Rechte Hegemonie in den sozialen Medien: Ich will sehen, wofür ihr brennt
Täglich ist auf Social Media nur noch die Rede von Hitlergrüßen, Trump und AfD. Es braucht wieder mehr bejahende und empowernde Inhalte.
S o viel Hitlergruß war lange nicht: Ich hole das Telefon aus der Tasche, weil ich nach einem Quiche-Rezept suche. Doch egal welche App ich öffne, auf welche Website ich gehe: Überall streckt mir Musk den Arm entgegen. Ich hab’s gesehen. Ich habe auch mitbekommen, dass Weidel Hitler einen Kommi genannt hat, und diese Abschiebe-Flugtickets habe ich auch gesehen. Die Inhalte, die mir reingespült werden, egal ob von klassischen Medien oder in sozialen Netzwerken, sind hauptsächlich rechte. Mein Feed besteht aus AfD, dazwischen mehr als genug Trump, eine große Portion Merz und eine Prise FPÖ. Das ist das Gegenteil von Quiche.
Ich bekomme diese Informationen aus den richtigen Gründen: Weil Menschen Informations- und Aufklärungsarbeit leisten, Gefahren aufzeigen, weil sie widersprechen und sich widersetzen, recherchieren und dokumentieren, damit niemand sagen kann, sie hätten von nichts gewusst. Wer gegen den Faschismus kämpft, darf vor ihm nicht die Augen verschließen. Wir rufen uns gegenseitig zu „Schaut hin“ und wir schauen hin. Dabei verlieren wir aber einiges aus dem Blick:
Wir leben noch. Wir sind noch da. Noch haben die uns nicht deportiert. Und trotzdem werden wir unsichtbar. Ich sehe immer weniger bejahende oder empowernde Inhalte von Feminist*innen, Queers, PoC und behinderten Menschen. Ich lese weniger zu Fragen von sozialer Gerechtigkeit, Ökologie und Diversität. Dass viele (mich eingeschlossen) ihre Prioritäten verschoben haben, ist politisch notwendig. Ich habe in dieser Kolumne oft an die Diversity-Bubble appelliert, sich auch außerhalb von Identitätspolitik zu engagieren und bin positiv überrascht davon, wie viele das inzwischen tun.
Doch viele haben sich auch aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Einige sicherlich aus Angst und wegen der Einschüchterung von rechts. Und andere, die nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Die denken, dass ihre Anliegen nun unwichtig sind. Doch ich will wissen, was ihr zu sagen habt und ihr habt immer noch das Recht, für ein besseres Leben zu kämpfen. Es muss immer Raum sein für Pride und Black Girl Magic!
Afrolocken-Routine und Marx-Lesekreis
Es gibt viel zu verlieren. Einiges ist schon verloren. Aber ich möchte das, was noch da ist, nicht übersehen. Gebt mir Einblick in eure Gewerkschaftsarbeit, zeigt mir eure Afrolocken-Routine, erzählt meinetwegen von eurem Marx-Lesekreis. Ich will euch gendern hören. Aber vor allem möchte ich gerade jetzt viele verschiedene Ideen hören, wie wir diese Welt für alle Menschen besser machen können. Im Großen wie im Kleinen. Denn unsere Ansprüche runterschrauben, Sehnsüchte verdrängen und Ideale in Kompromissen und Wahltaktiken untergehen zu lassen, das ist Teil des Rechtsrucks.
Ich sehe, was uns bedroht. Aber ich sehe nicht mehr, was uns ausmacht, und inzwischen bin ich an dem Punkt, dass ich dringend daran erinnert werden muss, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Ich brauche mehr Rot. Grün. Bunt. Mehr linke Themenvielfalt, Diskurs und Subkultur. Ich weiß, wogegen ihr seid. Ich will sehen, wofür ihr brennt. Denn genauso wichtig, wie rechten Positionen zu widersprechen, ist es, linke Positionen zu finden, denen man zustimmen kann.
Ich brauche keine Informationen mehr darüber, wen ich nicht wählen soll. Aber ich nehme jedes Argument, damit ich mit möglichst gutem Gefühl am 23. Februar einer Partei meine Stimme geben kann. Und andere überzeugen, das auch zu tun!
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