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Regierungskrise in GroßbritannienKaum angefangen, schon angezählt

Die britischen Konservativen erwägen den Sturz von Liz Truss. Ihren Finanzminister musste die neue Premierministerin schon auswechseln.

Gerade mal acht Minuten dauerte Liz Truss' Pressekonferenz am Freitag, bevor sie einfach ging Foto: Daniel Leal / dpa Pool AFP

London taz | Die Regierung von Liz Truss steckt fünf Wochen nach ihrem Antritt zur Nachfolge Boris Johnsons in einer derart ernsten Krise, dass innerhalb der regierenden Konservativen unverblümt über die Zukunft dieser offen neoliberalen britischen Premierministerin gepokert wird.

„Wir sind eine mitfühlende Regierung“, versicherte der neue Finanzminister Jeremy Hunt immer wieder in Interviews am Wochenende. Hunt, 55, ein ehemaliger langjähriger Gesundheitsminister, der auch als Sport- und als Außenminister agiert hat, wurde am Freitag der neue Herr über die britischen Staatskassen, nachdem Premierministern Liz Truss ihren engen Vertrauten Kwasi Kwarteng gefeuert hatte.

Seit Kwarteng am 23. September einen „Mini“-Haushalt vorgestellt hatte, war nicht nur das britische Pfund gegen den US-Dollar kurzzeitig auf Rekordtiefe gefallen, auch die Hypothekenzinssätze waren so sehr angestiegen, dass sie für manche unbezahlbar wurden. Kein Wunder, dass Hunt nun von Mitgefühl sprach.

Zum Verhängnis wurden Kwarteng vor allem nicht gedeckte Steuersenkungen für Unternehmen und Spitzenverdiener:innen, die neben anderen Steuersenkungen und einer staatlichen Beihilfe für Energieverbraucher von den Finanzmärkten als unglaubwürdig beurteilt wurden. Bis zu umgerechnet 90 Milliarden Euro groß könnte das dadurch entstehende Finanzloch sein, wurde am Wochenende in den Medien berichtet.

Hunt wandte sich deshalb direkt an die „Leute der Finanzmärkte, für die Tatsachen mehr als Worte gelten“, und sagte: „Wir werden eine riesige Finanzansage machen, in welcher wir unsere Steuer- und Ausgabenpläne über mehrere Jahre hinaus darlegen werden und diese unabhängig verifiziert haben werden.“ Das Fehlen einer unabhängigen Einschätzung sei bei den Ankündigungen seines Vorgängers ein Fehler gewesen.

Schon mehrere Kehrtwenden

Kwartengs ursprüngliche Pläne waren da schon weitgehend Makulatur. Auf dem Jahresparteitag der Konservativen Anfang Oktober hatte er bereits das Vorhaben begraben, den Spitzensteuersatz abzuschaffen.

Vergangenen Freitag kündigte Truss an, dass auch die bisher geplante Rücknahme der Erhöhung der Unternehmenssteuersätze von 19 auf 25 Prozent kommendes Jahr nicht mehr stattfinden soll, die Erhöhung also in Kraft tritt. Hunt kündigte nun an, er werde alle Maßnahmen neu überprüfen. Weitere Kehrtwenden werden erwartet.

Schon wieder ein Wechsel in 10 Downing Street – das wäre wohl das Aus für die Tories

Kwarteng und Truss, die auch persönlich befreundet sind oder es bis jetzt zumindest waren, traten bisher immer als neoliberales Duo auf. Viele fragen sich, wieso Truss nun glaube, dass sie im Amt bleiben kann, wenn Kwarteng geht, da er ja ihre Politik implementiert habe.

Mit ihren Versprechungen von Steuersenkungen hatte sie die Parteibasis im konservativen Spitzenwahlkampf gegen Exfinanzminister Rishi Sunak im Sommer überzeugt. Sunak hatte Truss’ Vorschläge als unverantwortlich und nicht konservativ bezeichnet, aber er galt als derjenige, der Boris Johnson zu Fall gebracht habe, und hatte als Finanzminister die britische Steuerquote auf den höchsten Stand seit 70 Jahren geschraubt, was viele Konservative für nicht konservativ hielten.

Umfragewerte im Keller

Mit Kwartengs erzwungenen Abgang hat Truss an Autorität verloren, denn ihre Wahlkampfprogrammatik ist nun dahin. Jetzt werden die Messer in der Partei neu gewetzt. In Meinungsumfragen wuchs der Rückstand auf die Labour-Opposition auf bis zu 33 Prozentpunkte, da nimmt niemand mehr Rücksicht. In den Gerüchteküchen wird bereits Truss’ Nachfolge herbeigeschworen. Sie hat wenig Rückhalt innerhalb der eigenen Parlamentsfraktion.

Aber schon wieder ein Wechsel in 10 Downing Street, ein dritter Premierminister innerhalb weniger Monate – das wäre wohl der direkte Weg zu Neuwahlen und womöglich das Aus für die Tories.

Vielleicht ist es das, was Konservative brauchen, um sich erst mal wieder darüber klar zu werden, wofür sie eigentlich stehen. Laut Truss ist sowieso die gesamte britische Wirtschaftspolitik seit der Finanzkrise 2008 falsch, das betonte sie am Freitag in ihrer ansonsten schwachen Pressekonferenz – und vergaß dabei scheinbar, dass seit 2010 das Land unter konservativer Obhut steht.

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1 Kommentar

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  • Man sehnt sich jetzt schon nach Boris zurück.