Regionale Lebensmittel: Einkaufen bei Hofe
2016 kauften 14,6 Millionen Deutsche ihre Lebensmittel direkt beim Erzeuger. Viele Kunden schätzen die Nähe zum Landwirt.
„Noch ein Papier drum?“, fragt Marion Haarseim an der Kasse, „Erdbeeren leider erst morgen früh wieder.“ Freundlich ist die 61-Jährige und für ein Schwätzchen zu haben. Ihr halbes Leben habe sie hier eingekauft, erzählt sie, jetzt wechsle sie an zwei Nachmittagen die Woche die Seite, mit Leidenschaft. „Einkaufen soll Spaß machen. Hier haben wir Zeit. Und die Leute wissen, dass man auch mal einen Moment warten muss, wenn es voll ist.“
Auch die Kunden suchen das Gespräch, manchmal mit Rezepten und Verzehrtipps: „Ich würde die Mairübchen in Butter kurz andünsten“– „Ich mag sie lieber knackig roh …“ Eine Kundin meint: „Es ist ein bisschen heile Welt hier. Mehr mit Muße.“ Keine Massenware, keine Plastikverpackungen, keine Cent-Preise mit der albernen 9 hinten. Stattdessen kann sich – wer hier einkauft – mit der Region verbunden fühlen.
Marion Haarseim erzählt von alten Leuten, die nur wegen des Hühnereintopfs mit Eierstich im Einmachglas kommen. Eine andere Kundin sagt: „Ich mag die ruhige Art hier im Hofladen. Die Auswahl ist viel größer als auf dem Wochenmarkt. Und frischer geht’s ja nicht.“ Das stimmt, jedenfalls für die Ware, die tatsächlich vom Hof kommt. Jetzt im Frühsommer ist es nur ein Bruchteil. Immerhin ist die Herkunft der Lebensmittel genau angegeben, anders als auf Wochenmärkten.
Feinkost statt Fabrikware
Hof klingt so authentisch, so ursprünglich und gesund. Hof als Gegenteil von Fabrik. In Hofläden gibt es, ob bio oder konventionell: Hofeier, Hofbutter, Hofsahne, Hofmilch. Käse vom Hof hat sogar eine eigene Website: hofkaese.de. Dabei bedeutet das Präfix Hof so viel wie Bäcker in Bäckerbrötchen oder Metzger in Metzgerwurst, also nichts. Nichts über Qualität, Geschmack, Chemieeinsatz, Tierhaltung. Die Hof-Zuschreibungen wollen demonstrieren: Dieses Produkt ist von hier, Hausmacher-Feinkost statt Lebensmittelindustrie. Im Selfkant, dem westlichsten Zipfel des Landes bei Mönchengladbach, heißt die regionale Milch vom Bauern konsequenterweise Zipfelmilch.
Hofläden boomen. Etwa 40.000 bis 50.000 Bauernhöfe setzen ihre Produkte zum Teil ohne Zwischenhändler ab, auf Wochenmärkten und/oder auf dem Hof. Einige tausend dieser Direktvermarkter (NRW: 1.396 laut Landwirtschaftsministeriums) haben einen eigenen Laden. 2016 kauften 14,6 Millionen Deutsche Lebensmittel direkt beim Erzeuger; Tendenz weiter leicht steigend. Längst darf man von einer Hofladenkultur sprechen.
Sehnsucht nach Landwirten
In einer empirischen Analyse des Departments für Agrarökonomie an der Uni Göttingen hieß es schon 2006, es gebe ein „Bedürfnis nach mehr Nähe zum Ursprung der Lebensmittelerzeugung“. Landwirte als Person würden gern „als sympathisch, vertrauenswürdig, aber auch etwas altmodisch aufgefasst“. Schon „die physische Präsenz des Landwirts“ wirke „als Qualitätsversprechen“.
Der Bio-Hof von Johanna Böse-Hartje in Thedinghausen bei Bremen ist so ein Idyllversprechen: Großes Hofensemble, mächtige Eichen davor, darunter überdachte Biertische und -bänke, ein matschiger also naturbelassener Vorplatz. Dahinter die weiten offenen Ställe der Rinder, die für Backgroundsound sorgen und höfischen Duft. Mal läuft ein aufgeregtes Huhn diagonal über den Hof, dann fährt ein Trecker um die Ecke. „Kuhten Tag“ grüßt ein Schild.
Psychologe Thomas Ellrott
Johanna Böse-Hartje, 63, die Eigentümerin des Bioland-Anwesens, führt herum. Die 600 Hühner, untergebracht in schicken Hühner-Mobilen, „sind unsere Antwort auf die Massentierhaltung“. Für 40 Cent „reißen sich die Leute um die Eier“. Im Laden: Kühlschrank, Gemüseauslagen, mittig die Theke für die eigenen Rinderprodukte. Alles bio. Neben dem Hofladen steht ein Edelstahltank, Aufschrift „Milch selber zapfen“, 80 Cent der Liter. Der „RegioMat“ daneben ist ein mechanischer Hofladen mit 24-Stunden-Service für Käse, Eier, Wurst, eigene Rouladen.
