Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Es rumort in der Staatsanwaltschaft
Nach der Versetzung zweier Staatsanwälte gibt es Kritik an Generalstaatsanwältin Koppers und Justizsenator Behrendt. Strafverteidiger widersprechen.
Die Vereinigung der Staatsanwälte schreibt in einer Mitteilung von Montag, dass der öffentlich kolportierte Verdacht zu dünn sei für derartige dienstliche Konsequenzen. Die Versetzung der Kollegen sei überzogen. Nach eigenen Angaben vertritt die Vereinigung Berliner Staatsanwälte 160 der rund 300 Staatsanwält:innen Berlins. Der Vorsitzende Ralph Knispel sagte der taz: „Natürlich ist es der Generalstaatsanwaltschaft anheimgestellt, so zu handeln, aber der Anlass gibt das aus unserer Sicht nicht her.“
Hintergrund für die Versetzung war ein den Ermittler:innen seit Monaten vorliegender Chat von dem Beschuldigten Tilo P. im Neukölln-Komplex. Darin gibt es Hinweise darauf, dass der leitende Oberstaatsanwalt F., zuständig für sämtliche politische Straftaten, AfD-nah sei. P. hatte in dem Chat sinngemäß einem AfD-Kollegen mitgeteilt, dass man von dem Oberstaatsanwalt F. wenig zu befürchten habe. Der nämlich habe in seiner Vernehmung AfD-Nähe durchscheinen lassen.
Dennoch nahmen weder der ermittelnde Staatsanwalt noch Polizist:innen den Chat zum Anlass, eine Meldung an Vorgesetzte oder die Generalsstaatsanwaltschaft zu machen. Die Generalstaatsanwaltschaft stieß darauf erst durch die Beschwerde einer Opfer-Anwältin und zog vergangenen Mittwoch Konsequenzen.
Justizsenator Behrendt dankt
Tatsächlich ist ein solcher Eingriff ein seltener Vorgang, der die Integrität des Rechtsstaats infrage stellt. Entsprechend schwerwiegend ist daher auch ein solcher Verdacht, die Judikative ermittle nicht anständig gegen rechts. Gerade um diesem Verdacht entgegenzuwirken, habe man sich für eine Versetzung entschieden, argumentierte Generalsstaatsanwältin Koppers gegenüber der taz. Die Entscheidung diene dem Schutz aller beteiligten Personen – auch wenn für den Verdacht bislang keine Beweise oder andere Indizien bekannt seien. Justizsenator Behrendt dankte ihr für das vehemente Einschreiten.
Rechte Anschlagsserie Seit Ende 2016 ermitteln die Behörden erfolglos in einer auf Neukölln zentrierten Anschlagsserie. Über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Drohungen werden der Serie zugerechnet.
Undichte Stellen Neben den jüngst bekannt gewordenen Verdacht auf Befangenheit in der Staatsanwaltschaft gibt es auch Hinweise auf Versagen bei Polizei und Verfassungsschutz: So wurde Linken-Politiker Ferat Kocak vor einem drohenden Brandanschlag im Februar 2018 auf sein Auto nicht gewarnt, obwohl konkrete Hinweise auf die Planung vorlagen. Ebenso teilte ein Berliner Polizist Interna mit einem der Beschuldigten in einer Telegram-Chatgruppe der AfD Neukölln.
Auffällig ist in der deutlichen Stellungnahme des Landesverbands der Berliner Staatsanwälte, dass sie ihrerseits einen unbelegten Verdacht kolportieren: Es bliebe der Verdacht bestehen, „dass der ‚böse Anschein‘ genutzt worden ist, um aus politischen oder persönlichen Gründen unliebsame Beamte umzusetzen“, heißt es in der Mitteilung.
Damit spielt der Verband wohl auf den Umbau der Staatsanwaltschaft an: Behrendt und Koppers nämlich wollen die Staatschutzabteilung in ihrer Kompetenz beschneiden – zugunsten einer neuen übergeordneten Abteilung „Hasskriminalität“, die sich unter dem Eindruck des Rechtsrucks und der Anschläge von Halle und Hanau vermehrt auf vorurteilsmotivierte Straftaten konzentrieren solle.
