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Regisseurin über Sex unter Jugendlichen„Einverständnis ist ein Prozess“

Molly Manning Walker hat mit „How to Have Sex“ einen Film über Geschlechterrollen bei Jugendlichen gedreht. Es gehe immer noch viel um die männliche Lust.

Tara (Mia McKenna-Bruce) beim Feiern auf Kreta Foto: Nikos Nikolopoulos/Capelight
Interview von Patrick Heidmann

Ihre Karriere begann Molly Manning Walker als Kamerafrau, bei preisgekrönten Kurzfilmen, Musikvideos oder auch dem Sundance-Gewinner „Scrapper“. „How to Have Sex“ ist ihr erster eigener Spielfilm als Regisseurin. Er handelt von der 16-jährigen Tara, die mit ihren besten Freundinnen zum Partyurlaub nach Kreta fliegt, wo zwischen Disco, Pool und jeder Menge Alkohol vor allem Sex das große Thema ist. Auch weil Tara selbst noch nie welchen hatte.

taz: Frau Manning Walker, über Ihren Kurzfilm „Good Thanks, You?“, in dem es um einen sexuellen Übergriff ging, haben Sie vor drei Jahren gesagt, dass die Arbeit daran die teuerste Therapiesitzung Ihres Lebens war. Lässt sich Ähnliches nun auch über „How to Have Sex“ sagen?

Im Interview: Molly Manning Walker

Molly Manning Walker wurde 1993 in London geboren. Sie machte an der National Film and Television School ihren Abschluss als Kamerafrau. Ihr Debütspielfilm „How to Have Sex“ wurde in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ als bester Film ausgezeichnet.

Molly Manning Walker: Nicht mehr so wirklich. Die Aufarbeitung meiner eigenen Erlebnisse liegt hinter mir. Dieses Mal war die Arbeit am Film weniger therapeutisch als von einem Gefühl der Selbstermächtigung bestimmt. Und wurde vor allem zu einer richtig kollektiven Erfahrung. Denn die meisten Frauen haben das, worum es in „How to Have Sex“ geht, in der einen oder anderen Form schon erlebt: diesen Druck, Sex haben zu müssen, obwohl sie dazu eigentlich nicht oder noch nicht bereit sind.

War das eine überraschende Erkenntnis für Sie?

Der Film

„How to Have Sex“. Regie: Molly Manning Walker. Mit Mia McKenna-Bruce, Lara Peake u. a. Vereinigtes Königreich/Griechenland 2023, 98 Min.

Ich hatte mir natürlich keine Illusionen darüber gemacht, dass viele Frauen mit dem Thema Erfahrungen haben. Das Ausmaß war mir allerdings tatsächlich nicht unbedingt klar. Praktisch jede einzelne Frau, die irgendwie an diesem Projekt beteiligt war, hatte den Eindruck, schon vergleichbare Situationen in ihrem Leben hinter sich zu haben.

Dadurch, dass Ihre Geschichte nun im Partyurlaub einer britischen Mädchenclique spielt, die gerade mit der Schule fertig ist, kommt auch ein übermäßiger Alkoholkonsum ins Spiel …

Stimmt, in England lernen wir den Umgang mit Alkohol wirklich gar nicht, weswegen wir da gerade in der Jugend sofort von null auf 1.000 gehen und voll über die Stränge schlagen. Aber das eigentliche Problem, um das es im Film geht, hat nichts mit Alkohol zu tun. Frauen erleben diese Dinge immer wieder, auch ohne dass ein einziger Drink im Spiel ist.

Wie haben Sie mit Ihrer jungen Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce und den anderen recht unerfahrenen Schau­spie­le­r*in­nen an der Geschichte gearbeitet?

Wir hatten da einen sehr flexiblen Ansatz. Als Basis diente uns eine lange Improvisationsphase. Die Figuren und ihre Hintergrundgeschichten haben wir mehr oder weniger gemeinsam entwickelt. Natürlich gab es auch ein Drehbuch mit ausgearbeiteten Szenen und Dialogen. Aber ab dem zweiten Take haben wir meistens gesagt: Vergesst mal, was da geschrieben steht und probiert selbst aus, was euch für eure Figuren einfällt. Ich war immer offen dafür, wenn jemand neue und andere Ideen hatte.

