Rechte Anschlagsserie Berlin-Neukölln: Stochern im rechten Sumpf

Innensenator Geisel will die Anschlagsserie von einer Kommission untersuchen lassen. Die Grünen fordern, die Polizei genau in den Blick zu nehmen.

Ferat Kocak hält bei einer Soli-Demo ein Schild auf dem "Berlin gegen Nazis" steht

Fordert beharrlich einen Untersuchungsausschuss: Ferat Kocak Foto: Christian Mang/imago

BERLIN taz | Grüne und Linke reagieren positiv auf den Vorstoß von Innensenator Andreas Geisel (SPD), eine externe Expertenkommission zur Aufklärung der rechten Anschlagsserie in Berlin-Neukölln einzusetzen. Allerdings stellen beide Koalitionspartner auch Forderungen, etwa was den konkreten Auftrag der Kommission betrifft.

Die Grünen wollen eine systematische Untersuchung der Vernetzung von unter Rechtsextremismusverdachten stehenden Polizisten. Die Linken fordern einen umfassenden Untersuchungsauftrag plus einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislatur.

Geisel hatte im taz-Interview Fehler bei den polizeilichen Ermittlungen zum Neukölln-Komplex eingestanden. Er werde deshalb „eine Kommission mit zwei oder drei Mitgliedern berufen. Sie haben große bundesweite Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus“, sagte Geisel der taz. Die Namen würden schon feststehen, nennen dürfe er sie aber noch nicht. Mit den Sonderermittler:innenn erfüllt der Senator eine vielfach geäußerte Forderung von Politiker:innen und Opfern.

Insbesondere Betroffene hatten am Freitag erneut noch in dieser Wahlperiode einen Untersuchungsausschuss gefordert, um das behördliche Versagen bei den Ermittlungen aufzuklären. Die Behörden rechnen der Anschlagsserie mittlerweile über 70 Anschläge auf gegen rechts Engagierte zu. Die Terrorserie läuft seit Ende 2016 ohne nennenswerte Ermittlungserfolge, obwohl die hauptverdächtigen Neuköllner Neonazis, auch organisiert in der AfD Neukölln, seit Langem bekannt sind.

Gleichzeitig kommen immer mehr Informationen ans Licht über fragwürdige Ermittlungsumstände und sogar mit den Verdächtigen vernetzte oder unter Rassismusverdacht stehende Polizeibeamte: Ein Polizist war mit einem Hauptverdächtigen im Neukölln-Komplex in einer Chat-Gruppe. Ein anderer Polizist, der bis 2016 in Neukölln gegen Rechtsextremismus ermittelte, ist derzeit vor Gericht angeklagt, weil er einen Afghanen verprügelt und rassistisch beleidigt haben soll. Vergangene Woche wurden wegen des Verdachts auf Befangenheit sogar zwei zuständige Staatsanwälte ausgetauscht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat das Verfahren an sich gezogen.

Offene Fragen bezüglich der Polizei

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, fordert nun, dass die von Geisel angekündigte Kommission systematisch die Vernetzung von mutmaßlich rechtsextremen Po­lizis­t:in­nen aufklären müsse. Er sagte der taz: „Wir müssen mögliche Kennverhältnisse von unter Rassismusverdacht stehenden Polizisten untersuchen und deren Verbindungen in weitere staatliche Behörden oder auch rechte Vereine wie Uniter untersuchen.“ Dafür sei eine Kommission sogar besser geeignet als ein Untersuchungsausschuss, weil Sonder­er­mitt­ler:in­nen schnell und unkompliziert handeln könnten.

Niklas Schrader, Linke

„Es kann nicht sein, dass die Polizei nicht kooperiert“

Zu klärende Fälle und Fragestellungen gibt es laut Lux genug: „Der Polizist, der einen Afghanen verprügelt hat – mit wem hat der noch zusammengearbeitet? Gibt es Überschneidungen mit den in der Polizei bekannten Reichsbürgern? Stehen auch die Polizisten, die offenbar unlautere Datenabfragen tätigten, unter Rechts­ex­tre­mis­musverdacht? Kennen die sich untereinander? Haben sie womöglich Kontakte mit rechtsextremen Verdachtsfällen in anderen Behörden und Bundesländern?“

Auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, nannte die von Geisel geplante Kommission einen „prinzipiell richtigen Schritt“. Sie müsse aber „komplett unabhängig sein und einen weitreichenden Untersuchungsauftrag haben“. Und sie können keinen richtigen Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislatur ersetzen, so Schrader. Bis zur Wahl 2021 müsse es jetzt darum gehen, „alles Dringliche zu untersuchen, sodass ein Untersuchungsausschuss daran anknüpfen kann“. Schließlich kämen beinahe täglich Dinge hinzu, die einen Ausschuss dringlich machen.

Zuletzt am Donnerstag. Da hatte Berlins Datenschutzbe­auftragte Maja Smoltczyk die Polizei scharf kritisiert. Diese mauerte bei womöglich unbefugten Datenabfragen auf Polizeicomputern von Betroffenen der Anschlagsserie. Die Polizei rechtfertigte sich mit einer unterschiedlichen Rechtsauffassung. „Es kann nicht sein, dass die Polizei nicht kooperiert“, kritisierte am Freitag auch Schrader.

Die Staatsanwaltschaft Den Überblick in den Entwicklungen um die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie zu behalten, ist gar nicht so einfach: Zuletzt ist in Berlins Exekutive einiges ins Rollen gekommen: Der mutmaßlich AfD-nahe Oberstaatsanwalt F., zuständig für alle politischen Delikte im Land Berlin, wurde wegen möglicher Befangenheit versetzt. Der in der rechten Anschlagsserie ermittelnde Staatsanwalt bat im Zuge dessen um seine Versetzung. Der geschasste Oberstaatsanwalt soll schon mal vor angehenden Jurist:innen rechte Verschwörungstheorien ausgebreitet haben und sein Amt offenbar auch politisch gedeutet haben – in linken Kreisen ist er schon länger als Scharfmacher bekannt, wie auch ein Prozess kürzlich verdeutlichte.

