Recycling mit Enzymen: Problemfresser namens PHL7
Forscher:innen aus Leipzig haben ein Enzym entdeckt, das PET-Plastik schnell zersetzt. Hilft es in Zukunft dabei, die Plastikflut zu bewältigen?
Mitte Mai aber machte ausnahmsweise mal eine gute Plastik-Nachricht die Runde: „Forschende der Universität Leipzig haben ein Enzym entdeckt, das PET in bisher unerreichter Geschwindigkeit zerfressen kann. Und da der Kunststoff beim Recyceln auch noch schonend in seine Bestandteile zersetzt wird, entsteht ein Kreislauf“, schrieb zum Beispiel ARD alpha. Kann das plastikzersetzende Enzym mit dem Namen PHL7 damit etwas zur Bewältigung der Plastikflut beitragen?
Der Reihe nach: Enzyme, die Polyethylenterephthalat oder kurz PET zersetzen können, sind schon seit einigen Jahren bekannt. Erstmals beschrieben 2005 Forscher:innen der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig ein Enzym mit dieser Fähigkeit. Doch die Geschwindigkeit, mit der das neue Enzym PHL7 PET zersetzt, ist tatsächlich neu. Bisher war der Spitzenreiter das Enzym LCC, das Wissenschaftler:innen 2012 in Japan entdeckten.
Entdeckung auf dem Kompost
„Wir haben den Goldstandard LCC genommen und unter absolut identischen Bedingungen im Labor mit PHL7 verglichen. PHL7 hatte eine doppelt so hohe Maximalleistung wie LCC“, erklärt Christian Sonnendecker von der Universität Leipzig, der die Forschungsgruppe leitet, im Zoom-Call. Eine Schalenverpackung aus PET-Plastik könne PHL7 so innerhalb von 24 Stunden zersetzen. Und das Beste ist: Aus den Überresten lässt sich neues PET-Plastik herstellen.
Kunststoffe wie PET sind Polymere, also Verkettungen von einzelnen Molekülen, den sogenannten Monomeren, in immer gleichen Abfolgen. PET beispielsweise besteht aus Terephthalsäure und Ethylenglycol. Wie die Leipziger Forscher:innen herausgefunden haben, spaltet PHL7 diese polymere Kette in seine zwei Grundbausteine. „Die können wir danach reinigen und dann daraus neues PET synthetisieren“, erläutert Sonnendecker.
Normalerweise zersetzen Enzyme wie PHL7 und LCC kein Plastik, sondern in der Natur vorkommende Stoffe. Zum Beispiel eine Art äußere Wachsschicht bei Pflanzen, die aus natürlichem Polyester besteht. Weil die Enzyme aber so unspezifisch sind, können sie auch PET spalten. Ohne zusätzliche Energie funktioniert das jedoch nicht so richtig. Auf 70 Grad muss der Kunststoff erwärmt werden, damit die molekulare Struktur von PET flexibel genug für die Spaltung wird. Daher suchten die Leipziger Forscher:innen gezielt auf dem Komposthaufen eines Leipziger Friedhofs nach passenden Enzymen und stießen so auf PHL7. „Der Komposthaufen bringt das natürliche Substrat und die hohen Temperaturen gut zusammen“, erläutert Sonnendecker.
PHL7 zersetzt nicht jedes Plastik
Die Forscher:innen haben mit dem Enzym Großes vor: Sie wollen PHL7 in der Industrie anwenden. Hierzu arbeiten sie mit anderen Forscher:innen und Unternehmen im Rahmen des EU-Projektes ENZYCLE an der Umsetzung. Der nächste Schritt wären Tests in Tanks, die 150 Liter fassen. Allerdings wendet Sonnendecker ein: „Ich weiß, dass dieses enzymatische Recycling nicht der Schlüssel für jegliches PET-Recycling sein kann.“ Denn nur 6 Prozent des Kunststoffs in Deutschland besteht aus PET, viele andere Kunststoffe können nicht zersetzt werden. „Bei Polyethylen, Polypropylen, Polystrol und PVC haben wir enzymatisch keine Chance“, so Sonnendecker. „Alles reduzierte Kohlenwasserstoffe, die chemisch sehr unreaktiv sind.“
Diese vier Kunststoffarten machen zusammen aber satte 63 Prozent des Plastiks in Deutschland aus. Zudem kann PHL7 nicht jegliches PET-Plastik zersetzen, sondern nur sogenanntes amorphes PET, das eine weniger hohe Dichte hat und empfindlicher gegenüber hohen Temperaturen ist als das sogenannte teilkristalline PET. „PHL7 kann keine PET-Flaschen abbauen“, stellt Sonnendecker klar. Deshalb müssten wir Kunststoff reduzieren, vor allem Einwegverpackungen. „Wir vergeuden Erdölressourcen und produzieren sinnlos CO2.“
Tatsächlich befeuert Plastik in einem enormen Ausmaß die Klimakrise. 2015 war es für 4,5 Prozent der globalen jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich, Tendenz steigend. Schätzungen zufolge könnte die Plastikproduktion- und verbrennung bis 2050 zwischen 10 und 13 Prozent unseres gesamten verbleibenden globalen CO2-Budgets aufbrauchen.
