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Rechtsesoterische BildungsinitiativenWenn Schwurbler Schulen gründen

Während der Pandemie entstanden neue Allianzen im rechtsesoterischen Milieu. Sie wollen die Bildung der Kinder nicht dem Staat überlassen.

Seit der Pandemie versucht das rechtsesoterische Milieu die alternative Schulszene zu infiltrieren Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

Erfurt taz | „Lernen soll Spaß machen!“ Unter diesem Motto versammeln sich an einem sonnigen Novembertag etwa 100 Menschen in einem Veranstaltungszentrum nahe der Erfurter Altstadt für den Kongress „Bewusst in die Zukunft“. Die Stimmung ist gelöst. Familien mit kleinen Kindern haben sich hier eingefunden, Rentner, Lehrer. Auf dem Programm stehen Vorträge zu alternativen Lernmethoden und Bewegung im Schulalltag. Auch das rechtliche Know-how für die Gründung freier Schulen kommt nicht zu kurz.

Auf den ersten Blick wirkt der Kongress harmlos. Doch der Schein trügt. Ein Blick auf die Redner der Veranstaltung zeigt, dass sich hier Teile einer einschlägigen Szeneprominenz versammeln, die etwa der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung (siehe Kasten) nahestehen oder sich im Milieu der Verschwörungsanhänger einen Namen gemacht haben. Ihr Credo: Die Bildung der Kinder müsse man endlich selbst in die Hand nehmen, das habe man dem Staat schon viel zu lange überlassen.

Die Anastasia-Bewegung

Anastasia-Anhänger orientieren sich an der gleichnamigen Protagonistin einer Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre. Ein „ursprüngliches“ und „göttliches“ Leben wird darin der Demokratie gegenübergestellt. Über die Romane hinweg spinnt Megre die antisemitische Erzählung einer „jüdischen Weltverschwörung“. Seit Juni 2023 wird die Bewegung vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft. Es gibt Überschneidungen mit dem Milieu der Reichsbürger, das Radikalisierungspotenzial gilt als hoch.

Die Schetinin-Schule gilt in der Anastasia-Bewegung als ideale Bildungsstätte. Ihr Begründer, der Lehrer und Anastasia-Anhänger Michail Schetinin, errichtete 1994 ein Internat im russischen Tekos am Schwarzen Meer. Die Schetinin-Lehre zielt auf die „Vernetzung der Gehirnhälften“ durch „ganzheitlichen Unterricht“. Das Lernen erfolge in Rekordzeit, wenn der „Kontakt des bioenergetischen Feldes“ zwischen Lehrenden und Lernenden stimme. Für den Stoff von elf Jahren Mathe­unterricht bräuchten Kinder so nur zehn Tage.

Kampfsport und Waffentrainings sind wichtige Bestandteile der Schetinin-Schule. Hinzu kommt eine strenge Trennung der Geschlechter. Kinder tragen der Lehre zufolge die Verantwortung für „das Schicksal des Vaterlandes“. Die Schweizer Infostelle für Sektenfragen

. (taz)

Eine dieser Szenegrößen ist Bianca Höltje, die den ersten Vortrag hält. Höltje ist eine ehemalige Schulleiterin aus dem niedersächsischen Höhne. Während der Coronapandemie wurde sie vom Dienst freigestellt, weil sie sich weigerte, Hygienemaßnahmen an ihrer Schule umzusetzen. Gemeinsam mit der Rechtsanwältin Inge Seher berät sie angehende Schulgründer.

In ihrem Beitrag gibt Höltje sich betroffen: Sie berichtet von einem staatlichen Schulsystem, das kaum an den Bedürfnissen der Kinder orientiert sei; von überforderten Lehrkräften und von innovativen Konzepten, die all das ändern könnten. Und dockt damit an weit verbreitete Kritik am öffentlichen Bildungssektor an: Viele Menschen in Deutschland beklagen Schwachstellen im staatlichen Bildungssystem, bemängeln den Leistungsdruck, starre Lehrpläne und den Personalmangel. Fakt ist auch, dass die Pandemie psychische Spuren bei Kindern hinterlassen hat, wie etwa eine Studie des Hamburger UKE belegt.