Einmal im Monat findet hier zusammen mit anderen Biobauern der Öko-Regio-Markt statt. Viele hundert Kunden kommen jedes Mal. Sonntags öffnet zudem das Hofcafé mit selbst gebackenen Kuchen. „Da hat man Muße, auch miteinander zu reden und nicht nur einzukaufen“, sagt die Hofchefin. Was die Leute an Orten wie ihrem so lieben außer der Bioqualität? „Man kann das schon Sehnsuchtsort nennen. Ein Stück heile Welt. Viele Stammkunden kennen sich wie eine Großfamilie.“ Und wahrscheinlich sei der Einkauf auch „Genugtuung fürs Gewissen“. Es gibt auch Hofläden, die sich selbst als „Sehnsuchtsort“ beschreiben – und dann kann man dort nur online bestellen. Hauptsache: Hofladen. Ein Sehnsuchtsbegriff. Landlust für den Magen.
Dr. med. Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie an der Uni Göttingen, sagt, Ernährung sei auch Distinktionsmerkmal. „Immer häufiger geht es um Selbstinszenierung und Zugehörigkeit. So kann ich mich selbst definieren, mich in einer bestimmten Haltung sehen und zeigen. Ich kann mich zugehörig fühlen, zugleich von anderen absetzen und damit Individualität generieren.“ Die richtige Nahrung stelle „sozialen Kitt da“.
Bei Johanna Böse-Hartje macht die Direktvermarktung immerhin 15 Prozent des Hofumsatzes aus. „Irgendwo nur meine Sachen abzuliefern wäre mir zu wenig. So viel Resonanz und Kontakte, das ist unbezahlbar.“ Bei ihr gibt es auch gern eine kleine Dröhnung Weltanschauung obendrauf: „Aber zur Demo nächsten Monat nach Berlin, da kommt ihr doch mit?!“, solche Sachen sage sie oft, erklärt Böse-Hartje. „Ich mache allen bei jeder Gelegenheit klar, dass sie Mitverantwortung tragen.“ Die Kunden seien sehr unterschiedlich: „Wir beobachten hier auch zunehmend Leute, die genau gucken müssen, wie sie mit ihrem Geld klarkommen. Aber vernünftige Produkte sind es ihnen wert.“ Bei anderen sei „Biohof-Einkauf auch Statussymbol“: Sie höre oft nur, wie sie „mit ihren ganz schön lauten Geschossen“ vorgefahren kommen. SUVs meint sie.
Johanna Böse-Hartje über ihren Hof
Verbände befeuern die segensreiche PR-Wirkung von Hofläden. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen schreibt: „Die Gemeinschaftswerbung Einkaufen auf dem Bauernhof ist darauf angelegt, ein markantes Profil zu vermitteln, mit dem sich Direktvermarkter von allen übrigen Einkaufsstätten eindeutig unterscheiden.“ Empfehlung für Kunden: „Entfliehen Sie damit der Globalisierung.“ Beim Lieferservice, sagt ein Berater des größten Ökolabels Bioland, solle man besser keine Dritten beauftragen. „Vielen ist wichtig, dass der Lieferant selbst Landwirt oder Gärtner ist. Das schätzen die Abonnenten und bringen dem Vertrauen entgegen.“
Im Netz buhlen Plattformen wie landservice.de, mein-bauernhof.de und dein-bauernladen.de um Kundschaft. Sie preisen erntefrische regionale Produkte, dazu kurze Lieferwege. Wobei: Geliefert wird ja gar nicht. Der Rest sind Worthülsen: „Hofläden bieten eine ganz andere Qualität an Fleisch- und Wursterzeugnissen. Gönne Dir den Luxus! Kaufe frisches Obst und Gemüse beim Erzeuger Deiner Wahl.“ In gleich zwei wissenschaftlichen Arbeiten findet sich wortgleich der Satz: „Bauernhofimage kann zu Preiserhöhungen genutzt werden.“
Erlebniswelt Hofladen
Neben der Direktvermarktung bieten Hofläden manchmal eine eigene Erlebniswelt: Eis- oder Hofcafé, Feldtage, Kräuterwanderungen und Strohballenkino, Schnittblumenfelder, Erlebnisbauernhof, Vinothek, einmal sogar eine „Bio-Schweinothek“. Bei Höfen wie dem von Böse-Hartje kommt noch Fortbildung dazu. Die Infonachmittage über Öko-Landbau „für Kinder und Jugendliche von der Kita bis zum Leistungskurs Biologie“ seien „sehr begehrt“, sagt Johanna Böse-Hartje, immer öfter würde ihr Anwesen auch für Geburtstage oder Konfirmationsfeiern gebucht.
Beliebt sind auch Selbsterntegärten wie bei Bonnies in Aachen mit ein paar tausend Quadratmetern gegenüber dem Hofladen, zugeschnitten auf Stadtmenschen ohne eigenen Garten. Die 28-jährige Sportlehrerin Isabelle ist mit ihrem anderthalb Jahre alten Sohn Theo gerade hier. Im Hofladen kauft sie noch etwas Gemüse, „und die Erdbeeren essen wir jetzt beim Unkrautjäten.“ 45 Quadratmeter hat sie saisongepachtet, Kosten 190 Euro, vorgesäht mit Erbsen, Hokkaido, Mangold, Feldsalat, Kartoffeln. Im Winterhalbjahr gebe es wöchentlich die Biokiste vom Ökohof ein paar Kilometer weiter, im Sommer dominiert Selbstversorgung: „Das ist toll mit Kind, so sieht er, wo alles herkommt.“ Sie selbst stamme vom Dorf. „Das passt. Hier ist es ein bisschen wie früher.“ Dann jätet sie. Sohn Theo gießt derweil mit seiner Minigießkanne die Beete – tropfenweise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit