Rechtsextremismus und AfD: AfD als Matrjoschka-Puppe
Es wird darum gerungen, wie man das rechte Projekt um die AfD charakterisieren soll – etwa konservativ, populistisch oder rechtsextrem. What’s right?
Dieses Jahr wurden bei Kassel und in Halle Menschen von Rechtsterroristen ermordet – darunter ein Politiker. In Thüringen ziehen es Teile der Partei, für die dieser Politiker aktiv war, in Erwägung, die Regierungsverantwortung mit Björn Höcke zu teilen, der über ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt“ mit „wohltemperierter Grausamkeit“ nachdenkt.
Die letzten Monate haben verdeutlicht, dass von rechten Kräften eine Gefahr sowohl für Leib und Leben als auch für die Demokratie ausgeht. Während die Gesellschaft insgesamt offener wird, drängen Rechte auf eine radikale Umkehr dieser Entwicklung. Der Sozialwissenschaftler Sebastian Friedrich spricht hier von der „Formierung eines rechten Projekts“.
Darum, wie die Akteure dieses Projekts bezeichnet werden sollten, wird heftig gerungen. Mittlerweile darf man Gerichtsurteilen zufolge Björn Höcke als einen Faschisten, den „Flügel“ als „immer extremistischer“ und die ganze AfD als „rechtsextremistisch“ bezeichnen. Doch nur weil eine Bezeichnung erlaubt ist, ist sie nicht unbedingt analytisch sinnvoll. Wie also sollten die Akteure des rechten Projekts bezeichnet werden?
Politisch rechts ist nach dem italienischen Philosophen Norberto Bobbio, wer sich an Tradition und Hierarchie orientiert sowie Ungleichheit zwischen Menschen als natürlich und erhaltenswert erachtet. Dies gilt für die AfD und ihr Umfeld in aller Deutlichkeit. Rechts in diesem allgemeinen Sinne sind jedoch viele politische Akteure – auch Union und FDP wollen Ungleichheiten erhalten, wenn auch anders als die AfD. Daher muss man die Art, auf die die AfD rechts ist, genauer fassen.
Volk gegen Elite
Gern würde die Partei ihre Art des Rechtsseins als „bürgerlich-konservativ“ bezeichnet wissen. Dieser Ausdruck passt jedoch nicht zur Beschwörung einer „Wende 2.0.“, in der die bestehenden Verhältnisse grundlegend transformiert werden sollen. Das Wort „reaktionär“ charakterisiert die rückwärtsgewandten Umwälzungsfantasien besser, ist aber zu vage und eher ein politischer Kampfbegriff als eine brauchbare Kategorie.
Mit dem Begriff „völkischer Nationalismus“ wird eine im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts entstandene, romantische und ethnische Form des Nationalismus bezeichnet, die für Teile des rechten Projekts prägend ist – aber eben nur für Teile. Verständlich ist der Begriff vor allem für eine fachlich informierte Teilöffentlichkeit. So trägt der Begriff nur bedingt dazu bei, dass die von der rechten Formierung ausgehende Gefahr sichtbar wird. Zudem handelt es sich um einen spezifisch deutschen Begriff, der für ein international in ähnlicher Weise verbreitetes Phänomen nur bedingt sinnvoll ist.
ist Politikwissenschaftler und Soziologe und arbeitet derzeit als Koordinator des Promotionskollegs „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“ an der Universität Tübingen. Dort verfolgt er ein Habilitationsprojekt über die politische Ökonomie des Populismus in Europa. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen darüber hinaus politische Theorie, Gesellschaftstheorie, Religionspolitik und Rassismusforschung. Über diese Themen bloggt er auf blog.florisbiskamp.com. 2016 erschien seine Promotionsschrift „Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit. Antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie“ im transcript-Verlag.
„Rechtspopulismus“ ist nach wie vor die gängigste Kategorie zur Einordnung der AfD und verwandter Parteien. In der Wissenschaft herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass der Kern des Populismus in einer Entgegensetzung von „gutem Volk“ und „korrupten Eliten“ besteht. Rechtspopulismus unterscheidet sich dabei vom Linkspopulismus dadurch, dass das „gute Volk“ ethnisch-kulturell exklusiv bestimmt wird. Es steht außer Frage, dass die AfD so charakterisiert werden kann. Ob sie damit aber auch sinnvoll bezeichnet ist, hängt vom Kontext ab.
Für die Verwendung des Populismusbegriffs spricht, dass er es ermöglicht, eine politische Konjunktur zu erklären, nämlich den „populistischen Moment“ (Chantal Mouffe) oder „populistischen Zeitgeist“ (Cas Mudde). Diese Ausdrücke verweisen darauf, dass Bedingungen vorherrschen, aufgrund derer zahlreiche politische Parteien und Bewegungen Erfolge feiern, die teils unterschiedliche politische Ziele verfolgen, sich aber in der Art ihrer Mobilisierung ähneln.
Rechtsradikalismus als Konsens
Jedoch hat der Begriff Schwächen: Das Wort „Populismus“ wird in der öffentlichen Debatte als inhaltlich fast beliebiger Kampfbegriff verwendet, der kaum mehr bedeutet als „irgendwie unseriös“. Zudem ist der Populismusbegriff nur bedingt geeignet, die Aspekte sichtbar zu machen, aufgrund derer Parteien wie die AfD die Demokratie gefährden.
