Rechtsextremismus-Experte über AfD: „Wähler machen Radikalisierung mit“
Sachsen-Anhalts AfD habe sich professionalisiert sagt David Begrich. Die neue Strategie könne die Partei noch gefährlicher machen.
taz: Herr Begrich, hat die CDU mit ihrem überraschenden Wahlsieg von 37,1 Prozent der Stimmen Sachsen-Anhalt vor der AfD gerettet?
David Begrich: In der Öffentlichkeit ist diese Wahrnehmung entstanden, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff Sachsen-Anhalt vor der AfD retten kann. Damit hat er viele Wählerinnen und Wählern überzeugt. Die entscheidende Frage ist aber, wie das Wahlergebnis der AfD zu bewerten ist.
Nämlich?
Auf der einen Seite hat die Partei 50.000 Wähler verloren, auf der anderen Seite ist das Wählermilieu stabil – obwohl die Partei seit 2016 sehr stark nach rechts gerückt ist.
Was bedeutet das genau?
Die Wählerschaft der AfD ist offenbar gewillt, jeden Radikalisierungsschritt der Partei mitzugehen. Aber ich glaube auch, dass da unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen und diese hohe Zustimmung kein Automatismus ist. Offenbar ist das Thema Coronakrise für die AfD nicht so mobilisierungsfähig wie das Thema Flüchtlinge.
Welche Faktoren sind das?
Zum einen gibt es eine Zustimmungsbereitschaft zur rechtsradikalen Programmatik der AfD. Auf der anderen Seite aber auch eine Kontinuität der Wahlentscheidungen von bestimmten Wählermilieus. Die Kerngruppe der AfD-Wähler ist die Generation Vierzig-plus der Berufstätigen.
Das ist deshalb interessant, weil wir vor über zwanzig Jahren, als diese Gruppe Erstwähler waren, schon einmal eine Diskussion über Zustimmungsbereitschaft zu rechten Parteien am Beispiel der Deutschen Volks Union (DVU) hatten, als diese 1998 bei der Landtagswahl 12,8 Prozent erlangte. Meine These ist, dass es hier so etwas wie eine generationelle Fortsetzung der Zustimmungsbereitschaft zur rechten Politik gibt.
Auf einen generationellen Effekt hatte auch der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, in einem Interview angespielt: Die Ostdeutschen seien teilweise „diktatursozialisiert“ und „auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen“. Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler:innen sei „potenziell rückholbar“, man könne darum nur „auf die nächste Generation“ hoffen.
ist Theologe und Soziologe. Er arbeitet in Magdeburg für den Verein Miteinander, der Teil des Netzwerks für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt ist.
Die Aussage greift zu kurz. Er bezieht sich auf einen alten soziologischen Streit zwischen Zusammenhängen von DDR-Sozialisation und Zustimmungsbereitschaft zu rechten Parteien. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig. Sowohl die Prägung aus der DDR-Zeit als auch die Prägung aus der Transformationszeit der 1990er und 2010er Jahre sind Einflussfaktoren für Zustimmung zur autoritären Orientierung und der Bereitschaft, nationalistischen Einstellungsmustern zuzustimmen.
Aber: Wanderwitz hat nun noch einmal differenziert und von einer Weitergabe von Einstellungsmustern gesprochen. Auch das ist nicht falsch, antwortet aber auf der Handlungsebene noch nicht.
Worum müsste es denn stattdessen gehen?
Es geht es um die Frage, wie man politische Bildung in bestimmten Generationenkohorten in Ostdeutschland erreicht. Ein Problem ist nämlich, dass die Erwerbsbevölkerung, die durch Schule oder Universität nicht mehr zu erreichen ist, kaum Zugänge zur politischen Bildung hat.
Was bräuchte es, um diese Personen besser zu erreichen?
Das ist schwer zu beantworten. Man kann es mal umdrehen: Es gibt ja durchaus auch Erfolge. Wenn die AfD 50.000 Wähler verliert, ist das auch ein positives Zeichen. Es müsste aber zunächst erst mal eine Debatte darüber entstehen, aus welchem Grund es in Sachsen-Anhalt und anderen ostdeutschen Bundesländern in der Bevölkerung die weit verbreitete Wahrnehmung gibt, dass Partizipation an politischen Prozessen entweder nicht möglich ist oder nichts bringt.
Die Bevölkerung fühlt sich also von der Politik abgehängt – das bestätigen auch Meinungsumfragen in Sachsen-Anhalt. Fehlende Teilhabe scheint ein großes Problem zu sein. Warum ist das vor allem in ostdeutschen Bundesländern so?
Weil die Frage der Identifikationsbereitschaft mit der Demokratie immer auch an eine Selbstwirksamkeitserfahrung gebunden ist, die über das Wählen hinausgeht. Die Leute haben ein unglaublich pragmatisches Verhältnis zu Parteien und zur Wahl. Sie wählen, anders als in Westdeutschland, nicht aus Traditionsgründen. Zugleich gibt es hohe Erwartungen an das ganz konkrete Handeln von Parteien und Regierung.
Welche Erwartungen?
Zum Beispiel die ganz pragmatische Frage: Kann eine Regierungspartei dafür sorgen, dass die Apotheke, der Dorfsupermarkt oder der Briefkasten in dem Ort, in dem ich wohne, erhalten bleiben? Wenn diese Dinge verschwinden, dann wird dafür auch die jeweilige Regierungspartei verantwortlich gemacht, auch wenn sie gar keinen direkten Einfluss darauf hat.
Wird die CDU als Regierungspartei künftig darauf reagieren können?
Die Frage ist noch nicht zu beantworten, weil man noch nicht weiß, welche Koalition es geben wird. Aber die Folgen der Coronakrise werden die Handlungsspielräume verengen.
Was machen CDU und AfD anders als Linke, SPD und Grüne, deren Zustimmungswerte sehr gering sind? Warum können sie die Wähler:innen nicht abholen?
Die Zustimmung für die CDU wird von einer Stabilitätserzählung getragen, die gerade in Ostdeutschland großes Gewicht hat. Die AfD profitiert von der politisch-rhetorischen Eskalation des Gegenteils. SPD, Linke und Grüne haben jeweils spezifische Probleme in der strategischen Ansprache und Mobilisierung ihrer Zielgruppen.
Was ist in der kommenden Legislatur von der AfD zu erwarten?
Die Partei hat einen Professionalisierungsprozess durchlaufen. Ich glaube, dass sie daran anknüpfen wird und es in Zukunft nicht mehr nur noch zu Provokation und Radau kommt. Man wird sich darauf einstellen müssen, dass mehr auf der inhaltlichen Ebene passieren wird.
Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie von einem „Kulturkampf von rechts“ sprechen?
Ja. Meine Befürchtung ist, dass die AfD sich strategisch mehr darauf konzentrieren wird, sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die sie zuvor als Gegner markiert haben. Durch Anfragen im Parlament kann sie so unterschiedliche Träger diskreditieren.
Das hat sie vorher auch schon getan und damit Menschen unter „Linksextremismus“-Verdacht gestellt oder ihnen vorgeworfen, Steuermittel zu verschwenden. Das kann von Jugendkulturarbeit über Soziokulturarbeit, Fraueninformationszentren oder Migrantenvereine alle gleichermaßen treffen. Alle, die politisch nicht mit der AfD auf einer Linie sind. Und: Man muss aufpassen, dass der Gewöhnungseffekt im Parlament gegenüber der AfD nicht dazu führt, dass die Politik der AfD normalisiert wird.
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