piwik no script img

Rechte Sprache in ÖsterreichDie Eroberung der Mitte von rechts

Historiker Thomas Köck protokolliert in seiner „Chronik der laufenden Entgleisungen“, wie sich die rechtspopulistische Sprache ausbreitet.

Am Sonntag finden in Österreich Nationalratswahlen statt. Die rechtsextreme FPÖ liegt in Umfragen vorn Foto: Ludwig Wallendorff/REA/laif

Wer wissen möchte, was in Europa möglich ist, sollte Österreich sehr genau im Blick behalten“, schreibt der österreichische Dramatiker Thomas Köck auf den ersten Seiten seiner „Chronik der laufenden Entgleisungen“. Sie handelt von Tabubrüchen österreichischer Rechtspopulisten, die immer wieder als „Einzelfall“ verharmlost das Spektrum zulässiger Aussagen ins gerade eben noch Unerträgliche verschieben. Individuelle wie kollektive Regelverletzungen waren als Akte von Selbstermächtigung einst Sache der Linken, die Rechte hat sie längst gekapert.

Für Köck ist Österreich Modell und Zuspitzung des Rechtspopulismus zugleich. Seine gegenwärtige Spielart wurde hier mehr oder weniger erfunden. Mit Jörg Haider scheint in den frühen 1990er Jahren ein neuer Politikertypus auf, der nicht mehr nur NS-Ideologie aufkocht, sondern sich bewusst mit den technokratischen und ästhetischen Insignien der Moderne schmückt. Versuche, den Charismatiker im Slim-Fit-Anzug lediglich als Ewiggestrigen zu entlarven, perlten – vorzugsweise in westdeutschen Talkshows – an seinem Gordon-Gekko-Lächeln ab.

Datiert über ein ganzes Jahr beschreibt Köck, wie die Rechten die öffentliche Sprache verändern, wie sie gesellschaftliche Widersprüche zulasten von Minderheiten in Scheinkonflikte ummünzen, die sich nicht lösen, aber umso leichter anheizen lassen. „An der Sprache wird sich alles entzünden. Hat sich schon alles entzündet. Die steht ja schon in Brand.“

Thomas Köck: „Chronik der laufenden Entgleisungen“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 368 Seiten, 26 Euro

Sie formen vor, wie in Europa inzwischen nicht nur Rechte über Geflüchtete, Mi­gran­t:in­nen oder Emp­fän­ge­r:in­nen sozialer Transferleistungen sprechen. Die Eroberung des vorpolitischen Raums durch die Rechtspopulisten organisiert Wahrnehmung und Sprachmuster. Sie üben damit Macht aus, bevor sie selbst an der Macht sind. Was einmal „Mitte“ war, eilt rechten Narrativen hinterher.

Am Ende Regierungskrise

An der Regierung hält es sie indessen nicht lange, zumindest nicht in der österreichischen Variante. Die Beteiligung der FPÖ endete regelmäßig in Regierungskrisen, scheiterte an Korruption, Unfähigkeit oder daran, dass es an den Fleischtöpfen nichts mehr zu holen gab. Die Liste der rechtskräftig verurteilen ehemaligen Mandatsträger ist beeindruckend.

Herber Kickl, Wahlsieger der Parlamentswahl von Sonntag, heizt die Bewirtschaftung des Ressentiments noch einmal an. Ursprünglich war er als Spindoktor in der Partei nur zweite Reihe. Wurde Haider regelrecht zum Ich-Ideal seiner Getreuen, verkörpert Kickl, der gänzlich uncharismatische Stu­dien­abbrecher vom Land, den unterdrückten Hass der Zu-kurz-Gekommenen. Köck spricht von ihm nur als „herbertkomplex“, um der Falle einer Zuspitzung auf die Person zu entgehen.

Statt mit einem möglicherweise brillanten Essay den Gegenstand auf den Punkt und von der eigenen Person wegzubringen, verwendet Köck in seinem Buch die eigene Subjektivität als Instrument wie als Analysekriterium.

Er knüpft damit an die Tagebuch-Literatur des 20. Jahrhunderts an, die die Autonomie des Subjekts in der Reflexion des Schreibens zu verwirklichen sucht. Köck betreibt Gesellschaftskritik als minutiöse Sprachanalyse und orientiert sich damit an einer Tradition in der österreichischen Literatur, die bis zu Karl Kraus zurückreicht.

In den Tiefen Österreichs

Seine Beobachtungen sind geeignet, die verbindende Erzählung von Vielfalt und Chancengleichheit zu erschüttern, mit der der liberale Common Sense dem populistischen Ressentiment entgegenzutreten versucht. Erkundungen in den Tiefen Österreichs und seiner eigenen Biografie führen zur unvollständigen Emanzipation der österreichischen Landbevölkerung, aus der er selbst stammt, zu beobachten ist auch das Verschwinden des traditionellen Arbeiter:innenmilieus.

Bis in die körperliche Wahrnehmung hinein spürt Köck Klassenschranken dort auf, wo sie am beharrlichsten geleugnet werden: in den Ruinen der bürgerlichen Kultur, an Universitäten oder auch an seinem Arbeitsplatz Theater, das er als Agentur zur Reproduktion von Mittelschichtsidentität beschreibt.