Die Gefährdung geht in erster Linie nicht davon aus, dass sie populistisch sind, sondern davon, dass sie gegen Minderheiten agitieren und auf eine autoritäre Ausrichtung der Gesellschaft hinwirken. Das führt dazu, dass der in der wissenschaftlichen Analyse mitunter sinnvolle Populismusbegriff in der politischen Öffentlichkeit eher zu einer Verharmlosung der so bezeichneten Akteure beiträgt.
Um solche Verharmlosung zu vermeiden, plädiert der Soziologe Matthias Quent dafür, die Aktivitäten der AfD und ihres Umfelds als „Rechtsradikalismus“ zu kategorisieren – womit er im Einklang mit dem Großteil der internationalen Parteienforschung ist. Tatsächlich hebt dieser Begriff den gängigen Definitionen zufolge genau die Aspekte des rechten Projekts hervor, von denen eine besondere Gefahr ausgeht: den Nationalismus, die Herabwürdigung von Minderheiten, das verschwörungsideologische Weltbild und die autoritäre Orientierung.
Diese Merkmale lassen sich an der AfD anhand zahlloser Äußerungen und Wahlkampfmaterialien aufzeigen. Zudem haben die meisten Menschen eine Vorstellung davon, was mit Rechtsradikalismus gemeint ist – und diese Vorstellung kommt der politikwissenschaftlichen Definition recht nahe.
Spuren von Rechtsextremismus
Einen Schritt weiter gehen diejenigen, die die AfD unter dem Label „Rechtsextremismus“ einsortieren, wie es etwa der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn schon länger tut.
Sowohl den meisten wissenschaftlichen Definitionen als auch dem in der Öffentlichkeit verbreiteten Verständnis zufolge sollte von Rechtsextremismus gesprochen werden, wenn sich zusätzlich zu den Merkmalen von Rechtsradikalismus auch eine Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine Verherrlichung des Nationalsozialismus, eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung, eine Nähe zum organisierten Rechtsextremismus oder eine offene Artikulation von Rassismus und Antisemitismus aufzeigen lässt.
Ähnliches gilt für die Begriffe (Neo-)Faschismus und (Neo-)Nazismus. Gegen eine Kategorisierung der ganzen AfD als rechtsextreme, neofaschistische oder neonazistische Partei spricht, dass sich entsprechende Positionen in den offiziellen programmatischen Dokumenten der Gesamtpartei nur in Spuren finden. Dasselbe gilt auch für die regelmäßig geleakten internen Papiere und Korrespondenzen des Vorstands.
Ein Vergleich mit Dokumenten der NPD zeigt bei der AfD ein Bekenntnis zu den demokratischen Institutionen, das deutlich über das zur taktischen Täuschung der wehrhaften Demokratie notwendige Minimum hinausgeht.
Die Macht des Flügels
Jedoch haben sich in der Hülle des Parteiprogramms rechtsextreme Kräfte eingenistet, die in der Partei mittlerweile eine dominante Position erlangen konnten. Der „Flügel“ muss im oben genannten Sinne als rechtsextrem bezeichnet werden – hier finden sich zahlreiche Äußerungen, die verdeutlichen, dass man auf ein ethnisch homogenes Deutschland und den Bruch mit den demokratischen Institutionen zielt.
Seit dem Sommer 2019 scheinen Versuche, den Einfluss dieser Kräfte einzuhegen, eingestellt zu sein, und Alexander Gauland bezeichnet Höcke als „die Mitte der Partei“. So muss sich die AfD die Positionen der Flügel-Politiker insgesamt zurechnen lassen.
Beim Bundesparteitag in Braunschweig zeigte sich deutlich, dass gegen den Flügel in der AfD keine Entscheidungen mehr getroffen werden können, seine deutlichsten Gegner fielen bei der Vorstandswahl durch.
Am Kipppunkt
Die AfD erweist sich als Matrjoschka-Puppe: Im Innern sitzen rechtsextreme Kräfte, die „Selbstverharmlosung“ (Götz Kubitschek) betreiben, indem sie sich fürs Erste hinter rechtsradikalen Kräften verstecken. Diese wiederum verbergen sich hinter einer bürgerlich-konservativen Selbstdarstellung, aus der heraus sie Koalitionsofferten an die Union machen. Damit hat die AfD im Widerspruch zum eigenen Parteiprogramm den Kipppunkt von einer rechtsradikalen Partei mit einer starken rechtsextremen Strömung hin zu einer rechtsextremen Partei erreicht.
Freilich macht es einen Unterschied, ob eine Partei wie „Der III. Weg“ in Deutschland oder die „Goldene Morgenröte“ in Griechenland mit militareskem Pomp und offener Verachtung für Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Straßen zieht oder ob sie sich wie die AfD Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen schreibt, dabei aber entscheidende Gehalte der liberalen Demokratie ablehnt und in ihrem Innern von rechtsextremen Kräfte dominiert wird.
Empfohlener externer Inhalt
Dieser Unterschied sollte berücksichtigt werden, ohne zu verdrängen, dass rechtsextreme Kräfte den Takt in der AfD angeben. Jedoch zeigt gerade dieser Vergleich, dass die AfD gefährlicher ist, als die NPD je war: Während Letztere immer eine marginalisierte Splitterpartei blieb, hat die AfD mittlerweile erhebliches politisches Gewicht, das in den nächsten Jahren nicht geringer werden dürfte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?