Kurzfilm über Alkoholismus: Weil Schweigen nur schmerzt
„Draußen ist es wärmer“ erzählt die Geschichte einer Familie, die nicht über die Alkoholsucht des Vaters spricht. Ein Besuch bei den Dreharbeiten.
Kiel taz | Zwei Jungen auf ihren Fahrrädern verschwinden immer wieder im Schatten der Alleen. Die Kurven der Landstraße sind eng, nur für ein einziges Auto reicht der Platz. Idyllisch reihen sich die Häuser am Rande des Asphalts. Kinoreife Geschichten vermutet man hinter ihren Türen wohl kaum. Und doch soll heute eines von ihnen Schauplatz eines Coming-of-Age-Kurzfilms werden.
„Draußen ist es wärmer“ erzählt von einer Familie, die unter der unausgesprochenen Alkoholsucht des Vaters leidet. Trotz dessen Todes versuchen die beiden Brüder Elias und Noah einen Sommer zu leben, der würdig ist, erinnert zu werden: Die erste Liebe, Abenteuer und aufregende Partys erhoffen sie sich. Doch immer wieder holt sie die Krankheit ihres Vaters ein.
Erstaunlich oft wird auf der Leinwand getrunken, nur wenige Filme betrachten das kritisch. Die Autoren Manuel Tröndle und Luca Hartleib verstecken sich nicht vor ernsten Themen. „Sie sind ein Nährboden für charakterliche Entwicklung“, findet Hartleib. Die 20-köpfige Filmcrew haben sie jedenfalls von ihrer Idee überzeugt. Die meisten von ihnen sind in ihren Zwanzigern und werdende Mediengestalter*innen. Für die sechs Drehtage des Projekts haben sie sich freigenommen. Geld gibt es für niemanden, was sie antreibt, ist die gemeinsame Vision.
Nach dem ersten Drehtag an der Ostsee geht es nun im schleswig-holsteinischen Tüttendorf weiter. Ein Reetdach krönt das Fachwerkhaus, in dem gedreht wird. Im Hinterhof wimmelt es zwischen Stativen und Lichtern von jungen Menschen, die Anweisungen in ihre Headsets sprechen. Im Haus stapeln sich Bücher neben der offenen Küche. Sonne fällt durch dünne Vorhänge auf Strandbilder an der Wand.
Regisseur selbst betroffen
Heute soll eine Szene gedreht werden, die auf den ersten Blick gewöhnlicher nicht sein könnte: die Familie am Mittagstisch, Mama, Papa und ihre zwei Söhne. Aber als klar wird, dass der Vater schon wieder getrunken hat, kommt es zum Streit.
Gedankenverloren stochern die Schauspieler Elmo Stratz und Riccardo Campione in ihrer Lasagne. Die Bedrücktheit, mit der sie die beiden Brüder verkörpern, hat Regisseur Luca Hartleib oft selbst erlebt. Das Haus gehört seiner Familie, auch sein Vater kämpfte lange mit der Alkoholsucht. Die Eltern sind am Set dabei, kümmern sich um warmen Kaffee und Snacks.
„Natürlich war es belastend, aber ich verurteile ihn nicht und könnte mir keinen besseren Vater wünschen“, sagt Hartleib. Ein Anliegen des Filmes sei es, mit dem negativen Klischee des charakterschwachen Trinkers zu brechen. Eltern soll ein Spiegel vorgehalten werden, schließlich leidet auch die Unbeschwertheit der Kinder, wenn eine Suchterkrankung totgeschwiegen wird.
Was seine Schwester und er erlebt haben, lässt der 21-Jährige in die Regieanweisungen einfließen. Immer wieder führt er Vieraugengespräche mit den Darsteller*innen. „Sie sind die Experten ihres Charakters und sollen an ihre Rolle glauben. Ich befruchte nur ihre Vorstellungskraft, indem ich ihnen eine gewisse Atmosphäre mitgebe“, erklärt er.
„Ihr kriegt’s echt nicht hin, oder? Einmal normal zusammen essen“, schnauzt Noah, der Ältere der Brüder
„Ruhe, bitte, wir drehen!“, ruft die Regieassistenz. Drinnen wie draußen versammeln sich alle vor den Monitoren. Ist das Licht endlich perfekt, ruft Kameramann und Autor Manuel Tröndle: „Kamera, Set!“ Dann schlägt die Klappe.
Als die Brüder das zerkratzte Gesicht ihres wieder angetrunkenen Vaters sehen, beginnen sie mit den Eltern zu diskutieren. „Ihr kriegt’s echt nicht hin, oder? Einmal normal zusammen essen“, schnauzt Noah, der Ältere der Brüder, der Draufgängerische. Zu diesem Zeitpunkt im Film überspielt er seinen Schmerz oft noch mit gefühlskalten Ausbrüchen. Denn auch das will der Film vermitteln: Als Mann sollte man sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzen und die eigenen Schwächen nicht verdrängen.
Das Leid des jüngeren Bruders Elias äußert sich in seiner konfliktscheuen und sensiblen Art. Erwartungsvoll hängt die Tonangel über Darsteller Riccardo Campione. Als die Mutter aus dem Haus rennt, starrt er bloß ins Leere. Alle am Set halten die Luft an, bis Regisseur Hartleib diesen Take beendet: „Danke, aus!“
Fast sechs Stunden dauert es, bis alle Einstellungen im Kasten sind. Die letzte Anspannung fällt abends in der hauseigenen Sauna ab. Ein „zusammenschweißender“ Moment, findet Tröndle. Danach pusten sie die Matratzen auf und kuscheln sich in ihre Schlafsäcke. Der Anblick erinnert ein wenig an eine Klassenfahrt.
Dreh im Morgengrauen
Viel Schlaf bekommt das Team nicht, schon um drei Uhr klingeln die Wecker. In der Szene, die nun gedreht wird, kommt Elias nach einer Party nach Hause und sieht seine Mutter allein auf der Terrasse sitzen. Dafür soll die verschlafene Stimmung der Morgendämmerung eingefangen werden. Mit einem lauten „Und bitte!“ eröffnet Regisseur Hartleib die Szene. „Uns hat keine Energie mehr angetrieben, nur noch Leidenschaft“, erinnert er sich.
Im kommenden Jahr soll „Draußen ist es wärmer“ Premiere feiern und wird auf einigen Kurzfilmfestivals zu sehen sein, darunter das Filmfest Schleswig-Holstein. Nach Drehschluss beginnt Manuel Tröndle am Frühstücksbuffet vom Filmstart zu träumen: „Das Allerschönste für mich ist ein voller Kinosaal mit Menschen, die 20 Minuten lang in einem dunklen Raum sitzen, nur um sich deinen Film anzuschauen.“