Rechte Vereinnahmung der Kornblume: Lasst uns blaue Blumen pflanzen
Am Revers von so manchem Rechten steckt die blaue Kornblume. Doch das Blümchen ist zu hübsch für diese politische Instrumentalisierung.
Es gibt da diese Blume, zart in der Gestalt, blau in der Farbe, die Blütenblätter zackig. Sie wächst hierzulande vor allem auf Getreidefeldern, das gibt ihr ihren Namen: die Kornblume.
Nun ist die blaue Kornblume in letzter Zeit oft aufgefallen. Und zwar nicht hübsch neben Klatschmohn und Kamille am Wegesrand, sondern unter anderem am AfD-Rechtsaußen und Berliner Abgeordneten Andreas Wild. Der trug die Blume nicht nur beim Gedenkmarsch anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November 2018, sondern einige Tage später auch bei einer Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch André Poggenburg, der die AfD jüngst verließ, um die Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ zu gründen, zeigte sich gerne mit dem Pflänzchen. So gerne, dass sie nun auch das Parteilogo der „AdP“ ziert.
Was also hat die hübsche blaue Blume getan, dass ausgerechnet Rechtsgesinnte an ihr Gefallen finden? „Die blaue Kornblume ist schon ziemlich lange ein Symbol der Rechten“, sagt Lucius Teidelbaum. Er ist Publizist und Rechercheur zum Thema. „Das geht auf die sogenannten Alldeutschen zurück, die es ab 1900 gab.“
Wie die Großdeutschen wollten auch die Alldeutschen ein großdeutsches Vaterland bilden, bei dem Österreich zum deutschen Nationalstaat gehört. Nur waren die Alldeutschen stark nationalistisch und antisemitisch. „Zentrale Figur dieser Bewegung in Österreich war Georg Heinrich Ritter von Schönerer, den Hannah Arendt Hitlers ‚geistigen Vater‘ nannte. Anhänger dieser Bewegung haben sich als Symbol die blaue Kornblume ausgeguckt“, sagt Teidelbaum.
Symbol der Natürlichkeit
Später dann, zu Zeiten der nationalistischen Diktatur unter Engelbert Dollfuß in Österreich, der den Nationalsozialismus missbilligte, war das Blümchen Erkennungszeichen heimlicher Nationalsozialisten, sogenannter Kellernazis.
In besagtem Nachbarland kann man das blaue Blümchen seit Mitte der neunziger Jahre wieder vermehrt sehen. Zumeist, das mag kaum überraschen, am Revers von Funktionären der rechtspopulistischen FPÖ. 2016 trugen Vertreter der Partei die Kornblume bei einer Nationalratssitzung. Auch da folgte Kritik und die FPÖ tauschte Kornblume gegen Edelweiß. „Dass einzelne AfDler die Blume nun auch tragen, ist ein Zeichen, dass sich die Partei stark nach Österreich orientiert. Also an der FPÖ, die ja schon deutlich länger existiert und auch insgesamt erfolgreicher ist“, sagt Teidelbaum.
Das ist die eine Seite der Bedeutungen, die in der blauen Blüte liegen. Es gibt aber noch weitere. In der Romantik wurde die Kornblume viel beschrieben, etwa von Joseph Freiherr von Eichendorff, Johann Wolfgang von Goethe und E.T.A. Hoffmann. Als ein Symbol der Natürlichkeit, aber auch der Spiritualität.
Außerdem gilt die blaue Kornblume als die preußische Blume, ihr Blau als preußisches Blau. In einem Zeitungsbericht des Wiener Neuigkeit Welt-Blattes heißt es 1878: „Aus Berlin wird berichtet: Die Kornblume als Lieblingsblume des deutschen Kaisers hat schon seit langer Zeit für Preußen und für ganz Deutschland eine Bedeutung erhalten, wie sie sich schwerlich jemals träumen ließ, wenn Blumen überhaupt in der Lage sind, über ihre dereinstigen Schicksale Reflexionen anzustellen; in den letzten Monaten ist sie aber gewissermaßen zu einem Symbol geworden.“
Aneignung von links
Weiter wird hier erzählt, Kaiser Wilhelm habe eine besondere Vorliebe für die Blume, die wiederum „aufs Engste zusammenhängt mit der Liebe für seine einzige Tochter“. Die sammelte die Blume und schmückte mit den Sträußen das Arbeitszimmer des Vaters.
