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Reichsbürger-Prozess in FrankfurtFreimütiges Plaudern über Mord und Totschlag

Im Reichsbürger-Prozess gegen Prinz Reuß & Co. berichtet ein erster Belastungszeuge über blutige Umsturzpläne der Truppe. Doch es bleiben Fragezeichen.

SEK Beamte eskortieren den Hauptangeklagten Heinrich Prinz Reuß vom Oberlandesgericht Frankfurt in einen Wagen zum Gefängnis Foto: Boris Roessler/dpa

Frankfurt am Main taz | Wenn dieser Prozess eines in großem Maße zutage gefördert hat, dann ist es Irrsinn. An mehr als 50 Tagen hat das Frankfurter Oberlandesgericht nun schon gegen die mutmaßliche Führungsriege der Reichsbürger-Verschwörung um Heinrich XIII. Prinz Reuß verhandelt. Doch über die mörderischen Putschpläne, die den Hansneun Männern und Frauen zur Last gelegt werden, war bislang wenig zu erfahren. Umso mehr dafür über die kruden und nicht selten antisemitisch gefärbten Verschwörungsmythen, denen sie anhängen.

Fernab von Anspruch auf Vollständigkeit: Reptiloide. Jüdische und muslimische Soldaten, die in einem Bunker unter dem Kanzleramt stationiert seien. Altnazis, die in der Arktis „Reichsflugscheiben“ zusammen zimmern. Eine globale und/oder intergalaktische Geheimarmee, die die Menschheit „befreien“ werde. Und über allem der QAnon-Glaube, dass satanisch-pädophile Machteliten das Land beherrschen und in unterirdischen Tunneln Kindern rituell missbrauchen.

Waren die Angeklagten und ihre Mitstreiter*innen, die in parallelen Prozessen in Stuttgart und München vor Gericht stehen, also nur harmlose Irre, wie die Verteidigung glauben machen will? Oder waren sie so verblendet, dass sie zum Äußersten bereit waren, wie die Bundesanwaltschaft argumentiert? Erstmals ist im Prozess nun ein Zeuge vernommen worden, der sagt: eindeutig letzteres.

Der 31-Jährige, der am Dienstag bereits zum dritten Mal vom Gericht befragt wurde, hat mit dem Angeklagten Hans-Joachim H. in Untersuchungshaft gesessen. Jeden Tag sollen sie miteinander gesprochen haben, oft stundenlang. Jedes Mal will der Zeuge unmittelbar danach aufgeschrieben haben, was ihm der 66-Jährige, ein selbstständiger Unternehmensberater aus der Nähe von Hamburg, erzählt haben soll.

Traum vom gewaltvollen Umsturz

Von einem „kranken System, das mit aller Kraft zerstört werden muss“, soll H. gesprochen haben. Dass das „nicht auf demokratischer Basis“ möglich sei, sondern nur „blutig“. Und selbstverständlich hätten in dem von Reuß geführten „Rat“, den die Bundesanwaltschaft für die designierte Putschregierung hält, alle von den Plänen gewusst, den Bundestag anzugreifen. Was die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die sich als einzige der Frankfurter Angeklagten bisher zur Sache geäußert hat, wortreich bestritten hat.

Hans-Joachim H. kommt in der Anklage vor allem als Geldgeber vor, der die Vereinigung mit rund 160.000 Euro unterstützt haben soll. In der Darstellung seines ehemaligen Mithäftlings erscheint eher dagegen als Gewaltprediger mit AfD-Sympathien, der davon geträumt haben soll, mit einer Schusswaffe das Weltwirtschaftsforum in Davos zu stürmen.

Der es okay gefunden haben soll, wenn im Bundestag „ein paar über die Wupper gehen würden“. Und der auch sonst recht freimütig darüber gesprochen haben soll, wer angeblich alles hingerichtet werden sollte. Die Mo­de­ra­to­r*in­nen Markus Lanz und Sandra Maischberger zum Beispiel.

Kann man das glauben? Für die Verteidigung ist klar: auf keinen Fall. Sie verweist darauf, dass der Zeuge ein verurteilter Betrüger sei, der vor Hans-Joachim H. schon zwei weitere Mitgefangene zum Plaudern gebracht haben will, in erstaunlich kurzer Zeit. Und der sich davon natürlich Vorteile für seinen eigenen Prozess erhofft habe. „Der Zeuge lügt notorisch, dass sich die Balken biegen“, sagt Rechtsanwalt Jochen Lober.

Ins Vertrauen gezogen

Unbestreitbar ist: Der Mann hat von H. nicht nur den Haftbefehl, sondern auch die Anklage zu lesen bekommen. Er hätte also auch auf dieser Grundlage etwas zusammen fabulieren können. Ebenfalls unbestreitbar aber dürfte sein, dass H. ihm vertraut hat. Rund 200 Seiten, auf denen er unter anderem Überlegungen zu seiner Verteidigungsstrategie festgehalten hat, übergab er seinem vermeintlichen Gesinnungsgenossen.

Er beauftragte ihn, nach der Entlassung aus der Haft eine „Pädo-Liste“ mit den Namen von 442 angeblichen Tä­te­r*in­nen der „satanisch-rituellen Pädophilie“ zu veröffentlichen. Und er verriet ihm, wo der USB-Stick mit dieser Liste in seinem Haus versteckt sei.

Kurz bevor im Mai 2024 der Prozess in Frankfurt begann, wurde das Haus von Hans-Joachim H. deshalb erneut durchsucht. Der USB-Stick wurde in einem Treppengeländer entdeckt – genau dort, wo der Belastungszeuge gesagt hatte.

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