Rechtsruck in Frankreich: Rechte Fassadenrenovierung
Der Bruch mit der AfD ist Teil einer Verharmlosungsstrategie unter der Rechtsextremen Marine Le Pen. Damit will sie Wähler anziehen.
Die Strategie der Wahlkampagne für die rechtsextremen Favoriten ist ebenso einfach wie durchsichtig: Alles muss so harmlos daherkommen, dass auch gemäßigt rechte Franzosen und Französinnen eigentlich gar keinen Grund mehr erkennen können, nicht diese „Alternative“ zu den übrigen Parteien zu wählen.
Darum posiert Marine Le Pen auf den Netzwerken lieber mit ihren Katzen als mit Neonazis. Auch ihre eventuell belastenden Kontakte zu russische Geldgebern und ihre Bewunderung für Putin spielt sie herunter. Ihre Verharmlosungsstrategie erklärt auch den Bruch mit der AfD, die für die französischen Rechtsextremisten von Marine Le Pen nicht mehr salonfähig genug ist.
Zu der Strategie passt auch das Auftreten von Spitzenkandidat Bardella: Er kommt in seiner Wahlkampagne so geschniegelt daher, dass er seine Popularität mehr seinem Look als seinen Argumenten verdankt. In einer Debatte auf dem politisch befreundeten Fernsehsender CNews blieb er etwa auf die Frage, auf welche Zahlen er seine Gewissheit stütze, dass eine „Mehrheit der Franzosen“ seine Ansichten bezüglich eines Immigrationsstopps teilte, achselzuckend eine Antwort schuldig. Er denkt, er habe die öffentliche Meinung auf seiner Seite. Und es stimmt, dass das im Kern aggressive nationalistische Gedankengut seit Jahren von den Medien banalisiert worden ist.
Als Marine le Pen 2011 die Führung des Front National von ihrem politisch wegen Antisemitismus und Rassismus verurteilten und belasteten Vater Jean-Marie Le Pen übernahm, hat sie diese Fassadenrenovierung der Partei unter dem Stichwort der „Dédiabolisation“ (Entdiabolisierug) eingeleitet.
Die kleine Namensänderung des FN in RN soll diese Distanzierung von der Vergangenheit (die Gründung des FN mit Rechtsradikalen aus der Zeit der Kollaboration mit den Nazis und Revanchisten der Kolonialkriege) ebenfalls symbolisieren. Diese Altlasten sollen jetzt kein Thema mehr sein. Zur Zeit ihres Vaters war das umgekehrt: Der FN galt rechtspopulistischen „Schwesterparteien“ in Europa als zu extrem und folglich kompromittierende Gesellschaft.
40 Prozent wählen extrem rechts
Die offen rassistische und antimuslimische Propaganda kann der RN der kleineren Konkurrenz der Partei Reconquête von Eric Zemmour überlassen, die mit der Enkelin von Jean-Marie le Pen, Marion Maréchal, antritt. Fast gerät wegen der Entdiabolisierung des RN in Vergessenheit, dass gemäß den Wahlumfragen die diversen Listen der extremen Rechten zusammen fast 40 Prozent Stimmenanteil ausmachen.
Wenn es nur nach den Wahlprognosen ginge, wäre das Rennen für die Europawahl bereits gelaufen. Kleine Bewegungen im voraussichtlichen Wahlverhalten gibt es ihnen zufolge nur noch unter den anderen Listen: So könnte der bisher als Dritter gehandelte Raphaël Glucksmann – er tritt mit seinem eigenen Politklub Place public für die Sozialisten an – noch die Liste Renaissence der Macronistin Valérie Hayer überholen und so den Ausgang der Europawahlen in ein politisches Debakel für die Regierung und Staatspräsident Emmanuel Macron verwandeln.
Hayer hat als bisherige EU-Abgeordnete und Renaissance-Fraktionschefin in Straßburg eine respektable Bilanz vorzuzeigen, trotzdem bleibt sie ohne echten Einfluss auf den Wahlkampf. Der vermutliche Stimmenanteil ihrer Liste wird ständig nach unten korrigiert.
Daran änderte auch Macron nichts, der sich für seine Kandidatin engagiert und auf einem Flugblatt von Renaissance an der Seite von Hayer so glücklich lächelnd posiert wie auf einem Hochzeitsfoto. Nur kommt dies eben nicht so gut an wie das Wahlplakat mit Marine Le Pen an der Seite von Bardella, den die mehrfache RN-Präsidentschaftskandidatin schon als ihren zukünftigen Premierminister vorstellt, sollte sie in drei Jahren Staatschefin werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern