringung in den Gemeinderäumen meistens weniger eingeschränkt als in Heimen, in denen viel mehr Menschen zusammenleben, und wo es häufig auch keine eigene Kochgelegenheit gibt. In der Johannesgemeinde in Bremerhaven existiert immerhin eine Gemeindeküche, einen Stock tiefer. Neulich organisierte die Gemeinde ein Grünkohlessen für die ehrenamtlichen Helfer. Für die Fandis und die anderen Syrer gab es Huhn dazu.
Menschen im Kirchenasyl dürfen das Gelände nicht verlassen, weil sie dann theoretisch jederzeit von der Polizei in Gewahrsam genommen werden könnten. Nur minderjährige Kinder können sich frei bewegen, weil sie nicht von ihren Eltern getrennt abgeschoben werden dürfen, deshalb ist auch ein Schul- oder Kindergartenbesuch möglich. Was machen sie also den ganzen Tag außer warten? „Rauchen“, sagt Raman Sheko, und: „Deutsch lernen“, am Handy oder beim Fernsehen. Sport würden sie gucken, aber auch Nachrichtensender, die Informationen über den Krieg in Syrien und damit über das Leben der Angehörigen liefern. Die Frau und der jüngste Sohn von Abdulbari Ahmad leben noch in Syrien, der älteste Sohn in Norddeutschland.
Immerhin ist das Kirchengelände in Bremerhaven groß genug für Spaziergänge. Vor der Kirche und dem Gemeindehaus liegt eine große Wiese. Keiner der fünf Syrer möchte sich über irgend etwas beklagen, zu dankbar sind sie für die Hilfe. Nur auf Nachfrage sagen sie, dass das Warten und die Ungewissheit auf einen guten Ausgang zermürbend sei. Abdulbari Ahmad hat tiefe Augenringe. Er schlafe nicht gut, sagt er. „Viele Sorgen.“
Später erzählt der Pastor, dass er und einer der beiden alleinstehenden Männer immer sofort zur Stelle seien, wenn sie Stühlerücken aus dem Gemeindesaal hören. „Können wir helfen?“, fragten sie dann, froh über Abwechslung und Ablenkung und vielleicht auch darüber, etwas zurückgeben zu können. Als es Mitte Januar geschneit hatte, hätten sie umgehend die Wege frei geschippt.
Das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich die Menschen im Kirchenasyl befinden, birgt Gefahren. „Sie sind extrem verletzlich“, sagt Sara Haddad, eine 22-jährige Syrerin, im Zoom-Interview. Sie heißt eigentlich anders und hat selbst zwei Monate im Kirchenasyl gelebt, weil sie sonst nach Polen abgeschoben worden wäre. Jetzt fungiert sie in der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft als Ansprechpartnerin für Menschen im Kirchenasyl.
Es gibt eine Whatsapp-Gruppe und einmal im Monat ein Onlinetreffen. Haddad hat auch an einem noch unveröffentlichten Konzept mitgearbeitet, das vor sexueller Gewalt und Grenzverletzungen schützen soll. Es fordert Gemeinden dazu auf, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und bietet Informationen und Handlungsideen. Dazu gehört auch ein Flyer, den sie den Gästen im Kirchenasyl aushändigen können. Darauf steht unter anderem, niemand dürfe zum Besuch von Gottesdiensten gezwungen werden.
Aber manche nehmen freiwillig teil oder helfen bei der Organisation, erzählt der Bremerhavener Pastor Sebastian Ritter. Von den syrischen Muslimen habe er gelernt, was religiöse Toleranz ist. Die jüngste Tochter der Familie Fandi spielt mit Leidenschaft den Verkündigungsengel im jährlichen Krippenspiel.
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