„Die Kornblume ist somit das Sinnbild der Vaterliebe des deutschen Kaisers und unbewusst hat man, indem man sie jetzt als Zeichen der Liebe und Verehrung für den Kaiser trägt, ihre Bedeutung in sinniger Weise erweitert und auf Fürst und Volk übertragen.“
Die Kornblume (Centaurea cyanus) stammt ursprünglich aus dem südöstlichen Mittelmeergebiet. Sie gehört der Gattung der Flockenblumen an und stammt aus der Familie der Korbblütler. Sie mag sonnige Orte. Ihre Ansprüche sind gering, der Boden sollte nur nicht zu nass sein. Zwischen März und Juli kann die Blume direkt ausgesät werden. Mit ein bisschen Erde bedecken und gießen, dann sollten nach etwa zehn Tagen erste Keimlinge sichtbar werden. Sie blüht von Mai bis September. Wer erst im September sät, kann sich im Folgejahr über frühe blaue Blüten freuen.
Tipp 1: Verblühte Blüten einfach abschneiden, die wachsen nach.
Tipp 2: Alle paar Wochen einige Samen nachlegen, so bleibt die Blütenpracht die ganze Saison über erhalten.
Tipp 3: Wer genetisch unverändertes Saatgut kauft (das gibt es zum Beispiel im taz shop zu kaufen), kann die Samen nach der Blüte einsammeln und neu aussäen.
Tipp 4: Die Blüten der Kornblumen sind essbar. Sie sind nicht nur hübsch in Teemischungen, auf Kuchen oder als Salatgarnitur, ihnen werden auch so manche Heilwirkungen nachgesagt.
Ziemlich interpretationsoffen also, dieses Wiesengewächs. Genau aus diesem Grunde werde sie nun wieder genutzt, sagt Teidelbaum. „Die Kornblume nur als Erkennungssymbol geheimer Nazis zu verstehen ist zu einfach“, sagt er. „Das kann sie zwar sein, sie steht aber vor allem in dieser deutschnationalen Tradition.“ Nun ist es wenig überraschend, dass der Berliner Abgeordnete Wild laut DPA mit dem Satz „Dass das ein Nazi-Symbol sein soll, höre ich zum ersten Mal“ auf die Kritik reagierte. „Die Blume steht für Patriotismus und Vaterlandsliebe. Ich trage sie schon einige Zeit“, sagte er weiter.
Die Symbolik um die unschuldige kleine Kornblume ist also noch nicht festgelegt, der Bedeutungskampf noch nicht ausgetragen. Das ermöglicht nicht nur magere Ausreden von rechts – es ermöglicht auch die Aneignung von links. Einen ersten Schritt dazu machte die Linken-Abgeordnete Anne Helm, die Wilds Blümchen in Epoxidharz eingoss und versteigerte. Die 320 Euro aus der Auktion spendete sie einer Initiative zur Aufklärung des Mordes an dem 2012 in Neukölln erschossenen Burak Bektaş. Damit habe sie das „Symbol des Faschismus“ zu einem „Symbol des Antifaschismus“ verkehrt, berichtet der Tagesspiegel Anfang März.
In Berlin steht es also schon wieder besser um das zarte Gewächs. Aber da geht noch mehr. Darum: Lasst uns Kornblumen pflanzen auf Balkonen, Fenstersimsen, auf Stadtdächern und wilden Wiesen. Macht, dass ihr leuchtendes Blau nicht mehr an AfD, FPÖ und AdP denken lässt, sondern an schöne Sommerstunden. Nehmen wir ihr die Schwere der Symbolik, so dass sie wieder zu dem werden kann, was sie ist: eine hübsche blaue Blume am Wegesrand.
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