„Ein Gespür für Krisenlagen“

Der Politikwissenschaftler Jan Rathje erklärt, das sei ein typisches Argumentationsmuster aus der rechtsesoterischen und verschwörungsgläubigen Szene. Rathje forscht am Center for Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zu Verschwörungsideologien und Desinformation. Häufig würden in der Szene legitime Kritikpunkte am Bildungssystem aufgegriffen. „Schaut man aber näher hin, offenbart sich eine ideologische Motivation. Man möchte die Kinder jeglichem staatlichen Zugriff entziehen“, sagt Rathje.

Auch Sektenexperte Matthias Pöhl­mann warnt: „Man hat in der Szene ein Gespür für gesellschaftliche Krisenlagen.“ Seit der Pandemie beobachte er den verstärkten Versuch, sich des Schulthemas zu bemächtigen und die Freilerner-Szene zu infiltrieren. Dadurch bestehe die Gefahr, dass auch Unwissende geködert werden.

Mit fortschreitender Redezeit schleichen sich dann auch immer mehr Parolen in den Vortrag der einstigen Schulleiterin Höltje. „Unsere Kinder sind diesem System hilflos ausgeliefert“, ruft sie ins Mikrofon, „einem System, das krampfhaft versucht, sich am Leben zu erhalten.“ Es brauche nicht noch mehr „Gutmenschentum“, Kinder sollten nicht zu systemkonformen „Robotern“ erzogen werden.

Ein Blick auf den Hintergrund von Bianca Höltje offenbart eine Nähe zu bekannten Verschwörungsideologen. Gemeinsam gaben die selbst ernannte „Weltverändererin“ und Rechtsanwältin Inge Seher im Januar ein Interview über freie Schulen auf der Webseite apolut.net, offenbar ein Nachfolger von KenFM aus dem Umfeld des Verschwörungsideologen Ken Jebsen.

Kandidatur für „Die Basis“

2021 kandidierte Höltje für die „Querdenken“-nahe Partei „Die Basis“ für den Bundestag. Im vergangenen Jahr referierte sie auf einem Kongress zu schulischen Traumata – organisiert von einer „Querdenken“-Aktivistin, die in der Vergangenheit durch ihr reichsbürgerideologisches Gedankengut auffiel. Derzeit beraten Höltje und Seher laut eigenen Angaben mehrere Schulgründungsinitiativen, die schon in den Startlöchern stehen. „Danke, dass ihr noch Überlebensräume in diesem System schafft!“, ruft ein Zuschauer.

Als Nächstes steht der Stargast des Tages auf der Agenda, wenn auch nur virtuell zugeschaltet: Ricardo Leppe, Gründer des österreichischen Vereins „Wissen schafft Freiheit“. Er gilt als Guru innerhalb der Szene, als Pionier einer neuen Bildung.

Sektenexperte Matthias Pöhlmann stellt im Gespräch mit der taz klar: „Ricardo Leppe wird in vielen Kanälen als Bildungsexperte dargestellt. Dabei verfügt er über keinerlei pädagogische Ausbildung.“ Ein Monitoring der Amadeu Antonio Stiftung Sachsen und des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts resümierte 2021 über Leppes Verein: „‚Wissen schafft Freiheit‘ ist ein Knotenpunkt in der rechtsesoterischen und verschwörungsideologischen Vernetzung und Teil der Anastasia-Bewegung.“

Schallender Applaus und begeisterte Pfiffe ertönen in Erfurt, als der einstige Zauberkünstler Leppe auf dem Bildschirm erscheint. Leppe erreicht Zehntausende auf Youtube und Telegram. Online stellt er „alternative“ Lernmethoden vor und wirbt für die Gründung freier Schulen. Rund um seinen Verein hat sich inzwischen bundesweit ein Netzwerk gebildet, in Telegram-Gruppen tauschen sich Eltern und angehende Schulgründer aus. Der Verein stellt sich als unpolitische Lernplattform dar. Online sind dort Eselsbrücken zum Merken englischer Vokabeln zu finden und Tipps für das Lernen des Einmaleins.