Und auch das Plastik selbst wird zunehmend zum Problem: Mehr als 86 Millionen Tonnen schwimmen laut dem „Plastikatlas“ des BUND und der Heinrich-Böll-Stiftung schon in den Ozeanen. Bis eine Plastiktüte im Meer zersetzt ist, dauert es jedoch 20 Jahre, bei einer Plastiktrinkflasche 450 Jahre, bei einer Angelschnur aus Kunststoff ganze 600 Jahre. Kunststoff in den Weltmeeren zerfällt mit der Zeit in winzige Teilchen und wird so zu dem berüchtigten Mikroplastik. Vom Grund des Marianengrabens bis zum Gipfel des Mount Everest ist Mikroplastik mittlerweile beinahe überall. Auch in Fischen und Vögeln und mittlerweile auch schon im Blut von Menschen wurde Mikroplastik nachgewiesen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen es auf den Menschen hat, bleibt derweil noch unklar.
Weltmeere bleiben verschmutzt
Viele hoffen auf das Projekt „Ocean Cleanup“, das mithilfe von schwimmenden Barrieren die Meere vom Plastikmüll befreien soll. Eine Studie zeigte jedoch, dass es über einen Zeitraum von 130 Jahren lediglich 5 Prozent des Plastiks aus den Ozeanen wird fischen können.
Für alle, die sich nun die Rettung durch das Leipziger Wunderenzym PHL7 vorstellen, hält Christian Sonnendecker eine schlechte Nachricht bereit. PHL7 ist nämlich für die Beseitigung des Plastiks aus den Weltmeeren ungeeignet, sagt er: „Das Enzym arbeitet nur in sehr spezifischen Temperaturen effizient. Und wenn wir es einfach ins Meer kippen würden, würde sich das sofort verdünnen.“ Dazu komme, dass auch in den Ozeanen nur ein kleiner Anteil des Plastiks das von PHL7 abbaubare amorphe PET ist.
Viola Wohlgemuth, Ressourcenschutz-Expertin bei Greenpeace, hat ganz grundsätzliche Bedenken beim PET-Recycling mit Enzymen. Denn PET-Verpackungen seien oftmals nur teilweise zersetzbar: „Da sind auch Farbstoffe, Weichmacher und Additive drin, die nicht abbaubar sind“, so Wohlgemuth. Zumal das große Problem aus ihrer Sicht ohnehin die anderen Kunststoffe sind: „Wir investieren in Technologien, die am Ende nur ein bisschen an dem Problem herumkratzen.“
Die einzige Lösung sieht sie in einem generellen Verbot von Plastik, das nach aktuellem technischem Stand nicht recycelfähig ist – begleitet durch eine umfassende Mehrwegpflicht und ein Verbot von Plastikmüllexporten. „Wir sind Europameister im Plastikmüllexport“, so Wohlgemuth. Jährlich exportiert Deutschland mehr als 700.000 Tonnen Plastikmüll. Seit China 2018 einen Importstopp verhängte, landet ein Großteil des deutschen Plastikmülls in Malaysia und der Türkei.
Einig sind sich Sonnendecker und Wohlgemuth darin, dass sich unsere Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft entwickeln müsste. Das Bewusstsein dafür möchte Sonnendecker mit seiner Forschung schaffen. Aus seiner Sicht könnte die Kreislaufwirtschaft bei PET-Plastik modellhaft erprobt werden. „Man hat natürlich die Hoffnung, neue Technologien zu entwickeln“, sagt er. „Aber nur die Hoffnung, etwas Neues zu entwickeln, rechtfertigt es meiner Meinung nach nicht, sich heute zu benehmen, als ob man die Technologien schon hätte.“
In der Plastikkrise ist es wie in der Klimakrise: Es existiert keine Zauberformel, die das Problem im Alleingang lösen wird. Viele Werkzeuge müssen zu Lösungen beitragen. PHL7 könnte eines sein.
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