Regierungskrise in Vietnam: Schlappe für den Schurken
Der vietnamesische Innenminister To Lam wollte Präsident werden, ist aber im Parlament gescheitert. Das ist gut, denn To Lam ist kriminell.
M it der Nichtwahl von Innenminister To Lam zum Staatspräsidenten ist Vietnam einem Desaster entkommen. Noch am späten Dienstagabend hatte sich die engere Führungsriege auf ihn als Kandidaten für den zurückgetretenen Staatspräsidenten geeinigt. Mitten in den Neujahrsferien berief der Parlamentspräsident eine Sondersitzung der Abgeordneten ein. Überraschenderweise verweigerten die Parlamentarier im Einparteienstaat Vietnam dem innenpolitischen Hardliner die Wahl und zeigten sich damit weise.
Die völkerrechtswidrige Entführung des abtrünnigen Wirtschaftsfunktionärs Trinh Xuan Thanh aus seinem Berliner Exil 2017 bis in das Hanoier Hochsicherheitsgefängnis ist nur eines der Schurkenstücke von To Lam. Laut einem Urteil des Berliner Kammergerichtes von 2018 hatte er den vietnamesischen Geheimdienst, der ihm untersteht, mit der Entführung beauftragt, und er hat ihn in der slowakischen Hauptstadt Bratislava persönlich in Empfang genommen, denn nur in ministerieller Begleitung konnte der europaweit bereits zur Fahndung ausgeschriebene Verschwundene unbemerkt den Schengenraum verlassen.
Der Hintermann einer Entführung, an der er schließlich selbst direkt beteiligt war als Staatsoberhaupt – welcher Staat will sich das leisten? To Lam gilt auch als Strippenzieher, als einer, der dazu beiträgt, dass der Sicherheitsapparat in Vietnam immer mehr Einfluss gewinnt. Dem gehören längst Immobilienfirmen, Banken und Telekommunikationsunternehmen, mit denen sich Kunden besonders gut und für die Geheimdienstler gewinnbringend ausspähen lassen.
Unter europäischen Diplomaten in Hanoi macht nicht ohne Grund das Wort der „schleichenden Myanmarisierung Vietnams auf friedliche Weise“ die Runde. Das ist zwar übertrieben, denn Vietnam ist keine Militärdiktatur. Doch dass der Sicherheitsapparat immer mehr an Einfluss gewinnt und in der Führungsriege Frauen und Experten aus Wirtschaft und Kultur verdrängt, ist Tatsache. Das Parlament hat es in der Hand, mit der Wahl des Staatspräsidenten diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.
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