Rechte Hand von Ungarns Premier Orbán: Verkommenes Wien
Minister János Lázár klärt seine Landsleute über das schlechte Leben in Österreichs Hauptstadt auf. Schuld daran seien die Migranten, meint er.
Der Kanzleramtchef des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán klärt das ungarische Wahlvolk darüber auf, wie verkommen eine Stadt sei, die Migranten willkommen heiße. Die Zustände seien katastrophal: Schmutz, Armut und Kriminalität aller Orten.
Die weißen Katholiken seien alle weg, und die Muslime prägten jetzt das Stadtbild. Ein wahre Horror sei das. Sehen davon kann man allerdings nichts, nur einen etwas benommen wirkenden ungarischen Politiker bei miesem Märzwetter.
Die ungarischen Medien berichteten bereits am Dienstag abend kopfschüttelnd über diese Bilder. Nach paar Stunden übernahm die amerikanische Presseagentur AP die Nachricht.
Von Facebook gelöscht
Damit wurde aus dem ärmlichen Wahlkampffilmchen schnell ein Politikum mit internationaler Reichweite. Am Mittwoch Vormittag wurde das Video dann von Facebook gelöscht, weil der Inhalt gegen die Richtlinien der Firma verstoßen habe. Lázár schreit Zensur und will, dass das Video wieder abrufbar.
Die Ungarn reagieren mit Befremden. Sie sind es gewohnt, von den Politikern für dumm gehalten zu werden, aber schämen wollen sie sich nicht für deren Benehmen. Und sie haben selber Erfahrung, wie es in Wien zugeht.
Die Stadt, die immer wieder zur lebenswertesten Metropole der Welt gekührt wird, ist nur 220 Kilometer von Budapest entfernt, von der ungarischen Grenze sind es kaum 50 Kilometer. Seit der eiserne Vorhang weg ist, pilgern die Magyaren zu den Geschäften auf der Mariahilferstrasse.
Und die Ungarn stellen eine der größten Migrantengruppe in Österreich, sie arbeiten überall im Land, vor allem in der Gastronomie. Sie verlieren auch am meisten, sollte die neue rechtspopulistische Regierung in Österreich das Kindergeld kürzen, wenn die Nachkommen nicht in der Alpenrepublik leben. Vierzigtausend ungarische Kinder wären betroffen.
Vertraut mit Wien
Die Ungarn kennen Wien also. Und sie lachten schon im letzten Herbst nicht schlecht, als Orbán versprach, sein Land werde bis 2030 Österreich überholt haben. Kein halbes Jahr später glaubt sein Kanzleramtsminister János Lázár davor warnen zu müssen, dass Budapest auf das Niveau von Wien absinkt.
Wirtschaftlich geht es Ungarn zwar den Verhältnissen entsprechend gut. Das Land profitiert vom allgemeinen Aufschwung in der Welt. Die Menschen würden aber mehr davon haben, wenn die Regierenden in Ungarn nicht ihr ganzes politische System auf Korruption aufgebaut hätten.
Die Mehrheit der Ungarn hat genug davon, dass der Aufschwung dem Luxus und Machterhalt der Regierenden dient, was man auch am Beispiel von Minister Lázár sehen kann. Vor zehn Tagen wählten sie also in der Heimatstadt von Lázár einen Oppositionellen zum Bürgermeister. Seitdem ist die Regierungspartei Fidesz in Aufruhr. Sie fürchten den Verlust der Macht bei der Parlamentswahl im April.
Das könnte für sie schwerwiegenden Folgen haben. Einer von Orbáns besten Freunden ist Oberstaatsanwalt. Ohne seine schützende Hand könnten die heute Mächtigen hinter Gitter wandern. Und Orbán denkt, nur Panikmache hilft ihm, um wiedergewählt zu werden.
Falsche Versprechungen
Vor einer Woche hieß es, die ungarische Regierung höre mit der Propaganda gegen den US-Milliardär George Soros auf. Doch was läuft in Budapest auf allen Kanälen? Die Vereinigten Nationen wollten Ungarn Migranten aufzwingen. Die Opposition verfolge den Plan von Soros und wolle Muslime in leer stehenden Kasernen unterbringen. Sogar Wohnungen würden zwangsenteignet.
Die EU plane eine neue Richtlinie, wonach schon im kommenden Sommer zehntausend Fremde nach Ungarn gebracht würden. Und wenn die Migranten hier seien, dann gäbe es kein Gulasch mehr, dann müssten alle Insekten essen. Letzteres behauptete Landwirtschaftsminister Sándor Fazekas.
Jetzt sollen die Ungarn also Fidesz wählen, damit sie nicht in Verhältnisse leben müssen, wie die Wiener. Dabei würde es schon reichen, wenn Minister Lázár nicht Wiens zehnten Bezirk besuchte, sondern den zehnten von Budapest. Der heißt „Kőbánya“ (Steinbruch).
Die soziale Kälte der Regierung ist in dem traditionellen Arbeiterviertel gut zu sehen. Die Kaufkraft ist gering, die Plattenbauten sind zum großen Teil seit Jahrzehnten nicht mehr saniert. Und wie ein schlechter Scherz an die Adresse von Lásár: auch hier ist der Fremdenanteil größer als sonst irgend wo in der Stadt.
Hier lebt eine große chinesische Kolonie in entspannter und friedvoller Atmosphäre mit den Einheimischen. In Kőbánya sieht man: Migranten sind nicht Teil des Problems, sie sind eher eine Hilfe im Kampf gegen Armut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!