Holocaustleugner und Verfolgungswahn

Doch immer wieder schimmert ­Ricardo Leppes Nähe zum Anastasia-Kult und der daraus hervorgegangenen Schetinin-Lehre durch. Regel­mäßig lädt er Gäste in seinen Youtube-Kanal ein: darunter Anastasianer, Anhänger der rechtsextremen Verschwörungsgruppe QAnon und eine junge Frau, die immer wieder begeistert von der Schetinin-Lehre referiert. In einem rechts­esoterischen Internetsender spricht Leppe ausführlich mit Martin Laker über „freies Lernen“. Martin Laker leugnet den Holocaust, gilt als zentrale Figur innerhalb der Anastasia-Bewegung und möchte das Deutsche Reich wiedererrichten.

In Leppes Vortrag geht es jedoch um etwas anderes: Die Rede ist von kind­licher Wissbegierde und von Bil­dungsbewegungen, die er weltweit aufbauen möchte. Als ein Zuhörer fragt, wie viele Schulen schon mit Hilfe ­seines Vereins in Deutschland ­gegründet ­worden seien, erwidert Leppe: „Eine Zahl kann ich in Deutschland nicht nennen. Hier wird man wie in keinem anderen Land der Welt verfolgt für ­jeden ­Gedanken, der etwas ­anders ist.“

„Boom“ alternativer Schulgründungen seit Corona

Die Diskreditierung des staatlichen Schulsystems durch die rechtsesoterische Szene scheint seit der Coronapandemie anschlussfähiger geworden zu sein. Warum? Jan Rathje erklärt: „Während der Pandemie hat sich die Kommunikation verschiedenster Milieus auf Telegram gebündelt.“ Deren gemeinsamer Nenner sei die Ablehnung dessen, was als „Mainstream-Wissen“ wahrgenommen wird. „So konnten dort Verschwörungsideologen, Impfgegner und Esoteriker bis hin zu Antisemiten und Rechtsextremen ihr ‚alternatives‘ Wissen austauschen.“

Die Folge: ein „Boom“ bei Schulgründungen aus dem „Querdenken“-Milieu, wie die Stuttgarter Zeitung kürzlich berichtete. In Hamburg wurde eine solche Schulgründung 2021 verhindert. In Rosenheim wurde im selben Jahr eine illegale Schule geschlossen, deren Betreiber im Reichsbürgermilieu vernetzt gewesen sein sollen. Der Verein „Gaudium in Vita“ betreibt ein Schullandheim in Niedersachsen, das vermeintlich neue Lernmethoden erforschen möchte – aber durch seine Nähe zu rechtsesoterischen Ideologen auffällt. Deren Kooperationspartner, die „Internationale Schul-, Sport- und -Kulturakademie“, hat sich zum Ziel gesetzt, die Schetinin-Lehre im deutschen Bildungssystem zu etablieren.

Es brauche ein wachsames Auge der Behörden, mahnt Jan Rathje, „weil Gruppierungen wie Anastasia durch ihr grundsätzliches Modell Parallelstrukturen aufbauen wollen“. Damit Kinder geschützt werden, sei es wichtig, bei Schulanträgen die Initiatoren genau zu beleuchten, betont auch Matthias Pöhlmann.

Eine Anfrage der taz, ob auf Bundesebene Präventionsstrategien für Schulgründungen aus rechtsesoterischen Milieus bestehen, ließ das Bundesbildungsministerium unbeantwortet. Eine Sprecherin des Thüringischen Bildungsministeriums betonte indes, man widme dem Thema hohe Aufmerksamkeit. Schulanträge würden mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft.

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