Rechts sein heißt nicht Recht haben: Niemand muss mit Nazis reden
Politischer Disput ist keine Beleidigung: Staatsanwaltschaft Verden setzt sich vergebens für AfD-Rechtsaußen Frank Magnitz ein.
Als Amtsrichter Matthias Wawrzinek das Urteil verkündet, einen Freispruch für den Bremer Mario M., ist ihm wichtig, zumindest eine Deutung seines Spruchs auszuschließen. „Ich habe nicht gesagt, dass man Herrn Magnitz als Nazi bezeichnen darf“, betont er. „Das kann man diesem Urteil nicht entnehmen.“
Ergänzen könnte man: Das Gegenteil, also dass es verboten wäre, den Bremer AfD-Rechtsaußen als Nazi zu bezeichnen, geht aber auch nicht daraus hervor: Die Frage ist am Dienstag im Prozess wegen Beleidigung nur kurz berührt worden, aber dann völlig offen geblieben. Denn „das ist hier kein politischer Prozess gewesen“, so Wawrzinek. Darauf legt er Wert.
Tatsächlich erweist sich diese Frage am Dienstagmorgen im Syker Amtsgericht als nicht entscheidungserheblich, im Gegensatz zu einem Hô-Chí-Minh-T-Shirt. Im etwas großsprecherisch als „Saal 117“ bezeichneten Verhandlungsraum – also es ist der, wenn man nach dem Eingang links geht, der andere ist für Zivilsachen – knubbeln sich die Unterstützer*innen von Mario M., Wachleute und Personenschützer des BKA in den Zuschauerreihen. Vorsorglich sind vier Plätze für Presse reserviert. „So voll ist es sonst nicht“, sagt der Kollege von der Lokalzeitung.
Ziemlich flott ergibt die Beweisaufnahme, dass der 21-jährige Bremer, anders als er bezichtigt wird, niemanden einen Nazi geheißen hat, den er damit hätte beleidigen können. Auch nicht bei jenem Disput in den ihn die Magnitzens im Juni 2019 auf dem Parkplatz von Ikea verwickelt hatten und um den es vor Gericht geht: „Ich halte den inflationären Gebrauch des Wortes ‚Nazi‘ für falsch“, stellt der 21-jährige Angeklagte in einer Erklärung zu Prozessbeginn sogar klar. Und, dass er es als „Frechheit“ empfinde, sich aufgrund der falschen Verdächtigungen hier vor Gericht verantworten zu müssen.
Dürftige Beweislage
Zwar gehöre Magnitz einer Partei an, die er als „ein Sammelbecken Rechtsradikaler“ strikt ablehne. „Ich sehe in ihm aber keinen aktiven Vertreter des Nationalsozialismus“. Deswegen würde er den Doppelmandatsträger Frank Magnitz, der für die AfD über die Bremer Landesliste in den Bundestag und als Spitzenkandidat in die Bürgerschaft eingezogen ist, „nicht als Nazi bezeichnen“, geschweige denn dessen Frau E. Die ist, Fun-fact am Rande, laut Aussage ihres Mannes ebenfalls Parteimitglied, wird aber im Zeugenstand vorgeben, nicht einmal zu wissen, dass der Bremer Landesverband ihren Gemahl als Parteichef im September mit großem Tamtam abgesetzt hat.
So etwas wie politische Brisanz erhält das Verfahren durch die überraschend dürftige Beweislage, aufgrund der die Staatsanwaltschaft Verden sich für Magnitz und seine Frau in die Bresche geworfen und schließlich sogar Anklage erhoben hatte. Dabei war die Aggression beim Frühsommervorfall offenbar vor allem von E. Magnitz ausgegangen. Das bestätigt sie selbst.
Nichttatort: Der Ikea-Möbelmarkt-Parkplatz und der Geschäftseingangsbereich. Dorthin verfolgt sie ihrer eigenen Darstellung zufolge Mario M., von dem sie sich fotografiert wähnt, während sie und ihr politisch tätiger Gemahl Einkäufe ins Auto laden. Sie habe – irrtümlich – geglaubt, derartige Bilder zu schießen, sei verboten. Sie sei deshalb auf ihn zugelaufen, habe ihn angesprochen, zur Herausgabe des Handys versucht zu drängen, ihn zur Löschung der Bilder aufgefordert, ihm gedroht, ihn selbst zu knipsen, geschrien und ihn dann auch körperlich angegangen: „Ich habe ihn am Arm festgehalten.“ Später hat sie ihm einen Stoß verletzt. Ob es überhaupt je Fotos gegeben hat: unklar.
Wahr ist aber, dass selbst in den polizeilichen Protokollen keine konkretere Beleidigung geschildert wird: Nur, dass das Wort Nazi gefallen wäre, wird dort festgehalten. Mehr weiß auch E. Magnitz nicht zu berichten. Erst als Amtsrichter Wawrzinek leidlich suggestiv fragt, ob Mario M. vielleicht gesagt habe: „Du Nazi?“, dämmert ihr eine alternative Erinnerung: „Ich kann nicht…“, hebt sie erst an, vollendet dann aber brüsk: „du Nazi hat er gesagt“. Verteidiger Jan Sürig würde aber liebend gerne wissen, wie der abgebrochene erste Satz weitergegangen wäre: Erinnern? Beschwören? Sagen?
Als Frank Magnitz dann in den Zeugenstand gerufen wird, ergibt sich ein anderes Bild. Er ist während der Verfolgungsjagd noch mit den Ikea-Kartons und dem Auto zugange. Als er hinzukommt, sieht er, dass Mario M. ein Hô-Chí-Minh-T-Shirt trägt. „Ich habe ihn darauf angesprochen“, sagt Magnitz. „Sie haben ihn also in eine politische Kommunikation verwickelt?“, fragt der Vorsitzende nach. „Ich habe es eine ganze Weile versucht“, aber der junge Mann habe sich ihm verweigert, und schließlich gesagt: „Mit Nazis rede ich nicht.“
„Das ist keine strafbare Handlung“, sieht schließlich auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ein, nicht in dem Kontext, und beantragt Freispruch. Warum seine ermittelnde Kollegin den Zusammenhang übersehen hatte, bleibt ungeklärt. Und auch als Verteidiger Jan Sürig Magnitz fragt, ob er denn selber glaube, es wäre beleidigend, ihn als Nazi zu bezeichnen, gibt der Angesprochene keine sachdienliche Antwort.
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