Viele Fragezeichen Auch schon länger bekannte Missständen in der Neuköllner Anschlagsserie können fast ein Buch füllen. Das Gröbste: Anfang Juni stellte sich heraus, dass ein Neuköllner Polizist Interna in einer AfD-Chatgruppe geteilt hatte, in der mit Tilo P. auch einer der Hauptangeklagten der Anschlagsserie war. Zudem hatte er in Mails 2016 AfDlern davon abgeraten, eine Veranstaltung eines gegen Rechts engagierten Buchhändlers zu besuchen. Dessen Auto brannte wenige Tage später. Desweiteren soll sich in dem Komplex ein LKA-Beamter mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T. in einer rechten Szenekneipe getroffen haben. Ermittlungen dazu soll wiederum der mittlerweile versetzte Staatsanwalt eingestellt haben. Ebenso wenig wurde Ferat Kocak vor einem Brandanschlag auf sein Auto gewarnt – obwohl sowohl Verfassungsschutz als auch Polizei von konkreten Planungen gewusst hatten.

Schrader und Lux sprachen sich für eine von Betroffenen geforderte zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Kommission durch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus aus. Die Details müsse man nun in Gesprächen mit Geisel klären.

Eigentlich Bleiberecht für Opfer von rassistischer Gewalt

Klare Kritk äußerten Schrader und Lux allerdings an der nach Recherchen der taz bekannt gewordenen Abschiebung des Afghanen, der in dem Prozess gegen den Polizisten mit Neukölln-Bezug als Nebenkläger auftritt. Eigentlich sollen Opfer von rassistischer Gewalt in Berlin ein Bleiberecht erhalten.

Schrader sagte: „Eine solche Regelung ist natürlich eine Farce, wenn so jemand nach Afghanistan abgeschoben wird.“ Die Hürden für ein Bleiberecht von Opfern von Hate Crime seien viel zu hoch – die Regelung laufe offensichtlich ins Leere. Das hätten auch parlamentarische Anfragen immer wieder gezeigt.

Schockierend war für Betroffene besonders, dass der angeklagte Polizist Ansprechpartner für die Betroffenen rechter Gewalt war. Der mutmaßliche rechte Gewalttäter ermittelte zwischen 2007 und 2016 zu Rechtsextremismus in Neukölln.

Ferat Kocak, linker Kommunalpolitiker, dessen Auto in der Anschlagsserie im Februar 2018 brannte, sagte dazu: „Ein rassistischer Polizeibeamter bekommt Unterstützung durch ein rassistisches Abschiebesystem.“ Besonders fatal sei, dass der Beamte weiter im Polizeidienst stehe, so Kocak.

Und noch eine Kommission!

Bezüglich der von Geisel in Aussicht gestellten Kommission war Kocak nicht ganz so optimistisch wie die rot-rot-grünen Koalitionspolitiker. Er sagte: „Das hatten wir alles schon. Seit elf Jahren werden irgendwelche Kommissionen und Ermittlungsgruppen gegründet. Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss und zwar jetzt!“ Opfer-Anwält:innen waren immer wieder mit dem Ansinnen auf weitergehende Akteneinsicht an der Staatsanwaltschaft gescheitert – eine entsprechende Beschwerde einer Anwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft hatte dann für die Versetzung wegen des Verdachts auf Befangenheit der zuständigen Staatsanwälte gesorgt.

Ferat Kocak

„ Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss und zwar jetzt!“

Für Kocak ist zunächst aber ein wenig Fortschritt besser als Stillstand, wie er sagt. Für die Geisel-Kommission fordert er deshalb zumindest eine zivilgesellschaftliche Beteiligung durch die Mobile Beratung gegen Rechts. Es sei wichtig, dass die Behörden nun Transparenz schafften und Betroffene Einblick, soweit rechtlich möglich, in zumindest einen Teil der Unterlagen bekämen. Kocak sagt: „Nur so kann Vertrauen entstehen.“

Auch die Südneuköllner Anwohner:innen-Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ meldete sich am Freitag mit einer Pressemitteilung zu Wort und forderte erneut einen Untersuchungsausschuss: „Die aktuellen Hinweise auf die rechtspopulistische Gesinnung des Leiters der Abteilung 231 der Berliner Staatsanwaltschaft (...), den Datenabfluss aus Berliner Polizeicomputern in rechte Chatgruppen, die Weigerung der Berliner Polizei, der Datenschutzbeauftragten die zur Aufklärung notwendigen Unterlagen über fragwürdige Abfragen zu den Daten von zwei von rechten Angriffen betroffenen Neuköllner*innen aus dem Polizeicomputer sowie die bisher unbefriedigende Arbeit der 'BAO Fokus zeigen deutlich, wie notwendig die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist.“

Betroffene, die am Freitag eine weitere Pressemitteilung über die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin verschickten, wiesen zudem noch einmal auf die 25.000 gesammelten Unterschriften für einen Untersuchungsausschuss hin. Weil die Exekutive versage, müsse nun die Legislative handeln – mit einem unabhängigen Untersuchungsausschuss mit seinen gesetzlich geregelten Kompetenzen zur Zeugenvernehmung und Akteneinsicht. Sie forderten: „Die rechten und rassistischen Angriffe in Neukölln gehen immer weiter. Die Abgeordneten müssen endlich ihrer Kontrollaufgabe gegenüber der Exekutive gerecht werden.“

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