Antisemitismus in Berlin: Brandanschlag auf Gedenk-Bücherbox

Ein Unbekannter fackelt die Gedenk-Bücherbox unweit des Holocaust-Mahnmals im Grunewald ab. Die Polizei findet das Bekennerschreiben nicht.

Die abgebrannte Bücherbox.

„Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Heinrich Heine Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“, stand vor wenigen Tagen noch in weißen Buchstaben auf einer Scheibe der Eingangstür zur „BücherboXX am Gleis 17“ am S-Bahnhof Grunewald. Worte aus der jüdischen, kabbalistischen Mythologie, die treffender hätten kaum sein können für Ort und Inhalt der zum kostenlosen Bücherverleih umfunktionierten Telefonzelle.

Die Hunderten Bücher darin waren thematisch passend zum nahe gelegenen Mahnmal „Gleis 17“, das an die Deportation Zehntausender jüdischer Menschen in Konzentrations- und Arbeitslager durch Nationalsozialisten erinnert. Dazu eine Audiobox mit acht regelmäßig wechselnden Tonspuren: hebräische Lieder, ein Brief von Anne Frank, Ausschnitte aus der Eröffnungsrede der Nürnberger Prozesse.

Seit diesem Wochenende ist die Bücherbox verwüstet. In Tausende mosaikartige Splitter zerteilt liegen die geflügelten Worte der Eingangsscheibe auf dem Boden. Auf und unter ihnen: Asche sowie halb- und komplett verbrannte Bücher. Ruß säumt die umliegenden, vor Kurzem noch blau-weiß schimmernden Bänke.

Am frühen Samstagmorgen gegen fünf Uhr soll ein Mann eine Kiste in die Bücherbox gestellt und sie angezündet haben. Zwei Augenzeugen meldeten ihre Beobachtungen in einer Bäckerei. Der polizeiliche Staatsschutz übernahm die Ermittlungen. Die Feuerwehr konnte nur noch den Brand löschen, nicht jedoch die wertvollen Erinnerungsstücke in der Box retten.

Antisemitisches Bekennerschreiben am Tatort

„Das ist schon sehr dramatisch“, sagt Konrad Kutt, der Betreiber der „BücherboXXen“, der taz. Vor elf Jahren habe er diese aufgestellt. Seither diente sie als politischer Bildungsort für Lesungen und hebräische Konzerte. Seit dem Brandanschlag auf die Box gehe es ihm so schlecht, dass ihm „manchmal die Tränen kommen“, sagt er. „Die Schwärze der verbrannten Bücher vor Augen“ sei traumatisch, sagt er.

Dabei sei Vandalismus gar nicht unüblich. „Es wird auch mal eine Scheibe zertrümmert, aber eher aus Frust von jungen Leuten.“ Im jetzigen Fall sei das aber etwas ganz anderes, so Kutt. Der klare Zerstörungswillen und auch die politische Motivation der Tat seien neu. Aus dem Bekennerschreiben gehe eine klar rechtsextreme, antisemitische und rassistische Gesinnung des Täters hervor, sagt Kutt.

Die Polizei ist sich hinsichtlich des Tatmotivs eigenen Angaben zufolge noch nicht sicher. Ein Ermittlungsversäumnis? Auf taz-Nachfrage bestätigte die Pressestelle am Sonntag, dass der Staatsschutz ein antisemitisches Motiv prüfe. Indiz sei dabei unter anderem die inhaltliche Nähe der Bücherbox zum Mahnmal „Gleis 17“. Das Bekennerschreiben, das der taz vorliegt, und das Kutt zufolge nur wenige Meter neben dem Tatort auf einer Bank geklebt habe, liegt der Polizei laut eigenen Angaben aber nicht vor.

Spendensammlung für Neuanfang

Erst im Juni hatten Unbekannte die Steinmauer und die Gedenktafel am „Gleis 17“ beschädigt. Laut den Berliner Registern stiegen die gemeldeten antisemitischen Vorfälle in Charlottenburg-Wilmersdorf 2022 entgegen dem berlinweiten Trend leicht auf 48. Damit wies der Bezirk die drittmeisten antisemitischen Vorfälle auf.

Unabhängig vom Tatmotiv möchte Kutt sich nicht entmutigen lassen. Am Samstag trafen sich An­woh­ne­r*in­nen und Initiatoren, am Sonntag startete Kutt einen Spendenaufruf für eine neue Bücherbox. Spenden können entrichtet werden an das Konto der Europäischen Akademie Berlin; IBAN: DE90 1009 0000 2112 1610 00; Stichwort: BücherboXX

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