Regeln in der Coronapandemie: Mehr Erklären, mehr Sanktionen
Strengere Coronaregelungen sind angekündigt. Doch schon die bisherigen werden wenig beachtet. Was müsste getan werden, um Wirksamkeit zu erreichen?
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D ie Coronainfektionszahlen steigen scheinbar unaufhaltsam. Neue strenge Regeln sind schon in Kraft. Weitere, strengere Regelungen sind angekündigt. Aber wirken diese Rechtsnormen überhaupt? Zahllose Berichte und Erfahrungen zeigen eher, dass viele Coronavorschriften inzwischen kaum noch beachtet werden. Wie müsste Coronarecht sein, damit es wirksam ist?
Es gibt einen ganz archaischen Weg, der zur Wirksamkeit von Gesetzen führt: Angst. Wer Angst vor den Folgen einer Rechtsverletzung hat, wird sich an das Recht halten. Wer das Recht verletzt, muss deshalb mit negativen Folgen rechnen: Polizei, Bußen, Strafen, Gerichtsverfahren.
Bisher sind die Bußgelder im Coronarecht eine leere Drohung. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen sie nicht ernst. Die uralte Erfahrung: Der Staat muss die Sanktionen durchsetzen, sonst verliert das Recht an Wirkung. Das Coronarecht bietet viele Beispiele dafür. Abstandsregelungen im Restaurant und die Maskenpflicht sind nur die sichtbarsten.
Sanktionen sind notwendig, aber sie reichen nicht aus. Was es wirklich braucht, ist nicht Angst, sondern Akzeptanz. In der freiheitlichen Demokratie muss die Bevölkerung das Recht akzeptieren und aus freiem Willen befolgen. Also: Wie erreicht man, dass Normen akzeptiert werden?
ist Professor an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Als Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler beschäftigt er sich u.a. mit den Wechselwirkungen von (Verfassungs)Recht und Politik.
Die erste Voraussetzung für Akzeptanz ist: Die Rechtsnormen müssen sinnvoll sein. Niemand wird sich auf Dauer an Regeln halten, die er oder sie sinnlos findet. Sinnvolle Gesetze zu machen – das klingt banal und ist doch in der Praxis nicht einfach. Es gibt immer wieder dysfunktionale Gesetze, die sinnlos sind. Letztlich ist es vernünftig, wenn mündige Bürger solche Normen nicht blind befolgen. Aber manche Gesetze sind nicht sinnlos, sondern nur sehr kompliziert.
Hier liegt eine Crux bei zahlreichen Coronaregeln. Sie versuchen, auf unterschiedlichste Gefährdungslagen und Risiken differenziert zu reagieren. Das macht die Regelungen dann deutschlandweit völlig unübersichtlich. Und Unübersichtlichkeit wird in der öffentlichen Wahrnehmung schnell mit Sinnlosigkeit gleichgesetzt. Dagegen gibt es ein wirksames Mittel: erklären, erklären, erklären. Es ist Aufgabe der Politik, in solchen Fällen immer wieder unermüdlich den Sinn zu erklären. Warum erklärt also die Kanzlerin nicht immer wieder den Sinn der Coronaregeln? Das würde die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.
Daneben gibt es aber auch Coronanormen, die tatsächlich sinnlos sind. Ein Beispiel sind die innerdeutschen Quarantäneregeln und die Beherbergungsverbote. Epidemiologisch ergeben sie wenig Sinn. Sie werden deshalb schnell als Schikane empfunden. Das beschädigt die Akzeptanz – und das Vertrauen in die Politik.
Akzeptanz setzt auch voraus, dass Recht als (einigermaßen) gerecht empfunden wird. Gerechtigkeit ist Gleichbehandlung – das ist die tief im Menschen verankerte Formel für Gerechtigkeit. Das war ein ernstes Problem, als der Lockdown im Frühsommer Schritt für Schritt wieder aufgehoben wurde. Manche Tätigkeiten waren bereits wieder erlaubt, während andere, ähnliche noch verboten blieben. Das erschien vielen willkürlich. Die Folge: mangelnde Akzeptanz und eine verbreitete Missachtung der Regeln. Wenn die Coronaregeln in den nächsten Wochen verschärft werden, muss die Politik jeden Anschein von Willkür vermeiden. Sonst ist das Scheitern programmiert.
Echte Akzeptanz gibt es, wenn die Regeln und Gesetze im gemeinsamen Interesse liegen. Dann haben Bürgerinnen und Bürger kein Problem damit, Normen einzuhalten. Es geht dabei ja um das gemeinsame – und damit auch das eigene – Interesse.
Wie ist das mit den Coronaverordnungen? Liegen sie im gemeinsamen Interesse aller? Natürlich ist es im Interesse aller, die Verbreitung des Virus einzugrenzen. Und dafür sind natürlich alle bereit, Einschränkungen im Alltag hinzunehmen. Wirklich?
Uneindeutige Interessenslage
Schaut man genauer hin, wird die Interessenlage diffiziler. Ein brisantes Beispiel: Jüngere Menschen sind weniger stark durch Covid-19 gefährdet. Gleichzeitig treffen sie die Einschränkungen im sozialen (Nacht-)Leben besonders stark. Genau umgekehrt verhält es sich mit älteren kranken Menschen. Sie sind besonders durch die Krankheit bedroht. Unter einem Lockdown des öffentlichen Lebens leiden sie aber eher weniger. Kann hier wirklich von einem gemeinsamen Interesse die Rede sein? Repressive Schutzmaßnahmen liegen eher im Interesse der älteren und verletzlicheren Bürger. Die jüngeren könnten eher Infektionen riskieren. Etwas zugespitzt: Sie brauchen die harten Repressionen weniger, leiden aber stärker unter ihnen. Dieses Beispiel steht derzeit im Fokus, doch es gibt viele derartig widersprüchliche und uneindeutige Interessenlagen.
Hier liegt der entscheidende Grund, warum Coronaregeln in vielen Fällen ignoriert werden. Die Politik dekretiert eine gemeinsame Interessenlage, die in Wirklichkeit nicht existiert. Mehr oder weniger bewusst spüren das viele. Die Akzeptanz für die Regeln sinkt rapide; die Verstöße werden zahlreicher. Verordnungen wirken nicht mehr.
Was ist die Lösung? Die Interessengegensätze müssen offen angesprochen und debattiert werden. Die Gesellschaft muss zusammen mit der Politik das gemeinsame Interesse definieren. Konkretes Beispiel: Das Ergebnis der Debatte kann sein, dass die Jüngeren die Einschränkungen mittragen, aus Solidarität mit ihren älteren und verletzlicheren Mitbürgern. Die Gesellschaft sieht und würdigt dieses besondere Opfer. Solidarität, die den Zusammenhalt stärkt – das kann dann das gemeinsame Interesse sein. Das erhöht die Akzeptanz der notwendigen härteren Coronaregelungen erheblich. Sie sind dann wirksames Recht, nicht bloß bürokratischer Schein.
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