Bei der Premiere des Films in Cannes sagten Sie, dass Sie darauf hoffen, mit dem Film eine Diskussion anzustoßen. Welche genau?

In den letzten Jahren ist viel über Einverständnis gesprochen worden, wenn es um Sex geht, doch irgendwie ist das Thema zu einer Angelegenheit geworden, in der es nur Schwarz und Weiß gibt. Die Frage, ob jemand ja oder nein gesagt hat, greift in meinen Augen zu kurz. Wenn es darum geht, dass zwei Menschen selbstbestimmt eine gute Zeit miteinander haben wollen, muss zumindest für den Moment eine emotionale Bindung und wirkliches Verständnis da sein. Da ist das Einverständnis ein anhaltender Prozess, nicht bloß der eine Moment, in dem jemand „ja“ sagt, und das gilt dann für den Rest der Begegnung. Ich würde mir wünschen, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass man einander fortlaufend im Blick behalten muss – und dass Einverständnis auch eine nonverbale Sache sein kann. Ein Gespür zu haben für die Emotionen meines Gegenübers ist einfach essenziell. Denn warum würde ich Sex haben wollen mit jemandem, der wütend oder aufgebracht aussieht?

Die Frage ist immer auch ein bisschen: In wessen Verantwortung liegt es, jungen Menschen das beizubringen?

Es würde schon mal sehr viel bringen, wenn überhaupt mal eine echte Auseinandersetzung mit dieser Thematik beginnt. Sei es in Gesprächen zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern oder auch ganz schlicht unter Freunden. Am meisten im Argen liegt es allerdings in den Schulen, zumindest in Großbritannien. Sexualkunde wurde in meiner Schulzeit zum Beispiel ziemlich lapidar behandelt. Ein Kondom über eine Banane zu ziehen, war da schon das Höchste der Gefühle. Dabei ist das für junge Menschen heutzutage das geringste Problem.

Wo Sie gerade Freundschaften ansprechen: „How to Have Sex“ zeigt auch, wie kompliziert Gruppendynamiken und sozialer Druck sein können, wenn es um Sex geht. Kennen Sie das aus Ihrer eigenen Jugend?

Vermutlich wissen die meisten von uns, wie wahnsinnig wichtig und prägend, aber eben auch sprunghaft und zerbrechlich Freundschaften in der Pubertät sind. Ich habe mit meinen Freundinnen selbst so einen Partyurlaub gemacht, als ich 16 Jahre alt. Wir waren in Spanien, und vieles, was ich nun im Film zeige, basiert auf den Erlebnissen von damals. Inklusive des Blowjob-Wettbewerbs auf der Bühne. Wie krass und einprägend das war, habe ich mir damals natürlich gar nicht bewusst gemacht, sondern erst Jahre später. Aber mit dieser Reise verbinde ich auch einige der schönsten Erinnerungen meines Lebens. Deswegen war es mir ganz wichtig, nun auch im Film ganz viel Freude und Euphorie zu zeigen. Die emotionalen Höhen und Tiefen liegen ja gerade in dem Alter so dicht beieinander wie nie.

Basiert das Skript ausschließlich auf Ihren eigenen Erfahrungen?

Es ist aus meinen Erinnerungen erwachsen, ohne notwendigerweise autobiografisch zu sein. Außerdem war es mir wichtig, auch die Perspektive heutiger Teenager in die Geschichte einfließen zu lassen, schließlich bin ich selbst inzwischen 30 Jahre alt. Wir haben diverse Workshops mit 16- bis 19-jährigen veranstaltet und mit ihnen über Sex und Einverständnis gesprochen. Ich war ein wenig erstaunt, wie wenig sich verändert hat. Es waren immer noch vor allem die jungen Mädchen, die gesagt haben, es sei vor allem wichtig, nicht zu kurze Röcke zu tragen und zu viel zu trinken. Und unter Jungs werden nach wie vor die, die am meisten Sex haben, als echte Kerle und Legenden gefeiert.

Würden Sie sagen, dass ein Teil dieser Problematik dezidiert mit der Dynamik zwischen Frauen und Männern zu tun hat und damit womöglich vor allem ein heterosexuelles Problem ist?

