Rechtsextreme Anschläge in Berlin: Die „Kassandros“-Serie
Viel spricht dafür, dass drei antisemitische und queerfeindliche Brandanschläge auf das Konto eines Täters gehen. Doch die Serie ist noch größer.
Sie alle tragen dieselbe Unterschrift: „Kassandros“, teilweise mit dem Zusatz „Berolinensis“. Nach Recherchen der taz gibt es berlinweit bereits mindestens acht, womöglich sogar mehr Taten, die mutmaßlich zu der Serie gehören.
Ein erster Zettel dieser Art tauchte bereits am 3. Januar am Museum Treptow auf. Darauf hatte zunächst das Antifaschistische Presse- und Bildungszentrum (Apabiz) hingewiesen. Dokumentiert hat das Schreiben das Register Treptow-Köpenick. Gerichtet war dieser an die „Okkupanten“, gemeint sind wohl Nichtdeutsche, denen geraten wird, zu „verschwinden“. Dazu die Warnung vor einem dritten Weltkrieg („WK 3“) in „43 Monaten“.
Ein gutes halbes Jahr später endete das lange Pamphlet, das sich in der Nähe des Bücher-Denkmals fand und in dem von einem „ehrlosen Schandmal“ die Rede ist, mit dem Hinweis auf einen Krieg in 37 Monaten. Heruntergezählt wird ein Countdown, dessen Ende der Verfasser wohl für Ende August 2026 erwartet.
Nachdem es zuerst Unklarheit darüber gegeben hatte, inwiefern die Polizei dieses Bekennerpamphlet, das sich an einer Bank unweit der Bücherboxx befand, übersehen hatte, scheint inzwischen klar: Das Schreiben wurde erst hinterlassen, nachdem die Polizei den Tatort morgens gegen 5 Uhr schon wieder verlassen hatte. So schildert es Konrad Kutt, der Betreiber der Bücherboxx, der den Zettel später gefunden hatte. Gegen einen Trittbrettfahrer, der mit dem Anschlag selbst nichts zu tun hat, spricht hingegen der kurze zeitliche Abstand zwischen Brand und Hinterlassen des Zettels samt der konkreten Bezugnahme auf das Mahnmal.
Drei Brandstiftungen
Nur zwei Tage nach dem Anschlag im Grunewald tauchten am Montagmorgen die nächsten Schreiben dieser Art auf, diesmal am linken Infoladen Lunte in der Neuköllner Weisestraße. Gleich auf mehreren eng beschriebenen Papieren finden sich darin wirre Verschwörungserzählungen oder Bibelzitate, darunter eines aus dem 3. Buch Mose, Kapitel 20,13, in dem es heißt: „Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben.“
In unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zur Lunte, bei der die Scheiben heil blieben, kam es an jedem Morgen zu einem weiteren Anschlag. Nur 300 Meter entfernt gab es den Versuch, die Räumlichkeiten von RuT – Rad und Tat, einer Initiative lesbischer Frauen – in Brand zu setzen. Laut einer Mitteilung der Polizei konnten „neben der zerstörten Schaufensterscheibe auch verbrannte sowie verkohlte Flugblätter und Broschüren im Innenraum“ festgestellt werden.
Inwiefern sich dort ebenfalls Pamphlete fanden, wollte die Initiative auf Nachfrage nicht beantworten. Angeblich habe die Polizei darum gebeten. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten sich jedoch am Dienstag nicht zu dem Ermittlungsstand zu diesen Taten äußern.
Wie brisant die Situation ist, zeigt sich an einem dritten Brandanschlag innerhalb kürzester Zeit, ebenfalls am Samstagmorgen verübt. Wie mittlerweile bekannt wurde, hat ein Täter einen brennenden Gegenstand auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geworfen.
Angebracht wurden nach Angaben der Polizei und des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) auch zwei Zettel mit einem abgewandelten Bibelzitat. Es handelt sich um das 3. Buch Mose, Kapitel 20,13. Laut der Amadeu Antonio Stiftung ist auch hier der Unterzeichner „Kassandros Berolinensis“. Bereits 2021 hatte ein Rentner zehn Anschläge auf das Mahnmal gestanden.
Serie schon im Januar
Erstmalig gefunden hatte sich das Bibelzitat Anfang Januar in Johannisthal. Damals schlug der Täter die Scheiben zweier Bushaltestellen ein, um dahinter befindliche Plakate gegen homo-feindlichen Hatespeech des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) zerstören. Beide Schriftzüge wurden mit dem Namen „Kassandros“ unterschrieben.
Das Register Treptow-Köpenick zählt für die ersten zwei Januar-Wochen insgesamt sechs vergleichbare Taten, mehrere davon an Wahlplakaten demokratischer Parteien. Zu der „Kassandros“-Serie zählt auch ein Schriftzug auf einem Schild einer Kita, das die antirassistische Haltung der Einrichtung beschreibt.
Nicht auszuschließen ist, dass es noch weitere ähnliche Taten gab. So wurde nach taz-Informationen am vergangenen Freitag zwei diffamierende Flugblätter an einer arabischen Schule in der Flughafenstraße entdeckt. Einer Anwohnerin zufolge werden darauf Menschen als „Viehzeug“ bezeichnet. Der Begriff findet sich gleichwohl auf mehreren anderen Zetteln, die der Täter unter seinem Namen verbreitete.
Die Amadeu Antonio Stiftung forderte am Dienstag: „Die Sicherheitsbehörden dürfen die Fälle nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es handelt sich um ideologisch zusammenhängende, politisch motivierte Straftaten.“ Die Anschläge müssten „als Angriffsserie unter Hochdruck aufgeklärt werden“. Dabei sei es egal, wie „obskur“ die Schreiben seien – „am Ende werden aus Worten Taten“.
Berlins Queer-Beauftragter Alfonso Pantisano (SPD) sagte: „Ich bin zutiefst geschockt über das Ausmaß der Gewalt gegen queere Menschen.“ Zugleich vermisse er „einen Aufschrei und die Solidarität in der Zivilgesellschaft“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen