Regisseurin zu #MeToo und Dieter Wedel: „Casting in privaten Hotelzimmern?“
Regisseur Dieter Wedel soll Frauen bedrängt und eine Frau vergewaltigt haben. Die Branche ist zu männlich, sagt Regisseurin Barbara Rohm.
taz: Frau Rohm, drei Schauspielerinnen sagen, Dieter Wedel habe sie bedrängt, erniedrigt und eine sogar vergewaltigt. Haben Sie diese Vorwürfe überrascht?
Barbara Rohm: Dass es in der deutschen Filmbranche Fälle von sexualisierter Belästigung und Gewalt gibt, hat mich nicht überrascht. Wir haben hierzulande, genau wie in den USA, ein System, das auf Macht beruht, und wo Macht ist, gibt es Missbrauch.
Und was denken Sie konkret über den Fall Dieter Wedel?
Ich glaube nicht, dass es die Debatte voranbringt, wenn wir über Einzelfälle sprechen.
Aber braucht es nicht diese Einzelfälle, um die Debatte überhaupt erst zu beginnen? Wir haben doch in den USA gesehen: #metoo kam erst ins Rollen, nachdem sich 60 Schauspielerinnen gegen Harvey Weinstein gestellt haben.
Ja, aber wenn wir uns an den Einzelfällen aufhalten, verlieren wir die Strukturen aus dem Blick, die den Missbrauch begünstigen.
Welche sind das?
Dass der Großteil der Führungspositionen und der kreativen Posten in der Filmbranche noch immer von Männern besetzt ist. Und das stereotype Rollenbilder in den Medien immer wieder reproduziert werden.
Barbara Rohm, Regisseurin und Sprecherin von Pro Quote Regie, einem Zusammenschluss deutscher Regisseurinnen.
Wieso ist es immer wieder die Film- und Fernsehbranche, aus der wir solche Vorwürfe hören?
Ich bin überzeugt, dass es Erniedrigung und sexualisierter Gewalt in allen Branchen gibt. Je stärker Hierarchien ausgebildet sind, umso größer ist die Gefahr für sexualisierte Übergriffe. Und die Filmbranche ist stark hierarchisch. Und es herrscht leider immer noch die Vorstellung vom männlichen Genie, das seine Stoffe nur dann schreiben kann, wenn es alle Tabus und Regeln bricht.
Im deutschen und im internationalen Film gibt es viele große Schauspielerinnen. Wieso liegt die Macht der Branche trotzdem in Männerhand?
Die weiblichen Stars sind Ausnahmen. Diverse Studien zeigen, dass Frauen viel weniger Rollen in Filmen spielen. Auch hinter der Kamera gibt es ein extremes Ungleichgewicht: Bei nur knapp jedem fünften Film, der in den Öffentlich-Rechtlichen läuft, führen Frauen Regie. Nur 10 Prozent der Film-Fördergelder gehen an Frauen. Die Medienbranche ist viel weniger emanzipiert, als sie vorgaukelt zu sein.
In der Geschichte im Zeit Magazin wird deutlich, dass viele Menschen wussten, dass Wedel Schauspielerinnen schlecht behandeln soll. Selbst seine Casterin sagt, sie hätte junge Frauen davor gewarnt, mit Wedel aufs Hotelzimmer zu gehen. Wieso kann sich so jemand so lange in der Branche halten?
Mich wundert vor allem, dass sich die Kultur, die auch der Artikel beschreibt, nicht ändert: Warum müssen Castings in privaten Hotelzimmern stattfinden? Warum herrscht an Filmsets so ein diktatorischer, erniedrigender Ton? Deswegen sage ich ja: Die Debatte um Frauen in der Filmszene geht viel weiter, als nach Namen von mutmaßlichen Vergewaltigern zu suchen. Nur wenn wir den Schritt von der Demaskierung einzelner Männer zur Demaskierung eines Systems gehen, dann wird sich etwas verändern.
Regisseur und Drehbuchautor, war in den 1990er Jahren erfolgreich mit Fernsehmehrteilern wie „Der König von St. Pauli“, „Der große Bellheim“ und „Der Schattenmann“. Der 75-Jährige ist heute Intendant der Bad Hersfelder Theaterfestspiele.
Sowohl in dem Text über Wedel als auch in der Berichterstattung über Weinstein hieß es immer wieder: Die Frauen haben der Erniedrigung oft nicht widersprochen, weil sie wussten, dass an diesen Männern ihre Karriere hängt. Hat die einzelne Schauspielerin überhaupt eine Möglichkeit, sich zu entziehen?
Das ist eine extrem persönliche Entscheidung, die ich nicht kommentieren möchte. Aber wichtig ist mir, dass wir davon wegkommen, der einzelnen Schauspielerin die Schuld zu geben, wenn sie angegriffen wurde.
Was muss sich ändern?
Das sinnvollste Korrektiv sind ausgewogene Geschlechterverhältnisse auf allen Führungsebenen. Deshalb fordert unser Verband eine Quote: Wir wollen, dass 50 Prozent der Filmaufträge an Projekte vergeben werden, in denen Frauen Drehbuch schreiben, Regie führen oder die Produktion übernehmen. Wichtig ist außerdem, dass Führungskräfte verpflichtet werden, an Genderseminaren teilzunehmen, dass in Gremien und Hochschulen Genderkompetenz vermittelt wird.
Glauben Sie wirklich, dass Männer wie Weinstein oder mutmaßlich Dieter Wedel ihr Verhalten ändern, weil sie in einem Genderseminar saßen?
Es geht um einen Kulturwandel – der kann nur passieren, wenn wir offen über das Thema sprechen. In Deutschland bin ich optimistisch, dass das gelingen kann. Das System der Filmförderung funktioniert hier anders als in den USA: Alle Filme werden mit öffentlichen Geldern gefördert. Und wer Geld will, muss sich an Spielregeln halten. Zur Not müssen diese Regeln gesetzlich festgeschrieben werden.
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