Manches daran sicherlich, denn um die Frau-Dynamik herum ist unsere Gesellschaft natürlich größtenteils aufgebaut. Und so offen und fluide die jüngeren Generationen heutzutage ja geworden sind, wächst man noch immer erst einmal in diese heteronormativen Strukturen hinein. Natürlich ist es auf keinen Fall so, dass die Frage nach dem Einverständnis beim Sex nicht auch im queeren Kontext von größter Relevanz ist. Aber tatsächlich erlebe ich dort einen anderen Umgang damit und weniger Druck. Für schwule Männer kann ich natürlich nicht sprechen. Aber ich habe guten Sex wirklich erst erlebt, seit ich mit Frauen schlafe.

Ohne zu pauschal werden zu wollen, aber der Ball liegt in dieser Hinsicht ohne Frage bei uns Männern, nicht wahr?

Die Konversation und Auseinandersetzung mit diesem Thema müssen bei den Männern beginnen, wenn sich etwas verändern soll. Und zwar nicht, weil pauschal alle Männer sich falsch verhalten, sondern schlicht, weil unsere Welt rund um die männliche Lust und ein männliches Verständnis von Sex gestrickt ist. Bis heute gibt es viel zu wenig Aufmerksamkeit und Verständnis für weibliche Lust und guten Sex für Frauen. Wenn wir endlich anfangen würden, offen und ehrlich darüber zu sprechen und diese beiden Pole mehr in Einklang miteinander zu bringen, wäre das schon mal eine einschneidende Veränderung.

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7 Kommentare

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  • Diese gruppendynamischen Zwänge sind schrecklich. Wie man zu sein hat, was man wann zu tun hat, wozu man sich verpflichtet fühlen muss, auch woraus Sinn und Vergnügen eigentlich bestehen sollten, sogar was man zu fühlen hat oder fühlen darf und sollte. Natürlich spielt Sex dabei eine zentrale Rolle, es geht aber darüber hinaus schlichtweg um das Funktionieren des Individuums in unserer Gesellschaft, um Anpassung, um Konsumverhalten, um Verfügbarkeit. Allein schon das Wort "Einverständnis"! Wie weit ist das weg von "Wunsch"? Selbst in diesem Interview und in dem Film um den es geht, wird verhandelt was richtig ist, dieses ständige Aushandeln ist aber das Kernproblem in unserer Kultur. Die einzig richtige Antwort auf die aufgeworfenen Fragen ist individuell und die Freiheit die es dazu braucht kann auch nicht nur gesellschaftlich erzeugt werden. Auf der Ebene muss es eher um die Destruktion der Zwänge gehen,

  • Tolles Interview. Dankeschön! :-))

    "Blowjob Wettbewerb auf der Bühne " (?) Wouh! Wußte ich nicht, dass es sowas überhaupt gibt.

    Wie heißt eigentlich Oralverkehr umgekehrt/bei Mädels ? Wie wäre es, wenn Jungs die Mädels (im Wettbewerb) zum "Squirten" bringen? Das wäre echte Gleichberechtigung!

  • Wird über männliche Lust wirklich gesprochen? Also offen diskutiert?

    Die Welt ist um Stereotypen männlicher Lust aufgebaut, aber wo sprechen Männer wirklich über ihre persönliche Lust? Auch das ist massiv tabuisiert, und anders als bei Frauen gibt es unter Männern keine starke Bewegung, die sich von äußeren Zuschreibungen emanzipiert.

    • @Arne Babenhauserheide:

      Männliche Lust ist vielleicht einfacher zu befriedigen als weibliche - dies ist aber erst mal eine These, da Frauen häufig berichten beim ersten (oder auch beim 2. 3. und 4...) Geschlechtsverkehr nicht "zu kommen". Habe ich von Männern selten gehört - ist nach meinem Eindruck eher ein Problem im Alter, wenn nicht mehr alles so funktioniert wie es soll. Schreibt ja auch die Interviewpartnerin indirekt über sich selbst, wenn sie schreibt, dass sie guten Sex erst mit Frauen hatte.