Es bleibt der Widerspruch von gesellschaftspolitischer Liberalität und neoliberaler Ökonomie, die zur Durchsetzung von Verwertungsinteressen zunehmend autoritäre Verhältnisse befördert. Ungleichheit ist, so Köck, ihr Produkt wie ihre Voraussetzung. Zu viele wissen, dass mit Chancengleichheit ihr Erfolg nicht gemeint ist.

Es bleibt die Wahl zwischen konkurrierenden Konzepten in der Bewirtschaftung von Ungleichheit. Die liberale Variante mag die angenehmere sein, wird aber bei fortdauernder Ungleichheit kaum die erhofften gesellschaftlichen Bindungskräfte entfalten, die ihr autoritäres Gegenbild vergessen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Rechtsextremismus ist nichts, was einfach so von außen kommt und die sogenannte bürgerliche Mitte bedroht. Die ist doch der Ursprung. "Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch."



    In der AfD steckt eine Menge CDU.

  • Ein wichtiges aber auch heikles Thema:



    Wer Sprache als Machtmittel enttarnen möchte, muß sehr sauber argumentieren.



    Macht man/frau dies unsauber, läuft man-frau Gefahr, zu tabuisieren, wo es nichts zu tabuisieren gibt und begibt sich dann selbst in Verdacht, damit unzulässig seine eigene Macht auszuüben - was dann ebenso totalitär ist. Mit Behauptungen alleine ist es da nicht getan. Das muss schon Hand und Fuss haben.

    Leider listet der Artikel keine konkreten Worte auf, die mich sehr interessiert hätten, sondern umschreibt nur.

    • @Werner2:

      Ich glaube, es geht nicht um eine Sprachkritik im Sinne von "wer so spricht, ist ein Nazi". Sondern um die Beobachtung einer Verãnderungder Sprache, die eine Veränderung des Denkens spiegelt und verstärkt.

      Ähnlich wie LTE von Victor Klemperer. Ich werde das Buch lesen, klingt spannend.

      • @sàmi2:

        Verflixt, LTE kannte ich ja gar nicht trotz allen Recherchen! Vielen Dank für den Tip!

  • "Wer wissen möchte, was in Europa möglich ist, sollte Österreich sehr genau im Blick behalten"

    Wenn ich wissen möchte, was in Deutschland inzwischen möglich ist seit Merz und Konsorten ungebremste Ausländerhetze betreiben und sie damit salonfähig machten, dann setze ich mich in die Bahn und lausche den Gesprächen um mich herum. "Asylanten! Die müsste man gleich ander Grenze verhaften!" AfD-Fan? Falsch: der Mensch fand Merz prima weil der "durchgreife". Sein Nachbar meinte "Söder ist noch besser".

    Und die Auswirkungen lese ich in meinem Lokalblättchen wo eine migrantisch aussehende Frau mit ihrer Mutter und Kinderwagen mit Gewalt nicht in den Bus gelassen wurden. "Schon wieder diese Ausländer" rufend wurde sie zurückgestoßen. Voller Bus, niemand hat ihr geholfen, jetzt werden Zeugen gesucht. Bin gespannt.



    Wo ist das passiert? Halle? Dresden? Falsch. In einer reichen Kleinstadt im Rheinmain-Gebiet, Speckgürtel Frankfurts.

    Das ist so alles möglich inzwischen. Es ist nicht 5 vor 12, es ist 19:33.

    • @Jalella:

      Diese Migrantenhasser sind wie ein Geschwür in diesem Land. Aber offensichtlich ist es doch auch so, dass immer mehr nicht extreme und ultrarechte Menschen diese Migrationspolitik ablehnen, auch viele die sich nicht laut zu Wort melden.



      Da stellt sich eine eigentlich grauenhafte Frage: Weitermachen wie bisher und diese Kräfte haben bald ihre 51% erreicht, oder die Migration zumindest so einbremsen, dass wirklich nur Menschen mit Asylanspruch noch kommen kömnnen und nicht die extremen Parteien hier bald den Staat übernehmen.

      • @Rudi Hamm:

        Sie verstehen nicht, dass die rechtspopulistische Dynamik nicht auf Empirie beruht. Selbst wenn es nur 3 Geflüchtete in Deutschland gäbe, würden sich Anlässe zum Hetzen finden - um darauf politische Karrieren aufzubauen. Hass schaffen, um ihn zu bewirtschaften (und im Übrigen nichts zur Lösung von Problemen tun). So funktionieren die Rechtspopulisten.

  • Die Migrationspolitik und ihre Probleme werden so lange schön geredet und ignoriert, bis die rechten Kräfte 51% haben. Davor habe ich Angst, aber so wird es wohl kommen. Ich behaupte mal, dass die zu mindestens 2/3 die Motivation vieler ist, solchen rechten Rattenfängern ihre Stimme zu geben.

    • @Rudi Hamm:

      ... was ist jetzt mit den anderen viel drängenderen Problemen, die seit Jahrzehnten ignoriert werden, dafür interessieren sich scheinbar keine Parteien mehr ab der Mitte bis ganz Rechts und die Wähler, die es ausbaden müssen scheinbar noch weniger.

  • Es handeltsich um DEUTSCH - auch in Österreich. Hier ist die gleiche Entwicklung in vollem Gang, befeuert von allen Parteien - von ALLEN !!