: Rekord in kleinen Schritten
Klimawandel und verwässerte Lieferkettengesetze setzen den Fairen Handel unter Druck
Von Kristina Simons
Die Stadt Pichanaki ist das Zentrum von Perus bekanntester Kaffeeregion Chanchamayo. In den Bergen oberhalb von Pichanaki baut Gladys Fernández auf einer rund vier Hektar großen Farm Kaffee an. Sie hat sich vor allem auf die Sorten Geisha und Catuay spezialisiert, sie stehen für besondere Qualität. Die 45-Jährige will Gourmet-Kaffee produzieren, der besser bezahlt wird. Für sie ist das auch eine Investition in die Zukunft ihrer beiden Kinder. Zugleich ist Fernández Präsidentin des Frauenkomitees der Kaffeegenossenschaft Asociación Central de Productores de Café Pichanaki (ACPC). Die Genossenschaft, die seit 2009 Fairtrade-zertifiziert ist und die GEPA mit fair gehandeltem Bio-Kaffee beliefert, ist Vorreiterin bei der Förderung von Frauen. Bereits 108 der etwa 370 Genossenschaftsmitglieder sind weiblich. Und es werden stetig mehr. Das Frauenkomitee, in dem 36 der 108 Genossinnen aktiv sind, unterstützt sie unter anderem mit Seminaren zu Frauenrechten und agrartechnischen Beratungen.
Durch die Fairtrade-Zertifizierung erhalten die Mitglieder garantierte Mindestpreise für ihren Kaffee sowie zusätzliche Fairtrade- und Bio-Prämien. Das sichert ihnen stabile Einkommen, verringert die Abhängigkeit von schwankenden Weltmarktpreisen und garantiert ihnen langfristige Handelsbeziehungen. Zudem konnte die ACPC-Genossenschaft dank der Prämien in eine neue Verarbeitungsanlage und Infrastrukturprojekte investieren. Doch wie so viele Kaffeebauern leiden auch ihre Mitglieder unter steigenden Temperaturen und Wassermangel, neuen Krankheiten und Schädlingen als Folgen des Klimawandels. Deshalb bauen sie ihren Kaffee heute – dank der Unterstützung durch den Fairen Handel – in höheren und kühleren Lagen von 1.100 bis 1.650 Metern an.
„Fairer Handel steht für Verlässlichkeit in Krisenzeiten und für soziale sowie ökologische Verantwortung entlang globaler Lieferketten. Angesichts von Klimakrise, wachsender Ungleichheit und gesellschaftlicher Spaltung ist das heute wichtiger denn je“, betont Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forums Fairer Handel (FFH). Zahlen des FFH zeigen, dass 2024 ein Rekordjahr für den Fairen Handel in Deutschland war: Entsprechende Produkte kamen auf einen Gesamtumsatz von rund 2,6 Milliarden Euro – das entspricht einem Plus von 11 Prozent gegenüber dem Jahr davor.
Der Grund dafür liegt vor allem in höheren Absatzmengen bei zentralen Produkten wie Kaffee und Schokolade. Mit einem Anteil von 37,7 Prozent (plus 5,5 Prozent) war Kaffee das bei Weitem beliebteste faire Produkt in Deutschland – Schokolade kommt auf 6,9 Prozent. Zugleich waren 2024 die Preisschwankungen auf dem Weltmarkt für Kaffee außergewöhnlich stark. Für die Produzentinnen und Produzenten ist es zwar erst einmal gut, dass der Kaffeepreis derzeit auf einem Allzeithoch ist.
Vom 12. bis 26. September findet die diesjährige Aktionswoche des Fairen Handels in Deutschland statt. Sie steht unter dem Motto „Fair handeln – Vielfalt erleben!“ Bundesweit finden rund 2.000 Veranstaltungen statt. Sie machen die Zusammenhänge zwischen fairem Handel, nachhaltiger Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit praktisch erlebbar. Handelspartnern aus vielen verschiedenen Ländern berichten in Schulen, Rathäusern und im Radio von den Wirkungen des Fairen Handels und ermöglichen einen direkten Dialog zwischen Produzenten und Verbrauchern.
„Doch bleibt er volatil und die Produktionskosten haben sich infolge von Inflation und Klimakrise fast verdoppelt“, so FFH-Geschäftsführer Matthias Fiedler. „Auch die starke Machtkonzentration sowohl bei den Kaffeehändlern und -röstern als auch am Ende der Lieferketten im deutschen Lebensmitteleinzelhandel geht zu Lasten der Kaffeekooperativen und ihrer Mitglieder.“ Ähnlich ist die Situation bei Schokolade: Der Absatz fair gehandelter Schokolade stieg 2024 gegenüber 2023 um 5,7 Prozent. Und auch die Kakaopreise lagen 2024 auf Rekordniveau. In Folge der Klimakrise brachen allerdings bei vielen Produzentinnen und Produzenten vor allem in Westafrika die Ernten dramatisch ein.
Mit Blick auf die vielfältigen sozialen und ökologischen Krisen dürften Nachhaltigkeitsstandards kein zu vernachlässigendes „Nice to have“ mehr sein und müssten Machtkonzentrationen in Lieferketten verhindert werden, betont Fiedler. Die Lieferkettengesetze in Deutschland und der EU seien wichtige Meilensteine für die Durchsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten. Doch aufgrund Forderungen nach mehr Deregulierung würden sie derzeit massiv unter Druck stehen. Vorreiterunternehmen wie jene im Fairen Handel hätten sich von den Lieferkettengesetzen deutlich mehr erhofft. „Denn gerade, weil sie ihre Kosten nicht auf die Gesellschaft abwälzen, sondern im Einklang mit sozialen und ökologischen Aspekten wirtschaften, haben sie enorme Wettbewerbsnachteile.“ Verantwortungsvolles Unternehmertum dürfe deshalb nicht als bürokratisches Hindernis abgetan werden, sondern müsse als das begriffen werden, was es sei: die Verpflichtung von Unternehmen, Menschenrechte und ökologische Standards einzuhalten. „Das geht nur, wenn alle mitmachen, und deshalb braucht es starke Regeln für Unternehmen.“ Dazu gehören für ihn vor allem politische Weichenstellungen, um die Machtkonzentration in Lieferketten und im Lebensmitteleinzelhandel zu begrenzen und eine faire Verteilung der Wertschöpfung zu ermöglichen.
Auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland ist beim Fairen Handel noch viel Luft nach oben: Sie gaben 2024 im Schnitt gerade mal 31 Euro für fair gehandelte Produkte aus – im ganzen Jahr. In der Schweiz waren es pro Kopf umgerechnet rund 120 Euro, in Österreich etwa 77 und in Frankreich rund 38 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen