Rechter Internetversand Midgård gehackt: Nazi-CDs ins Ministerium bestellt
Hacker haben Bestelllisten eines rechtsextremen Versandes veröffentlicht. Auch ein Mitarbeiter des niedersächsischen Umweltministeriums ist darauf.
Auch Oliver P., Mitarbeiter im niedersächsischen Umweltministerium, bestellte bei dem Versand aus Alingsås. „Sicherlich“ habe er bei dem Versand „mal bestellt“, bestätigt P. der taz. Rechtsextrem sei er aber nicht.
In den vergangenen Tagen wurde der Versand von Martin Flennfors und Martin Engelin gehackt. Rund 20.000 Bestellungen stellte ein antifaschistisches schwedisches Hacker-Kollektiv online. Das Kundenregister umfasst die Jahre 2017 bis 2022. Die Kunden bestellten aus ganz Europa. Seit 1994 besteht Midgård, an die 2.700 Produkte will der Shop nach eigenen Angaben im Programm haben. So auch das Buch des Holocaust-Leugners Thies Christophersen, „Ich war in Auschwitz“, und Hitlers „Mein Kampf“.
Betreiber sind bei der „Nordischen Widerstandsbewegung“
Die Betreiber von Midgård wollen aber nicht bloß Geld mit Rechtsrock-Fans machen. Sie gehören selbst zur Szene. Engelin sei ein „prominentes Mitglied“ der „Nordischen Widerstandsbewegung“ („Nordic Resistance Movement – NRM“) schreibt das Hacker-Kollektiv, dass ab 2017 schon Kundendaten von weiteren rechtsextremen Versandhändlern veröffentlichte. Das NRM soll in Schweden mehrere Hundert Mitglieder haben, antwortete die Bundesregierung 2022 auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken.
Die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ in Deutschland unterhält langjährige Kontakte zu NRM. Sie beteiligen sich gegenseitig an Aufmärschen. Weitere Angaben zu bundesdeutschen Kontakten möchte die Bundesregierung nicht machen, auch um die „Arbeitsweise“ des Verfassungsschutzes zu schützen. Kurz: V-Leute dürften gedeckt werden.
Den gehackten Daten ist zu entnehmen, dass Oliver P. von 2018 bis 2022 19 Bestellungen aufgegeben hat. Als Adresse gab er auch die seiner Arbeitsstelle im Ministerium an. Per Post kam etwa eine CD von Erich Kemper mit dem Lied „Wir wollen klare Beweise (Auschwitz-Lüge)“ und eine von der Gruppe „Tätervolk“ mit dem Stück „In brauner Uniform“.
Einzelne Kontakte zum Rechtsrockmilieu streitet P. gegenüber der taz nicht ab. Sie lägen aber weit zurück, behauptet der 54-Jährige, der auch selbst Musiker ist. Ende der 1980er-Jahre sei er aus „musikalischen Gründen“ auch mit dem Rechtsrock-Musiker Daniel Giese befreundet gewesen. Er habe damals zwei Metal-Fanklubs geleitet, führt er aus.
Giese spielte zu der Zeit in einer Metalband namens „Saccara“, welche später zur Rechtsrockband wurde. Oliver P. pflegte Briefkontakt mit ihm. Giese – bekannter als „Gigi“ – veröffentlichte mit den „Braunen Stadtmusikanten“ 2010 den Song „Döner-Killer“, der vor der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) dessen Mordserie musikalisch feierte.
Name auf der Grußliste
P. räumt gegenüber der taz ein, dass sich sein Name auf zwei der ersten Saccara-Alben auf der Grußliste befand. Einige der Alben seien als Bootleg in Vinylform, teils als limitierte Picture Disc wiederveröffentlicht worden. Das Layout entspräche „1:1 den Originalpressungen, inklusive der Grußlisten“, schreibt P., und weiter: „Und da war es für mich klar, dass ich diese Scheiben haben muss. Wann hat man seinen Namen schon auf ’ner Picture Disc?“
Kontakt zu Giese und einem weiteren Rechtsrocker will P. seit zwanzig Jahren nicht mehr haben. Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs sieht das kritisch: „Wenn seine gesammelten Bestellungen vor allem auf ‚Freundschaften‘ beruhen, dann ist er offenbar mit Köpfen der ‚Crème de la Crème‘ der internationalen Rechtsrock-Szene befreundet“. P. betont: „Meine Gesinnung ist alles andere als rechts“ und führt mit an: „Meine beste Freundin ist eine argentinische Transaktivistin, mein kompletter Freundeskreis besteht aus Menschen der Hannoverschen Gothic Szene.“
In einem „Naziladen“ bestellt zu haben, sei ihm „natürlich nicht verborgen“ geblieben. Doch Midgård sei „einfach immer der Versand gewesen, der schnell und unkompliziert“ lieferte. Den einzigen Vorwurf, den er glaubt, sich machen zu müssen, sei, dass es ihm „manchmal so gleichgültig“ sei, wo er etwas bestelle: „Das ist so wie beim Essen. Schlechtes Gewissen bei jeder Currywurst, aber das Fleisch ist eben schwach.“
Hindrichs betont indes, diese Bestellungen „lediglich mit ‚Gleichgültigkeit‘ abzutun“, sei „schon dreist“. Diese Gleichgültigkeit löst nun Nachfragen beim niedersächsischen Umweltministerium aus. Eine „schnelle und zugleich umfassende Aufklärung“ habe schon begonnen, sagt ein stellvertretender Pressesprecher des Ministeriums.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“