Es ist wohl kein Geheimnis, dass dies dem Oberstaatsanwalt F. nicht gepasst haben dürfte. Er gilt innerhalb der Behörde als „stramm rechts“. Nicht radikal oder extremistisch, aber schon „rechtskonservativ“, wie der Tagesspiegel mit Bezug auf Quellen in der Staatsanwaltschaft kolportiert. In linken Kreisen ist F. hingegen dafür berüchtigt, dass er linke Bagatellen scharf verfolge, wohingegen rassistische Diskriminierungen schnell eingestellt würden.
Stefan Conen, der Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, hält es für richtig, dass die Generalsstaatsanwaltschaft das Verfahren an sich zieht. Nach zahlreichen „Der Umgang mit Straftaten aus dem rechten Milieu ist aber alles andere als ein Ruhmesblatt der deutschen Justiz“, sagte Conen der Morgenpost. Schon die „historische Verantwortung verbiete Zweideutigkeiten“ in diesem Bereich. Bereits der Anschein, dass nicht sauber ermittelt wurde, reiche für einen solchen Schritt aus, findet er. Aus Conens Perspektive sollte es allerdings auch nicht um Skandalisierung gehen oder darum, „einzelne Staatsanwälte an den Pranger zu stellen.“
Viele linke Initiativen und Betroffene im Neukölln Komplex bewerten hingegen auch die Versetzung der umstrittenen Staatsanwälte als richtig. Nicht zuletzt Betroffene der rechten Anschlagsserie verdeutlichen in einer am Montag herausgegebenen Erklärung, wie erschüttert ihr Vertrauen in Polizei und Staatsanwalt ist. „Dies ist ein weiterer von vielen Gründen, nochmals mit Nachdruck einen Untersuchungsausschuss zur Nazigewalt und den vielfältigen rechten Verstrickungen der Ermittlungsbehörden zu fordern.“ Auch die Auflösung der Staatsschutzabteilungen müsse diskutiert werden.
Insgesamt sei man erleichtert, dass die „beiden mutmaßlich rechten Staatsanwälte nicht mehr mit dem Neukölln-Komplex zu tun haben werden“. Gleichwohl sei man aber auch erschüttert, „dass neben der Polizei auch die Staatsanwaltschaft ein rechtes Problem hat“. Das wenig verbliebene Vertrauen in die Sicherheitsbehörden sei zerstört. Auch der Jurist Fritz Marquardt – mittlerweile Mitarbeiter des grünen Europaabgeordneten Erik Marquardt – meldete sich in der Causa zuungunsten des versetzten Oberstaatsanwalts zu Wort.
F. sei der Chef seiner Prüfungskommission zum ersten Staatsexamen im März 2020 gewesen, so Marquardt. Nach juristischen Details sei es im ansonsten lockeren Vorgespräch plötzlich um rechte Verschwörungstheorien gegangen, wie Marquardt der taz sagte. F. habe dann, auf seinem Stuhl zurückgelehnt, vor fünf Mitprüflingen erklärt, dass es keine rechten Hetzjagden in Chemnitz gegeben habe – ebenso sei die schlechte Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex eine Verschwörungstheorie gewesen.
Wie nachhaltig die Abteilung 231 für Staatsschutzdelikte gegen Linke ermitteln kann, zeigt womöglich ein heute zur Verhandlung stehender Strafprozess gegen drei Personen. Diese sollen in Südneukölln Plakate geklebt haben, auf denen örtliche Neonazis bekannt gemacht wurden. Darauf sollen auch Sebastian T. und Julian B. zu sehen gewesen sein – zwei weitere Hauptverdächtige der Anschlagsserie.
Laut einer Erklärung von „Neukölln Watch“, einer antifaschistischen Initiative, die zum Prozess mobilisiert, hat die Staatsanwaltschaft den Neonazis im Laufe der Ermittlungen Strafanträge gegen die Antifaschist:innen nahegelegt. Ebenso sei Sebastian T. als Geschädigter vernommen worden.
Daraufhin habe es mehrere Hausdurchsuchungen wegen der Poster gegeben, wie Neukölln Watch schreibt. Angesichts der jüngeren Erkenntnisse liege der Grund für den besonderen Ermittlungseifer nahe. Auch deswegen wollten die Beschuldigten zu Beginn des Prozesses eine Erklärung abgeben.
Update: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Stefan Conen von der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger auch die Versetzung der Staatsanwälte für richtig hielt. Das war ein Missverständnis. Conen hat sich dazu nicht geäußert und hält jedoch die Übernahme der Generalstaatsanwaltschaft für richtig.
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