Antisemitismus in Berlin: Mögliche Serienstraftat

Das antisemitische Bekennerschreiben zum Brandanschlag im Grunewald passt in ein Muster. Zuletzt wurde ein solches im vergangenen Januar gemeldet.

Hebräische Buchstaben stehen auf der ausgebrannten Bücherbox in der Nähe des Mahnmals "Gleis 17".

Dem Attentäter wohl ein Dorn im Auge: „Lesen und Verstehen“ stand in Hebräisch auf der Bücherbox Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

BERLIN taz | Das Bekennerschreiben zum Brandanschlag auf die Gedenk-Bücherbox am S-Bahnhof Grunewald, am Samstag zeugt von einem geschlossenen rechtsextremen und antisemitischen Weltbild. Julia Kopp, Projektreferentin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) analysiert auf Anfrage der taz: „Auf aggressive Weise wird die Erinnerung an die Schoa in Wort (und Tat) abgewehrt, die Schoa geleugnet und gleichzeitig eindeutige Vernichtungsfantasien formuliert“, so Kopp. Dieses Weltbild wiederum sei eingewoben in eine umfassende antisemitische Verschwörungserzählung.

Am Samstagmorgen zündete ein Unbekannter die Gedenk-Bücherbox unweit des Holocaust-Mahnmals „Gleis 17“ am S-Bahnhof Grunewald an. Die Feuerwehr konnte die Bücher in der Box, viele mit Bezug zum Nationalsozialismus und der Deportation jüdischer Menschen aus Berlin, jedoch nicht mehr retten. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen, um ein antisemitisches Tatmotiv zu prüfen. Dabei hatten Medien bereits am Samstag über das antisemitische Tatmotiv berichtet und sich dabei auf das von Kopp analysierte Bekennerschreiben gestützt. Das Dokument, das auch der taz vorliegt, ist auch für Laien als antisemitisch zu entziffern.

Offenbar haben die Beweise aufnehmenden Po­li­zis­t*in­nen es jedoch übersehen, obwohl es nur wenige Meter neben der ausgebrannten Box geklebt haben soll. Auf Anfrage der taz erklärte die Pressestelle der Polizei am Sonntag, sie könne das Schreiben in den Akten nicht finden. Laut Konrad Kutt, dem Betreiber der Bücherbox, habe die Polizei das Schreiben zunächst „tatsächlich nicht mitgenommen. Es war ihr sichtlich peinlich, als ich danach fragte. Danach kam eine Streife vorbei und holte das Originaldokument bei mir ab.“ Mit Verweis auf laufende Ermittlungen, ließ die Polizei eine taz-Anfrage zum Vorfall am Montag unbeantwortet.

Vorfall mit ähnlichem Bekennerschreiben im Januar 2023

Sollte das Schreiben von der Polizei nicht sichergestellt worden sein, sei das durchaus ein Fehler, so Kopp. Dass dennoch ein antisemitisches Motiv geprüft wurde, sei jedoch richtig: „Eine mutmaßliche Brandstiftung an einem Gedenkort wie dem Mahnmal ‚Gleis 17‘ sollte immer Anlass dazu geben.“

Wichtig sei aus ihrer Sicht aber auch, dass die Beamt*innen, die die ersten am Tatort sind oder Anzeigen aufnehmen, wissen, worauf bei mutmaßlichen antisemitischen Fällen zu achten ist. Eine Grundlage dafür sei der „Leitfaden zur Verfolgung antisemitischer Straftaten in Berlin“, an dem auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie RIAS Berlin mitgearbeitet haben.

Dem Antifaschistischen Pressearchiv apabiz wurde im Januar dieses Jahres ein Vorfall mit ähnlichem Bekennerschreiben gemeldet. Studierende hatten es am Eingang des Museums am Sterndamm entdeckt. Der Unterzeichner war derselbe und auch hier wurde die Vernichtung „im Namen des Volkes“ in einem nächsten Weltkrieg angedroht.

„Das damalige und das aktuelle Schreiben stammen unzweifelhaft von der gleichen Person oder dem gleichen Personenkreis“, so Ulli Jentsch, Mitarbeiter des apabiz. Eine bisher unerkannte Serie von Straftaten könne daher nicht ausgeschlossen werden.

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