      Zudem haben wir eine Pornoindustrie, die zu 95% (oder mehr) um die männliche Lust aufgebaut ist. Daher mag ich Pornos auch nicht und stehe dem ablehnend gegenüber, da dort ein Bild von Sex aufgebaut wird, wie es Männer mögen und die Frauen in den Pronos lieben das auch alles. Während es aber bei den Männern weitgehend echt ist, dürfte dies bei den wenigsten Frauen der Fall sein...

      Frauen dürfen mir gerne widersprechen, wenn die Pornoindustrie auch die weibliche Lust (groß) berücksichtigt.

      • @Strolch:

        "Männliche Lust ist vielleicht einfacher zu befriedigen als weibliche"



        Vielleicht oberflächlich im Sinne von "rein, abspritzen, raus", obwohl ich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass das zwar rein technisch funktionieren kann, aber nicht unbedingt etwas mit "Lust" zu tun hat...

      • @Strolch:

        Womöglich haben Sie aber nicht von den Fehlversuchen beim 1., 2., 3. Mal gehört, weil es eben tabuisiert ist.

        Mal ehrlich: Welcher Junge/junger Mann würde denn von seinen Schwierigkeiten erzählen?

        Wussten Sie beim ersten Mal, wie alles funktioniert?

        Und hatten Sie dazu eine Partnerin, die Ihnen erklärte, was sie gutfindet?

        Frau Manning Walker spricht von „diesem Druck, Sex haben zu müssen, obwohl sie dazu eigentlich nicht oder noch nicht bereit sind.“

        Hatten Sie beim 1., 2., 3. Mal nicht das Gefühl, unter Druck zu stehen? Dass von Ihnen eine Performance erwartet wird?

        Darüber spricht niemand.

        Es gibt Sexualtherapeutinnen, die behaupten, männliche Lust wäre gar nicht einfacher zu befriedigen. Frauen kümmerten sich nur nicht um ihre.

        Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Frauen in gewöhnlichen Pornos die Lust vortäuschen sollen?

        Weil weibliche Lust nämlich Männer anturnt.

        Das wäre an sich eine Basis, um weiterzukommen.

        Wird im Diskurs nur nicht berücksichtigt, wie wir auch im Artikel lesen konnten.

        Binäre Perspektiven sind dagegen gerade sehr en vogue.

        Hier Opfer, da Schuldiger.

        Eventuell erzählen die meisten Pornos nur Narrative von Sex, an die man sich gegebenenfalls gewöhnt.

        • @rero:

          "Womöglich haben Sie aber nicht von den Fehlversuchen beim 1., 2., 3. Mal gehört, weil es eben tabuisiert ist."

          Ja, das kann natürlich sein. Mich würde aber wundern, wenn das medizinisch/psychologisch nicht bekannt wäre. Ich kenne eher den Fall, dass es zu schnell geht oder der Junge (ein Mann ist er ja noch nicht) bereits kommt, wenn sich die Partnerin auszieht. Ist natürlich auch unangenehm - für beide Seiten.

          "Wussten Sie beim ersten Mal, wie alles funktioniert?

          Und hatten Sie dazu eine Partnerin, die Ihnen erklärte, was sie gutfindet?"

          Jetzt wird es natürlich persönlich. Ich habe mich vorbereitet und habe damals bei einem damals unbekannten Versandhändler (namens Amazon), ein Buch bestellt, in der Buchhandlung hätte ich mich geschämt ;) (Findet man dafür heute noch in meiner Bestellliste...) Ob es was gebracht hat, kann ich schwer sagen, geschadet hat es nicht.

          Das Gefühl unter Druck zu stehen, hatte ich nie beim Geschlechtsverkehr selbst - zumindest nicht für die eigene Lust - die war da, eher ob das Mädchen/die Frau zufrieden ist.

          Und als Jugendlicher es zu schaffen, dass sich ein Mädchen in einen verliebt, um überhaupt Sex haben zu können (das was ja auch im Artikel beschrieben wird) - da war definitiv Druck da, da gefühlt alle schon hatten nur man selber nicht (was objektiv nicht stimmte).

          Zudem scheinen Sie eine genauere/andere Definition von "Lust" im Kopf zu haben als ich. Ich habe sie tatsächlich auf den Orgasmus am Ende "reduziert".